# taz.de -- Vertreibung von Obdachlosen: Die Stadt soll glänzen | |
> Die Stadt Hannover will aggressives Betteln unterbinden. Eine Obdachlose | |
> berichtet, dass auch sie weg soll, obwohl sie nur ruhig auf der Straße | |
> sitzt. | |
Bild: Soll offiziell nicht aus der Innenstadt vertrieben werden: Obdachloser. | |
HANNOVER taz | Ihr Kleingeld steckt in einer durchsichtigen Plastiktüte, | |
die so oft in der Tasche geknüllt wurde, dass sie ganz milchig ist. Die | |
Münzen bekommt die obdachlose Frau von Passanten, die in der hannoverschen | |
Innenstadt an ihr vorbeigehen. Immer wieder halten Menschen für ein kurzes | |
Gespräch an, erkundigen sich, wie es der Frau bei den winterlichen | |
Temperaturen geht. Sie ist hier bekannt, weil sie immer am selben Ort | |
sitzt, unaufdringlich, aber immer da. Eine solche Form des Bettelns wollte | |
die Stadt Hannover eigentlich weiterhin dulden, auch wenn der Stadtrat vor | |
Kurzem ein neues Sicherheits- und Ordnungskonzept beschlossen hat. Doch die | |
Frau hat anderes erlebt. | |
Vor zwei Wochen sei ein Mitarbeiter der Stadt an ihrem Schlafplatz vor | |
einem Geschäft nahe des Zentrums aufgetaucht, sagt die Obdachlose. An einen | |
Namen kann sie sich nicht erinnern, aber einen grünen Zettel habe er ihr | |
gezeigt. „Wir haben grade unsere Taschen zusammengepackt“, sagt sie. „Er | |
hat uns gesagt, dass in der Stadt niemand mehr schlafen darf, und betteln | |
dürfe man auch nicht mehr.“ Eine Übergangszeit von vier Wochen hätten sie | |
noch. „Dann komme jemand, der uns alle wegjagt.“ | |
Die Stadt Hannover will von so einer Ansage nichts wissen. „Ich weiß nicht, | |
was Ihnen Obdachlose von einer ‚vierwöchigen Übergangsfrist‘ und von einem | |
‚Bettelverbot‘ erzählt haben“, schreibt ein Stadtsprecher in einer | |
Stellungnahme. „Das ist hier nicht nachvollziehbar.“ Er verweist | |
stattdessen auf das im November vergangenen Jahres beschlossene Konzept. | |
## Kulturstadt mit weniger Musik | |
Das hat der Oberbürgermeister der Stadt Hannover Stefan Schostok (SPD) | |
angeschoben. Den Antrag begründete er damit, dass das „Bedürfnis nach | |
Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum“ bei Hannoveranern größer | |
werde. Das Sicherheitsgefühl der Einwohner lässt sich Schostok einiges | |
kosten: Mehr als 3,5 Millionen Euro jährlich sind angesetzt. Das meiste | |
davon für einen neuen Ordnungsdienst, der ab 1. März in der Stadt | |
patrouillieren soll. | |
In der Innenstadt sollen die Mitarbeiter dann auch ein Auge auf | |
Straßenmusiker und Bettler haben. Beides hat die Stadt Hannover nun | |
strenger geregelt. Straßenmusiker dürfen nur noch eine halbe Stunde lang | |
spielen, müssen dann eine halbe Stunde pausieren und dürfen danach an den | |
nächsten von 17 erlaubten Orten in der Innenstadt ziehen. Hannover sei zwar | |
eine „lebendige und offene Kulturstadt“, schreibt Schostok in dem Antrag. | |
„Die Auszeichnung als Unesco – City of Music bestätigt dies.“ Aber die | |
Straßenmusik könne für Anlieger eine Belastung sein. | |
Ähnlich verhält es sich laut Schostoks Antrag mit dem sogenannten | |
aggressiven Betteln. Das werde auf öffentlichen Plätzen in Hannover | |
schlimmer. „In manchen Fällen stellen sich Bettelnde den Passanten gezielt | |
in den Weg, halten sie manchmal sogar fest.“ Zudem hätten Bettler teilweise | |
Kinder dabei oder seien bandenmäßig organisiert. | |
„Ich finde es richtig, dass so etwas verboten ist“, sagt Norbert Herschel | |
von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Hannover. „Sonst hat man dagegen | |
keine Handhabe.“ Wenn jemand mit seinem Becher einfach auf der Straße | |
sitze, müsse das aber toleriert werden. „So hat es mir die Stadt auch | |
gesagt.“ Sollte sich die Schilderung der obdachlosen Frau bewahrheiten, | |
wolle er darüber mit der Stadt sprechen, sagt Herschel. „Eine Großstadt | |
muss Obdachlosigkeit auch ertragen.“ | |
## Stilles Betteln soll toleriert werden | |
Schostok selbst hatte in dem Antrag betont, dass „das stille | |
unaufdringliche Betteln“ grundsätzlich „keine Störung der öffentlichen | |
Sicherheit und Ordnung“ darstelle. Die Ratsmehrheit von SPD, Grünen und FDP | |
hatte das Konzept auch so beschlossen. | |
Steffen Mallast sitzt für die Grünen im Bezirksrat Linden-Limmer. Er ist | |
mit dem neuen Konzept der Stadt nicht zufrieden. „Statt Geld in die | |
Repression zu stecken, könnte man den Leuten auch helfen“, findet Mallast. | |
Er meint damit den neuen, personalintensiven Ordnungsdienst. Falls die | |
Bettler aus der Innenstadt raus müssten, würde das die Armut lediglich | |
unsichtbar machen, sagt Mallast. „Das löst das Problem aber nicht | |
strukturell, sondern führt dazu, dass die Leute von Ort zu Ort geschickt | |
werden.“ | |
Auch die obdachlose Frau weiß nicht, wo sie hin soll, falls sie tatsächlich | |
weggeschickt wird. „Ich bin hier bekannt“, sagt sie. „Ich habe hier meine | |
Kunden, die mich sehr gern haben.“ Aber wie, fragt sie, solle sie sich | |
wehren? | |
15 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
## TAGS | |
Obdachlosigkeit | |
Hannover | |
Sicherheitsdienst | |
Vertreibung | |
wochentaz | |
Repression | |
Hamburg | |
Obdachlosigkeit | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Kriminalität | |
Kriminalität | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Hannover | |
Wohnungslosigkeit | |
Obdachlosigkeit | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Obdachlosigkeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bettelverbot in Krefeld: Sich wehren hilft | |
Ein Betroffener hat in Krefeld eine Aufhebung des dortigen Bettelverbots | |
bewirkt. Auch Arme gehörten dazu in einer Gesellschaft, sagt er. | |
Neuer Ordnungsdienst in Bremen: Furcht vor Repression | |
Im Oktober nimmt der neue Ordnungsdienst seine Arbeit auf. Die Innere | |
Mission fürchtet, dass die Zahl der Platzverweise für Obdachlose ansteigt. | |
Obdachlose in Hamburg: Angezählte Osteuropäer | |
Eine Befragung soll nichtdeutsche Obdachlose in den Blick nehmen. Befeuert | |
das die Debatte über die Konkurrenz zwischen einheimischen und zugereisten | |
Obdachlosen? | |
Obdachlose über ihr Leben auf der Straße: „Ich werde nie übersehen“ | |
Muttchen war Putzfrau und LKW-Fahrerin, bevor sie auf der Straße landete. | |
Wie sie es dort aushält und warum Neue erstmal zu ihr kommen, erzählt sie. | |
Obdachlosenhilfe läuft: „Es geschehen wundersame Dinge“ | |
Nicht nur während der Kälte, auch sonst kümmert sich der Senat verstärkt um | |
Obdachlose, sagt Joachim Lenz von der Stadtmission. Es gebe aber auch mehr | |
zu tun. | |
Kriminologe über Unsicherheitsgefühle: „Eine verwirrende Weltlage“ | |
Kriminologe Nils Zurawski glaubt, dass die zunehmenden Unsicherheitsgefühle | |
vieler Menschen nicht nur mit Kriminalität zu tun haben. | |
Kriminalitätsstatistik in Niedersachsen: Weniger Einbrüche, mehr Angst | |
In Niedersachsen gibt es weniger Einbrüche, zeigt die | |
Kriminalitätsstatistik. Trotzdem haben Einwohner mehr Angst davor, dass | |
Täter in die eigene Wohnung eindringen. | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Wenn ich mir was wünschen dürfte … | |
Montag stellt Michael Wolff stellt sein Buch über Donald Trump vor. Andere | |
Veranstaltungen widmen sich den russischen Geheimdiensten, den Themen | |
Schule, Flucht und Obdachlosigkeit. | |
Ratsfrau über Wohnungen für Obdachlose: „Der Leistungsdruck muss weg“ | |
Die Stadt Hannover plant ein Projekt, in dem Obdachlose einfach eine | |
Wohnung bekommen. Mit „Housing First“ können sie ankommen, bevor sie ihre | |
Probleme angehen. | |
Wohnungslosenhilfe in Berlin: Mit dem Rücken zur Wand | |
Günstiger Wohnraum wird knapper, immer mehr Menschen verlieren ihr Zuhause. | |
Eine Strategiekonferenz soll ab Mittwoch Abhilfe schaffen. | |
Petition der Woche: Ein Obdach, auch tagsüber | |
Morgens um halb zehn werden die Obdachlosen in Hamburg zurück auf die | |
Straße geschickt. Jörg Petersen will, dass sich daran etwas ändert. | |
Sozialämter und Obdachlose: „Täglich Recht gebrochen“ | |
Armutsforscherin Susanne Gerull spricht über den Umgang mit Wohnungslosen. | |
Sie sagt: Der Staat verstößt gegen seine Unterbringungspflicht. | |
Berliner Wochenkommentar I: Scheitern? Bitte woanders! | |
Die Debatte über Obdachlose aus Osteuropa, die vor allem im Tiergarten | |
campieren, treibt seltsame Blüten. Über Vor- und Nachteile einer | |
globalisierten Welt. |