| # taz.de -- Schwerer nuklearer Störfall in Russland: Werte um das Tausendfache… | |
| > Behörden bestätigen eine Verstrahlung im Ural nahe der Atomfabrik Majak. | |
| > Die gemessenen Werte liegen fast tausendmal über der Norm. | |
| Bild: Undatierte Aufnahme von der Baustelle der Atomanlage Majak | |
| BERLIN taz | In Russland hat sich offenbar im September ein schwerer | |
| atomarer Zwischenfall ereignet, der bislang verschwiegen wurde. Am Montag | |
| bestätigte der russische Wetterdienst Rosgidromet, dass in dem Dorf | |
| Argajash im Ural radioaktives Ruthenium-106 gemessen wurde, das die | |
| natürliche Strahlung um das 986-Fache überschreitet. Die Messstelle | |
| befindet sich nur etwa 20 Kilometer entfernt von der berüchtigten | |
| Atomfabrik Majak, wo sich bereits in der Vergangenheit schwere | |
| Nuklearkatastrophen ereignet haben. Würden dort EU-Standards gelten, hätte | |
| die Gegend wohl evakuiert werden müssen. Der Betreiber der Anlage, der | |
| russische Energiekonzern Rosatom, hat die Vermutung zurückgewiesen, die | |
| Strahlung stamme aus Majak. | |
| Die Meldung über die radioaktive Belastung hatte Rosgidromet dezent als | |
| dritten Punkt einer Presseerklärung über Gewässerbelastungen publiziert. | |
| Sie bestätigt Berechnungen von deutschen und französischen Stellen, die im | |
| Herbst eine erhöhte Konzentration von Ruthenium in der Luft über Europa | |
| festgestellt hatten. Diese Werte sind inzwischen zurückgegangen. In Mittel- | |
| und Westeuropa habe zu keiner Zeit eine Gefahr für die Bevölkerung | |
| bestanden, erklärten die Behörden. | |
| Über die Ursache für die massiv erhöhte Strahlung konnte Anfang Oktober nur | |
| spekuliert werden. Und auch jetzt machen die russischen Behörden keine | |
| genauen Angaben über den Vorgang. Greenpeace Russland hat deshalb die | |
| Atomfirma Rosatom aufgefordert, eine „tiefgehende Untersuchung über die | |
| Vorgänge“ zu veröffentlichen. Gleichzeitig müsse geklärt werden, ob es ei… | |
| „Vertuschung eines nuklearen Unfalls“ gegeben habe. | |
| Rosatom erklärte dagegen auf seiner Website, Majak sei sicher nicht die | |
| Quelle der Strahlung. Das sei nur möglich, wenn es in einem Atomkraftwerk | |
| oder bei der Behandlung von Brennelementen einen Fehler gebe. Ein | |
| Atomunfall hätte aber andere Spuren hinterlassen und 2017 seien gar keine | |
| Brennelemente bearbeitet worden. „Die Emissionen an die Außenwelt bewegen | |
| sich im üblichen erlaubten Rahmen“, heißt es. „Die Hintergrundstahlung ist | |
| normal“. | |
| Ursache für die Kontaminierung ist offenbar nicht ein Leck in einem | |
| laufenden Atomkraftwerk, meinen Experten der deutschen Gesellschaft für | |
| Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und des französischen | |
| Nuklearforschungsinstituts IRSN. Eher wird vermutet, dass in der | |
| Wiederaufbereitung von nuklearen Brennstoffen in der Atomanlage Majak ein | |
| schwerer Fehler aufgetreten ist. Da nur Ruthenium-106 nachgewiesen wurde, | |
| schließt das IRSN einen Vorfall in einem Reaktor aus, „der auch andere | |
| Radionukleide freisetzen würde“, heißt es. Möglich wären als Quelle | |
| Atomanlagen wie eine Wiederaufbereitungsanlage oder der Absturz eines | |
| Satelliten mit Ruthenium-Antrieb. | |
| ## Immer wieder Störfälle in Majak | |
| Den aber habe es nicht gegeben, schreiben die IRSN-Forscher. Bleibt also | |
| nur eine Quelle in einer atomaren Einrichtung. Und deren Standort haben die | |
| französischen Forscher anhand ihrer Messdaten von Oktober und den | |
| Windverhältnissen zurückgerechnet. Ihre Karte zeigt die höchste | |
| Wahrscheinlichkeit für die Region Tscheljabinsk im Ural. In dieser Gegend | |
| liegen Argajash und die Atomfabrik Majak. In diesem Komplex (zu deutsch | |
| „Leuchtturm“) ereignete sich am 29. September 1957 der „Kyschtym-Unfall�… | |
| die bislang drittschwerste Atomkatastrophe der Geschichte. Dabei wurden | |
| nach einer Explosion eines Containers mit nuklearem Abfall 20.000 | |
| Quadratkilometer und 270.000 Menschen verseucht. Auch in den folgenden | |
| Jahren wurden aus Majak immer wieder Störfälle gemeldet. | |
| Die aktuelle Belastung der Bevölkerung hätte nach IRSN-Angaben für | |
| französische Verhältnisse eine Evakuierung nach sich ziehen müssen. „Ein | |
| Unfall dieser Größe hätte lokale Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in | |
| einem Radius von einigen Kilometern rund um den Ort der Freisetzung | |
| erfordert“, schreiben die Experten. | |
| „Von dem, was wir bisher wissen, ist das ein wirklich schwerer Unfall“, | |
| sagte gestern Mycle Schneider. Der Atomexperte stellte in Berlin seinen | |
| jährlichen Statusbericht zur weltweiten Lage der Atomindustrie [1][„World | |
| Nuclear Industry Status Report“] vor. In ihm bescheinigt er der Atomkraft | |
| einen weiteren Niedergang. „Manche Neubauten von | |
| Erneuerbaren-Energien-Anlagen bringen billigeren Strom als Atomkraftwerke, | |
| die sich schon amortisiert haben“, sagte Schneider. | |
| ## Wachstum fast nur noch in China | |
| Zwar sei 2016 die weltweite Produktion von Atomstrom um 1,4 Prozent | |
| gestiegen, aber der Anteil an der Stromversorgung sei weiter von ihrem | |
| Höhepunkt von 17,5 auf 10,5 Prozent gesunken. Neue Atomkraftwerke würden | |
| kaum noch gebaut, von 53 Neubauten seien 37 in Zeitverzug oder „Bauruinen“, | |
| die Laufzeiten würden gestreckt. Dynamik komme fast nur noch aus China, wo | |
| im letzten Jahr 5 von weltweit 10 neuen Reaktoren ans Netz gingen. „China | |
| dominiert den Markt seit einem Jahrzehnt, aber vielleicht ist dieser Boom | |
| auch schon wieder dabei“, sagte Schneider, der für seine Arbeit 1997 den | |
| alternativen Nobelpreis bekam. | |
| Besonders betonte er die ökonomischen Probleme der Atomfirmen. 2016 ging | |
| die größte Nuklearfirma, der US-Konzern Westinghouse, pleite. Die | |
| französische Areva hat 12 Milliarden Euro an Verlusten aufgehäuft, die | |
| Aktienkurse der Energiekonzerne RWE und Eon sind abgestützt. | |
| Und die Kosten laufen erst recht aus dem Ruder, wenn etwas schiefgeht. Der | |
| Unfall in Fukushima 2011 kostet die japanischen Steuerzahler und | |
| -zahlerinnen offiziell 200 Milliarden US-Dollar, laut Schneider können es | |
| aber auch zwischen 444 und 630 Milliarden sein. Und von Kosten für den | |
| Störfall in Majak ist in dem Bericht noch gar keine Rede. | |
| 21 Nov 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.worldnuclearreport.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Atomenergie | |
| Störfall | |
| Strahlung | |
| Russland | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Verbot von Atomwaffen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Russischer Kahn mit zwei Atomreaktoren: Das schwimmende AKW ist unterwegs | |
| Nach mehreren Pannen hat die „Akademik Lomonosow“ St. Petersburg verlassen. | |
| In Murmansk soll das Schiff mit radioaktivem Brennstoff beladen werden. | |
| Fukushima nach dem GAU: Blumen wachsen noch, immerhin | |
| Seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima sind sieben Jahre vergangen. Die | |
| wirtschaftliche Struktur der Region ist zum größten Teil zerstört. | |
| Atomwaffenreport des Sipri: Die nukleare Aufrüstung geht weiter | |
| Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut legt seinen Jahresbericht vor. | |
| Zwei Drittel der UN-Mitgliedsstaaten wollen ein weltweites | |
| Atomwaffenverbot. | |
| Energie in Russland: Marode Atomwirtschaft | |
| Russische Regierungsvertreter sollen deutschen Stromkonzernen katastrophale | |
| Zustände in AKWs beschrieben haben. Russische Aktivisten fühlen sich | |
| bestätigt. | |
| Atomanlagen in Russland: Schlampereien schon beim AKW-Rohbau | |
| Nachdem das Metallgerüst eines neuen Reaktors eingestürzt ist, schlagen | |
| russische Umweltschützer Alarm. Die Atomanlagen seien trotz Fukushima nicht | |
| sicherer. | |
| Kommentar abgesagter Atommüllexport: Der Erfolg der Mobilisierung | |
| Der abgesagte Transport von 951 Brennelementen nach Russland zeigt, wie | |
| wirksam Protest sein kann. Der Druck auf die Atomlobby muss aufrecht | |
| erhalten werden. | |
| Atommüll nach Russland: Castoren nach Majak? Njet! | |
| Erfolg für die Anti-Atom-Bewegung: Hochradioaktive Brennelemente aus Ahaus | |
| werden vorerst nicht in die russische Atomanlage transportiert. Die | |
| Betonung liegt auf vorerst. | |
| Atomtransport nach Russland: Röttgen sagt "Njet!" | |
| Der Umweltminister weigert sich, einen Castor-Transport aus Ahaus ins | |
| russische Atomkombinat Majak zu genehmigen. Dort sei keine schadlose | |
| Verwertung möglich, sagt Röttgen. |