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# taz.de -- Ein syrischer Geflüchteter in Japan: „Ich stürzte aus der Mitte…
> Japan nimmt fast keine Flüchtlinge auf. Yasser Jamal ist einer der
> wenigen Geflüchteten, die im Land Fuß gefasst haben. Doch der Weg dahin
> war hart.
Bild: Yasser Jamal in seiner neuen Heimat
Saitama taz | Ein Trikot mit der roten Nummer 25 gehört zu den wenigen
Erinnerungsstücken an seine Heimat Syrien, die Yasser Jamal noch besitzt.
Das kostbare Souvenir verkörpert seinen Traum, ein professioneller
Fußballspieler zu werden. „Mein Vorbild ist Christiano Ronaldo“, erzählt …
bei einem Abendessen in der japanischen Millionenmetropole Saitama.
In Syrien kickte er als Amateur in der zweiten und dritten Liga. Nun will
er höher hinaus: Kürzlich hat ihn eine japanische Fußballschule
aufgenommen. „Im Frühjahr nehme ich an den Aufnahmeprüfungen für die J-Liga
teil“, berichtet der junge Mann mit dem kurzen Hipsterzopf zwischen zwei
Bissen Spaghetti.
Der 25-Jährige ist einer von nur sieben Flüchtlingen aus Syrien, die in
Japan Asyl erhalten haben. Darunter sind auch seine heute 16-jährige
Schwester und seine Mutter. Zwar haben zwischen 2011 und 2016 ohnehin nur
69 Syrer Asyl in Japan beantragt. Aber die Inselnation nimmt prinzipiell
kaum Flüchtlinge auf. Im ersten Halbjahr 2017 wurden nur drei von 8.561
Asylanträgen akzeptiert. Das ist eine Quote von 0,04 Prozent. Im Jahr 2016
gewährte Japan 28 Menschen Asyl, 97 durften aus humanitären Gründen
bleiben.
„Japans restriktive Ausländerpolitik wirkt sich auch auf die Asylverfahren
aus“, erläutert der Flüchtlingsanwalt Hiroshi Miyauchi. „Außerdem gibt es
einen generellen Widerwillen, internationale Standards zu beachten.“
Premierminister Shinzo Abe erklärte, Japan müsse sich erst um seine
alternde Bevölkerung kümmern, bevor man Flüchtlinge aufnehmen könne.
Stattdessen spendet Japan Milliarden von Dollar für Direkthilfe im Nahen
Osten.
## Augenzeuge des Bürgerkriegs
Daher ist der junge Syrer ein gefragter Gesprächspartner in Japan. Alle
großen TV-Sender interviewten ihn als Augenzeugen des Bürgerkriegs. „Viele
Japaner wissen nichts über den Konflikt und denken, Syrien bestehe nur aus
Wüste“, erzählt Jamal. Auch Vorurteile gegen Muslime versucht er
aufzuklären, indem er Koranverse übersetzt. „Das Töten von Menschen ist im
Islam verboten“, betont er. Das japanische Interesse gibt Jamal die Chance,
auch die Flüchtlingsfrage anzuschneiden. „Ich wünsche mir, dass Japan mehr
Flüchtlinge aufnimmt, aber trotz meiner Interviews hat sich gar nichts
geändert“, gesteht er.
Seine Odyssee begann im Februar 2013, als ein Raketenangriff der Armee von
Machthaber Baschar al-Assad das vierstöckige Haus seiner Familie in einem
Vorort von Damaskus schwer beschädigte. Eigentlich wollten die Jamals trotz
des Kriegs in Syrien bleiben. Jamal studierte englische Literatur, seine
Schwester ging noch zur Schule. Doch nun entschlossen sie sich zur
Ausreise.
Zunächst wollten sie zu einem Cousin in Schweden, aber sie erhielten kein
Visum. Dann half ihnen ein Onkel, der in Japan verheiratet ist und dadurch
automatisch permanentes Aufenthaltsrecht erhalten hat. Der Onkel ergatterte
ein Besuchervisum für Jamal, seine Schwester und seine Mutter. So konnten
sie von Ägypten direkt nach Tokio fliegen.
Bald mussten die drei Flüchtlinge die kleine Wohnung des Onkels verlassen
und sich ein eigenes Zimmer mieten. Für Jamal begann die „schlimmste Zeit“
seines Lebens: „Ich stürzte aus der Mittelschicht ab“, sagt er
rückblickend. Der behütete Student musste plötzlich genug Geld für die
Miete und den Lebensunterhalt seines Vaters verdienen, der mangels
Japanvisum in Syrien geblieben war. Also ignorierte er das sechsmonatige
Arbeitsverbot für Asylbewerber und half als Tagelöhner schwarz beim
Abreißen alter Häuser.
„Sie zahlten mir ein Drittel weniger Lohn als den Japanern und ließen mich
ohne Schutzkleidung die schwersten Jobs machen“, berichtet der Syrer. Dann
infizierte er sich mit Tetanusbakterien, als er sich einen rostigen Nagel
in den Fuß trat. Bald schwoll das Bein so an, dass er es beinahe verloren
hätte. Die Lehrer seiner Schwester sammelten Geld für die Kosten der
Behandlung im Krankenhaus.
## Jamal studiert Global Japanese Studies
Danach ging es langsam aufwärts: Fast ein Jahr lang arbeitete er die
Nachtschicht in einem Restaurant in Tokio. Dann wurden die Asylanträge der
drei überraschend genehmigt. Der Vater durfte aus Syrien nach Japan
ausreisen. Das gab Jamal genug Luft, um ein neues Leben zu beginnen: Er
erhielt das einzige jährliche Stipendium des UN-Flüchtlingswerks UNHCR in
Japan und bewarb sich um eins von zwei Studienstipendien der Universität
Meiji.
Als seine Punktzahl im Englischtest nicht ausreichte, ließ ihn die
Universität den Test binnen neun Tagen wiederholen. „Also habe ich mir drei
dicke Englischbücher geholt und jeden Tag zwölf Stunden lang in einem Café
gebüffelt“, berichtet Jamal. Mit Erfolg: Er bekam das Stipendium und
studiert jetzt Global Japanese Studies. Bis dahin kannte er Japan nur aus
Zeichentrickfilmen mit arabischen Untertiteln wie „Captain Tsubasa“.
Am meisten vermisst der Student die engen Bindungen in seiner Heimat. „In
Syrien kannte ich in weitem Umkreis die Nachbarn, und meine Freunde waren
alle wie Brüder“, erzählt er. Die Japaner dagegen seien immer beschäftigt
und hätten wenig Zeit. Nicht einmal seine Wohnungsnachbarn kenne er
persönlich. „Hier ist alles so kalt und formell“, beklagt er sich. Doch er
will fair bleiben: Japan sei gut zu ihm gewesen. „Hier gibt es Regeln, und
wer den Regeln folgt, der bekommt, was er will“, meint er. Das sei in
Syrien anders.
Doch mit Regeln sperrt Japan auch seine Türen für Flüchtlinge zu. Die
Herkunft aus einem Kriegsgebiet reicht als Asylgrund nicht aus. Vielmehr
muss der Asylbewerber nachweisen, im Fall einer Rückkehr persönlich
verfolgt zu werden. Wegen der stark gestiegenen Zahl an Asylanträgen wurden
die Aufnahmeregeln zum 15. Januar sogar noch verschärft. Seitdem teilt
Japan die Antragsteller neu ein: Bei Herkunft aus bestimmten Ländern dürfen
sie sofort arbeiten. Bisher galt eine Arbeitssperre von sechs Monaten. Wer
wenig Aussicht auf eine Anerkennung hat, wird abgeschoben.
## Die Japaner hielten ihn für einen Amerikaner
Gegen das Stereotyp vom Wirtschaftsflüchtling muss auch Jamal ankämpfen.
Unter einigen YouTube-Videos über seine Auftritte in Japan stehen
Hasskommentare wie, er sei ein Terrorist, verderbe japanische Kinder und
lebe auf Kosten der Steuerzahler. „Dabei habe ich gar keine staatlichen
Hilfen bekommen“, bekräftigt der Syrer. Aber direkte Feindseligkeiten spüre
er nur selten, weil die meisten Japaner ihn für einen Amerikaner hielten.
Unterdessen ist der internationale Druck auf Japan so gestiegen, dass das
Land seit dem Herbst auf fünf Jahre verteilt insgesamt 150 Flüchtlinge aus
Syrien einreisen lässt. Sie erhalten einen Studienplatz und ein
Bleiberecht. Auch Jamal stellt sich dauerhaft auf Japan ein. Den syrischen
Pass will er in einigen Jahren gegen einen japanischen tauschen. Sollte es
mit dem Profifußball nichts werden, möchte er ein Übersetzungsbüro in Japan
für Arabisch und Englisch gründen. Sein Japanisch hat sich bereits stark
verbessert.
Eine Rückkehr in die Heimat erscheint ihm als schwierig: „Wir würden
getötet, wenn wir zurückgingen“, meint er. Zugleich fehle ihm die Kraft, in
einem Nachkriegssyrien noch einmal ganz von vorn anzufangen. Schließlich
stehe ihm jetzt die Welt offen. Seine deutsche Freundin, in die er sich
während ihrer Zeit als Austauschstudentin an der Universität Meiji
verliebte, will ihm demnächst Deutschland und ihren Studienort Wien zeigen.
1 Feb 2018
## AUTOREN
Martin Fritz
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Syrien
Flüchtlingspolitik
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Familiennachzug
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