| # taz.de -- Kurswechsel bei Einwanderung: Japan holt Arbeiter aus dem Ausland | |
| > Japans rechtsnationale Regierung gibt dem Drängen der Wirtschaft nach. | |
| > Sie will Hunderttausende Arbeitskräfte anwerben. | |
| Bild: In Japan ist eine Debatte über Arbeiter aus dem Ausland entbrannt | |
| TOKIO taz | Über 100 Demonstranten zogen Mitte Oktober durch das | |
| Einkaufsviertel Ginza, schwenkten Nationalflaggen und skandierten Parolen | |
| gegen den Plan von [1][Premier Shinzo Abe], Hunderttausende Ausländer als | |
| Arbeitskräfte nach Japan zu holen. „Die Regierung soll sich zuerst um | |
| arbeitslose Japaner kümmern“, forderte Organisator Mikio Okamura von der | |
| Rechtspartei „Japan First“. | |
| Bisher blieben Japans Türen [2][für Migranten fest verschlossen]. Offiziell | |
| gibt es sie gar nicht, nur etwa 300.000 „Praktikanten“ aus Schwellenländern | |
| in Asien mit einem Visum für drei bis fünf Jahre. Flüchtlinge werden nicht | |
| aufgenommen, Asylanträge fast immer abgelehnt, Abschiebungen sind üblich. | |
| Wegen dieser strikten Haltung und der niedrigen Geburtenrate altert und | |
| schrumpft Japans Gesellschaft rasant. Die Kehrseite ist ein starker | |
| Arbeitskräftemangel. Die Unternehmen stellten zwar mehr Senioren und mehr | |
| Frauen ein. Zugleich verdoppelte sich in fünf Jahren die Zahl ausländischer | |
| Arbeiter mit Studenten- und Kurzzeitvisa. | |
| Aber das deckt den Bedarf nicht. Die Arbeitslosenquote von 2,3 Prozent | |
| entspricht Vollbeschäftigung. Auf 100 Jobsuchende gibt es 163 | |
| Stellenangebote. Zwei von drei Firmen suchen händeringend Arbeitskräfte. | |
| Das bremst das Wirtschaftswachstum, ohne das sich die Gesundheitskosten und | |
| Renten der vielen Alten nicht finanzieren lassen. | |
| ## Zwei Visumssorten | |
| Daher hat der rechtsnationale, aber pragmatische Premier Abe dem Drängen | |
| der Wirtschaft nachgegeben. „Wir wollen ein Land werden, in dem Ausländer | |
| arbeiten und leben wollen“, erklärte Regierungssprecher Yoshihide Suga. | |
| Ab April 2019 soll es zwei Visumssorten geben: Zum einen das Prinzip | |
| „Gastarbeiter“ – ungelernte Ausländer dürfen nur allein und für maximal | |
| fünf Jahre kommen. Zum anderen reguläre Einwanderung – wer über | |
| Fachkenntnisse in gefragten Branchen verfügt, etwa als Altenpfleger und | |
| Bauarbeiter, darf mit Angehörigen einreisen und kann später ein dauerhaftes | |
| Aufenthaltsrecht erhalten. Als Zahl kursiert 500.000, die offiziell | |
| unbestätigt ist. | |
| Derzeit leben nur 1,6 Millionen „echte“ Ausländer in Japan, der Rest sind | |
| Nachkommen von Koreanern und Taiwanesen aus der Kolonial- und Kriegszeit. | |
| „Wir erleben eine tiefgreifende Wende in der Migrationspolitik“, erklärte | |
| Ippei Torii vom Solidarity Network with Migrants Japan. | |
| Eine hitzige Debatte ist entbrannt, weil Regierungschef Abe das Wort | |
| Einwanderung bisher strikt vermieden und höchstens von „temporären“ | |
| Arbeitskräften gesprochen hat. Daher griff der Chef der größten | |
| Oppositionspartei, Yukio Edano, im Parlament Abe direkt an: „Wo ist der | |
| Unterschied zur Aufnahme von Migranten?“ Widerstand regte sich auch in Abes | |
| Liberaldemokratischer Partei (LDP). Japan müsse vom Versagen Deutschlands | |
| (bei Flüchtlingen) lernen, warnte der Abgeordnete Shigeharu Aoyama im | |
| LDP-Komitee für Justizangelegenheiten. | |
| Japan erwartet Arbeiter vor allem aus Asien, etwa aus China, Vietnam und | |
| Indonesien. Mit vielen Ländern gibt es keine Abkommen zum Transfer von | |
| Rentenansprüchen. Auch der bisher schlechte Umgang mit Ausländern gibt zu | |
| denken: Das Programm für ausländische „Praktikanten“ ist wegen schamloser | |
| Ausbeutung berüchtigt. 7.000 Trainees sind untergetaucht. | |
| Daher verspricht die Regierung, dass für die Gastarbeiter das Prinzip | |
| „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten soll. Die Bevölkerung reagiert | |
| überraschend tolerant. Laut einer Umfrage von Nikkei-Zeitung und TV Tokyo | |
| unterstützen 54 Prozent die Zuwanderung und die Ansiedlung von Ausländern. | |
| Unter den 18- bis 29-Jährigen waren es 65 Prozent. Dagegen lehnte mehr als | |
| die Hälfte der über 70-Jährigen jeden Zuzug ab. | |
| 8 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Fritz | |
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