| # taz.de -- Fukushima nach dem GAU: Blumen wachsen noch, immerhin | |
| > Seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima sind sieben Jahre vergangen. | |
| > Die wirtschaftliche Struktur der Region ist zum größten Teil zerstört. | |
| Bild: Blumen, aber keine Lebensmittel: Die Landwirtschaft in Fukushima liegt br… | |
| Die Landschaft der japanischen Präfektur Fukushima ist durch die | |
| AKW-Havarie im März 2011 geprägt. Berge schwarzer Plastiksäcke, gefüllt mit | |
| jeweils einer Tonne Erde. Fünf Zentimeter tief wurde zur Dekontaminierung | |
| abgetragen. Ein Bauer des Dorfes Iitate, auf dessen Feld viele Säcke lagen, | |
| sagte mir bei einer Reise im November 2016 resigniert, dass die Säcke wohl | |
| lange dort liegen bleiben. Ein Jahr später sah ich keine schwarzen Berge | |
| mehr. Sie waren von grünen Plastikplanen überdeckt. | |
| Die Dekontaminierung der Sperrgebiete II und III gilt als abgeschlossen. | |
| Eigentlich sollten die 36 Millionen Säcke in zwei Zwischenlagern im hoch | |
| verstrahlten Sperrgebiet I gesammelt werden. Doch der Ankauf der dafür | |
| notwendigen Gelände ist längst nicht beendet. | |
| Das Dorf Iitate errang 2011 einen traurigen Ruf. Es liegt etwa 40 Kilometer | |
| vom AKW Fukushima-Daiichi entfernt. Die Evakuierung galt nur im Umkreis von | |
| 20 Kilometern. So dachte niemand an eine Verstrahlungsgefahr, als viele | |
| Menschen aus dem Sperrgebiet zunächst hierher flüchteten. Erst einen Monat | |
| später maßen Atomwissenschaftler aus Kyoto eine Cäsium-Luftdosis von 7 bis | |
| 30 μSv pro Stunde: Dies entspricht einer Effektivdosis von 45 bis 180 mSv | |
| pro Jahr. Die über 6.000 Bewohner wurden evakuiert. Sie wurden anderthalb | |
| Monate lang hier ahnungslos verstrahlt. | |
| Im September 2011 fand unsere Gruppe freiwilliger Helfer (Kizuna Berlin | |
| e.V., ein 2011 gegründeter Verein für den Wiederaufbau der | |
| Katastrophenregion) ein Geisterdorf: menschenleere Höfe und Straßen, Ställe | |
| voller Futter, aber ohne Tiere, geparkte Fahrzeuge. Hin und wieder fuhr die | |
| freiwillige Dorfpatrouille vorbei. | |
| Die gespenstische Szenerie änderte sich im Frühjahr 2017, die Regierung | |
| hatte das Dorf zur Rückkehr freigegeben. Im November des letzten Jahres | |
| wohnten so dort wieder etwa 500 Menschen. Zurückgekehrt sind vor allem | |
| Ältere. Etwa das Ehepaar Kanno, mit dem ich sprach. Es will seinen Hof | |
| nicht aufgeben in der Hoffnung, die Enkel würden irgendwann einmal | |
| zurückkehren. Ihr Sohn will dies keinesfalls. Wie viele der früheren | |
| Dorfbewohner mit Kindern baut er sich lieber woanders eine neue Existenz | |
| auf. | |
| ## Wirtschaft weitgehend zerstört | |
| Yoichi Tao, ein japanischer 68er, hat bereits 2011 einen Verein gegründet, | |
| der die radioaktive Belastung kontinuierlich und unabhängig misst und | |
| kontrolliert. Er sagt, dass ab April 2018 mehr Evakuierte zurückkehren | |
| werden. Notgedrungen, denn der AKW-Betreiber Tepco stellt die Zahlung des | |
| monatlichen Unterstützungsgeldes für Umgesiedelte von 800 Euro ein, sofern | |
| die gemessene Strahlenbelastung ein Jahr lang unter die erlaubte | |
| Jahresdosis von 20 mSv gesunken ist. Die Regierung gab bereits zum 1. April | |
| 2017 die geräumten Zonen der Kategorie II und III zur Rückkehr frei. | |
| Um die Zurückgekehrten wirtschaftlich zu unterstützen, setzt Taos Verein | |
| auf Blumenzucht in vollautomatisierten Gewächshäusern. Das Know-how liefern | |
| ehemalige Wissenschaftler und Ingenieure. Blumen statt Lebensmitteln. Denn | |
| der Verkauf landwirtschaftlicher Produkte aus Fukushima gelingt eher | |
| schleppend, selbst wenn diese, wie zum Beispiel Reis, zu 100 Prozent auf | |
| Kontamination kontrolliert werden. | |
| In den nun wieder freigegebenen früheren Sperrgebieten ist die Wirtschaft | |
| weitgehend zerstört. Wo früher Reisfelder waren, glitzern heute schwarze | |
| Seen von Solarpanelen. Energiekonzerne haben recht schnell die Chance | |
| erkannt und die brachliegenden Felder für 20 Jahre gepachtet. Nach der | |
| Havarie beschloss die Provinzregierung, dass bis 2040 der gesamte | |
| Strombedarf der Region mit erneuerbarer Energie zu decken sei. 2018 liegt | |
| der Anteil der Erneuerbaren hier bereits bei 30 Prozent, das Doppelte des | |
| japanischen Durchschnitts. | |
| In der Mitte des Dorfes wird gerade eine Grund- und Mittelschule errichtet. | |
| Kein Scherz: Sie soll am 1. April 2018 eröffnet werden. Herr Tao ist | |
| skeptisch, ob sie genügend Schüler finden wird, deren Rückkehrquote liegt | |
| bislang bei drei Prozent. Viele Menschen vertrauen der Entwarnung der | |
| Behörde nicht. | |
| Eine weitere Neuheit stellt die im letzten Jahr eröffnete „Michi no eki“ | |
| (Straßenstation) dar, eine Raststätte mit regionalen Produkten. Die Blumen | |
| waren tatsächlich aus Iitate, aber Obst und Gemüse stammten von außerhalb | |
| der früheren Sperrgebiete. | |
| Der Widerstand gegen die Kernenergie und die Verantwortlichen für Fukushima | |
| ist insgesamt weniger geworden. 2012 zeigte sich sein Höhepunkt mit 200.000 | |
| Demonstranten. Heute demonstrieren immer noch Hunderte jeden Freitagabend | |
| vor dem Kanzleramt und dem Parlament. Doch es ist insgesamt stiller | |
| geworden. Zurzeit laufen noch um die 30 Prozesse gegen Tepco und die | |
| Regierung. Am 30. Juni 2017 begann ein Mammutprozess mit 13.000 Klägern. | |
| Drei Gerichtsurteile räumten bislang eine Teilverantwortung der Regierung | |
| ein. | |
| ## Recht zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben | |
| Nach vielen Pannen gab die Regierung im Dezember 2016 das | |
| Schnellbrüter-Monju-Projekt endlich auf. Damit ist das Konzept des | |
| Recyclings von High-Level-Atommüll gescheitert. Als einziges Land, das | |
| keine Atombomben herstellt, besitzt Japan das Recht zur Wiederaufarbeitung | |
| von Kernbrennstäben. So verfolgte es seit den 80er Jahren mit 100 | |
| Milliarden Euro das Projekt des „Kernbrennstoffkreislaufs“: Abgebranntes | |
| Brennmaterial wird aufgearbeitet, um neues Brennmaterial zu gewinnen. | |
| Dafür wurde im Dorf Rokkasho im Norden der japanischen Hauptinsel Honshū | |
| eine Wiederaufbereitungsanlage errichtet, die bis jetzt nicht richtig | |
| funktioniert. Der Schnelle Brüter Monju sollte mit Brennstäben aus dem dort | |
| gewonnenen hochgiftigen Plutonium gefüttert werden. | |
| Andere Staaten wie die USA oder Deutschland haben auf diese | |
| Hochrisiko-Technologie längst verzichtet. Japan hat derzeit 50 Kilogramm | |
| waffenfähiges Plutonium (8 Kilogramm reichen für eine Atombombe des Typs | |
| von Nagasaki) und 47 Tonnen aufgearbeitetes Plutonium eingelagert. Davon | |
| große Teile auch in Großbritannien und Frankreich. Sie sollten irgendwann | |
| einmal auf dem Seeweg nach Japan zurückgebracht werden. | |
| Trotz der unzähligen Opfer – 194 Jugendliche in Fukushima erkrankten bis | |
| jetzt an Schilddrüsenkrebs, über 2.000 Menschen starben an Folgekrankheiten | |
| –, trotz des hohen Risikos und der enormen Folgekosten für spätere | |
| Generationen hält die Regierung von Shinzō Abe (LDP) an der Atomenergie | |
| fest. An eine Energiewende denkt sie nicht. | |
| ## Mit einem erneuten Seebeben ist zu rechnen | |
| Das METI (Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie) sieht für das | |
| Jahr 2030 folgenden Energiemix vor: Atomenergie 20–22 Prozent, erneuerbare | |
| Energien 22–24 Prozent, und der große Rest die Klimakiller – fossile | |
| Energien. Für diese Zielvorgaben wären also dann auch wieder etwa 20 bis 30 | |
| AKWs am Netz. Zurzeit sind 5 Reaktoren am Netz. Nach der Havarie von | |
| Fukushima wurden 2011 alle AKWs abgeschaltet. | |
| Von 54 Reaktoren, darunter 17 der Fukushima-Betreiberfirma Tepco, sind | |
| derzeit 20 für die dauerhafte Stilllegung bestimmt. Per Gesetz ist die | |
| Laufzeit japanischer Reaktoren auf 40 Jahre begrenzt. Ausnahmen mit einer | |
| Verlängerung um 20 Jahre sind allerdings möglich. Für zwei Reaktoren | |
| erteilte die Atomaufsichtsbehörde bislang eine solche Genehmigung. | |
| Zwei weitere Nachrichten der letzten Monate sind beunruhigend. Zum einen | |
| will die japanische Regierung den Bau zweier Reaktoren auf der Insel | |
| Anglesey in der Irischen See durch den Konzern Hitachi mit einer | |
| Kreditgarantie von 15 Milliarden US-Dollar unterstützen. Zum anderen wollen | |
| japanische Konzerne wie Mitsubishi und Toshiba 20 neuartige | |
| Hochtemperatur-Reaktoren in Polen bauen. Diese Reaktoren der „vierten | |
| Generation“ sind klein, ein Reaktor verfügt über eine Leistung von 160 | |
| Megawatt, so dass sich Bauzeit und -kosten drastisch reduzieren. Sie sollen | |
| etwa zehn Milliarden US-Dollar kosten. | |
| Zum siebten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11. März 2018 | |
| noch diese beunruhigende Prognose der Seismologischen Gesellschaft Japans: | |
| In den nächsten 30 Jahren ist im Pazifik mit 70- bis 80-prozentiger | |
| Wahrscheinlichkeit mit einem erneuten Seebeben der Stärke von 2011 zu | |
| rechnen. | |
| 11 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Hiroomi Fukuzawa | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Fukushima | |
| Reaktor | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Japan | |
| Vattenfall | |
| AKW | |
| Atomenergie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Acht Jahre nach Fukushima: Alles soll ganz normal wirken | |
| Sind die Unfallfolgen acht Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima | |
| überwunden? Japans Regierung und Betreiber Tepco sagen: ja. | |
| Kurswechsel bei Einwanderung: Japan holt Arbeiter aus dem Ausland | |
| Japans rechtsnationale Regierung gibt dem Drängen der Wirtschaft nach. Sie | |
| will Hunderttausende Arbeitskräfte anwerben. | |
| Vattenfall vs. Deutschland: Es geht um Milliarden | |
| Hatte der schwedische Atomkonzern einen finanziellen Schaden durch den | |
| Atomausstieg? Und muss der deutsche Staat dafür zahlen? | |
| Kommentar Aus für AKW in Bayern: Eine halbe gute Nachricht | |
| Das AKW Gundremmingen wird nur zur Hälfte abgeschaltet; ein Zugeständnis an | |
| die Betreiber. Eine Verzögerungstaktik, die die Atomlobby freut. | |
| Schwerer nuklearer Störfall in Russland: Werte um das Tausendfache erhöht | |
| Behörden bestätigen eine Verstrahlung im Ural nahe der Atomfabrik Majak. | |
| Die gemessenen Werte liegen fast tausendmal über der Norm. |