| # taz.de -- Bildungsgerechtigkeit: „Ich bin eine Strebermigrantin“ | |
| > Maja Lasić ist eine der neuen HoffnungsträgerInnen der SPD-Fraktion. Mit | |
| > der taz spricht sie über Schulpolitik – und warum sie nicht | |
| > Fraktionschefin werden will. | |
| Bild: Maja Lasić in ihrem Bürgerbüro in der Brunnenstraße | |
| taz: Frau Lasić, seit Freitag verhandelt Ihre Partei mit der CDU/CSU über | |
| eine Große Koalition. Große Teile der Basis, auch des Berliner | |
| Landesverbands, waren dagegen. Macht es gerade Spaß, für die SPD Politik zu | |
| machen? | |
| Maja Lasić: Wir sind alle ziemlich skeptisch gegenüber der Großen | |
| Koalition. Das einzige, was uns unterscheidet, ist: Wie kategorisch lehnen | |
| wir die Groko ab? | |
| Wie kategorisch lehnen Sie sie ab? | |
| Ich glaube nicht, dass der Koalitionsvertrag in dem Maße soziale | |
| Verschiebungen mit sich bringen wird, die notwendig wären für das Land und | |
| für uns als SPD. Wir müssen bei den nächsten Wahlen mit einem klaren | |
| sozialdemokratischen Programm antreten. Das können wir nur, wenn wir vorher | |
| in der Opposition waren oder diese Politik in einer Koalition umgesetzt | |
| hätten. | |
| Sie mögen die Groko nicht. Seit Ihrer Fraktionsklausur in Hamburg Mitte | |
| Januar kann man den Eindruck haben, dass Sie die rot-rot-grüne Koalition in | |
| Berlin auch nicht mehr wollen. Zumindest nicht mit einer linken | |
| Bausenatorin Katrin Lompscher. | |
| Das täuscht. Es ist so, dass wir uns beim Wohnungsbau mehr Engagement | |
| wünschen. Unsere Koalitionspartner äußern ihre Wünsche auch, siehe | |
| Neutralitätsgesetz. | |
| Die Grünen wollen, im Gegensatz zur SPD, muslimischen Lehrerinnen im Dienst | |
| das Kopftuch erlauben. Aber noch mal zum Wohnungsbau: Tatsächlich wäre die | |
| Einrichtung einer Wohnungsbauleitstelle in der Senatskanzlei, wie sie die | |
| SPD fordert, eine Entmachtung der Bausenatorin. | |
| Das mit der Leitstelle ist ein Thema für sich. Tatsache ist aber, dass wir | |
| eine Lösung finden müssen, wenn es zu Unstimmigkeiten zwischen Bezirken und | |
| Land kommt. Das ist wie beim Schulbau … | |
| … wo die Landesebene künftig neu bauen und auch Sanierungsvorhaben umsetzen | |
| soll. | |
| Da haben wir sechs CDU-Bildungsstadträte. Da frage ich mich manchmal, ob es | |
| manchen von ihnen primär um das Amt geht oder um die Partei. Wenn sich die | |
| Bezirke querstellen, brauchen wir die Möglichkeit, einzugreifen. Mit einer | |
| Entmachtung der Bezirke, was uns oft in den Mund gelegt wird, hat das | |
| nichts zu tun. | |
| Bei der Senatsklausur am Dienstag (30. Januar) wird das ein Thema sein. Ist | |
| das die nächste Zerreißprobe zwischen SPD und Linkspartei? | |
| Da wird es bestimmt eine einvernehmliche Lösung zwischen Frau Lompscher und | |
| dem Regierenden Bürgermeister geben. | |
| Stichwort Zerreißprobe: Sie und andere Fraktionskollegen haben im November | |
| in einem Offenen Brief Ihren Chef Raed Saleh kritisiert und ihm mangelnde | |
| Bürgernähe und wenig Interesse an versierter Fachpolitik vorgeworfen. War | |
| das Ihrerseits nicht ein, sagen wir mal, Vatermord? Als Parlamentsneuling | |
| wird man ja nicht gleich bildungspolitische Sprecherin … | |
| Ich bin definitiv nicht diejenige, die die Anti-Saleh-Bewegung anführt. | |
| Aber ich kann erklären, aus welcher Logik heraus ich unterschrieben habe: | |
| Ich möchte gute Fachpolitik machen. Da habe ich im letzten Jahr die | |
| Erfahrung gemacht, dass es durchaus Bereiche gibt, die mäßig bis stark | |
| ausbaufähig sind. Wir brauchen einen Prozess, der die Arbeit in der | |
| Fraktion weiterentwickelt. Wir haben eine Woche vor der Klausur damit | |
| angefangen. Aber wir sind noch nicht fertig damit. | |
| Nächstes Jahr wird der Fraktionsvorstand neu gewählt. Es wurde bereits über | |
| eine Doppelspitze diskutiert. Sind Sie dafür? | |
| Ich bin grundsätzlich ein Fan von Doppelspitzen. Ich wäre in der Partei | |
| dafür, aber auch in der Fraktion. Das hat weniger mit der aktuellen | |
| Diskussion in der Fraktion zu tun als vielmehr mit den Dynamiken, die eine | |
| solche Doppelspitze erzeugt. Andere Parteien fahren sehr gut damit. | |
| Das wäre ein neuer Affront gegen Saleh. | |
| Das hängt davon ab, wie man es diskutiert. Ich sehe es nicht als Affront. | |
| Und die Ko-Fraktionschefin heißt dann Maja Lasić? | |
| Ich bin Fachpolitikerin. Ich will nichts anderes machen. | |
| Ein Sprung in Ihre Vergangenheit: Sie sind als Jugendliche mit Ihren Eltern | |
| aus Bosnien geflohen. Wie sehr bestimmt diese Fluchterfahrung Ihr | |
| politisches Handeln? | |
| Ich bin als 14-jähriges Mädchen 1993 aus Bosnien nach Deutschland gekommen. | |
| Ich kann so gut wie jeden Aspekt meiner Persönlichkeit in den Kontext der | |
| Migration und des Ankommens in Deutschland einordnen. | |
| Und angekommen sind Sie: Sie haben in Biochemie promoviert und sind dann in | |
| die Pharmabranche gegangen. | |
| Als ich ungefähr 30 war, habe ich festgestellt, dass ich keine Lust habe, | |
| die nächsten 30 Jahre nur Geld zu verdienen. Ich wollte etwas machen, wo | |
| ich die Sinnhaftigkeit dahinter erkenne. Wenn ich mir meinen Freundeskreis | |
| aus den ersten Jahren in Deutschland anschaue, muss ich sagen, dass | |
| Werdegänge wie der meine, in denen vieles gut geklappt hat, nach wie vor | |
| die Ausnahme sind. Mein Beitrag soll sein, dass mehr benachteiligte | |
| Jugendliche erfolgreiche Bildungswege gehen. | |
| Sie haben dann zwei Jahre als Hilfslehrerin an einer Weddinger Schule | |
| unterrichtet. Warum sind Sie nicht geblieben? Da hätten Sie vor Ort ganz | |
| konkret etwas verändern können. | |
| Das war eine harte Entscheidung. Vor Ort kann man aber vor allem Schicksale | |
| einzelner Schülerinnen und Schüler beeinflussen. In der Politik dreht man | |
| an anderen Schrauben. | |
| Manchmal dreht man auch lange vergeblich. | |
| Angst vor Frust ist der falsche Ratgeber, wenn man in die Politik gehen | |
| will. | |
| Von Ihrem Job in der Pharmabranche, mit Dienstwagen und übervollem Konto, | |
| wie Sie mal sagten, an eine Brennpunktschule im Wedding: Sind Sie eine | |
| mutige Frau? | |
| Ich bin nicht alles, was ich gerne wäre, aber mutig bin ich. | |
| Sind Sie, wie es die polnischstämmige Autorin Emilia Smechowski in ihrem | |
| Buch über polnische Einwanderer schreibt, eine Strebermigrantin? | |
| Ja, ich bin eine Strebermigrantin. | |
| Ihre Migrationsgeschichte macht Sie ja nicht nur glaubwürdig, es nützt | |
| Ihnen auch. | |
| Das ist ein Vorwurf, der mit permanent entgegenschlägt. Sie formulieren es | |
| nicht als Vorwurf, aber innerhalb der Partei wird das immer wieder als | |
| Vorwurf formuliert. | |
| Inwiefern? | |
| Dass ich Teile meiner Biografie nutze, um mich selber zu profilieren. Aber | |
| das lasse ich an mir abprallen. Mein offensives Umgehen mit meiner | |
| Migrationsgeschichte zielt ja auf eine Vorbildfunktion, die ich erfüllen | |
| will. Wenn ich zum Beispiel mit Geflüchteten rede, und ihnen erzähle, dass | |
| ich fünf Jahre nur geduldet wurde: Erst dann realisieren sie, dass ich mal | |
| in der selben Lage wie sie war und erfolgreiche Wege für sie in Deutschland | |
| vielleicht auch möglich sind. | |
| Sie haben gesagt, Sie wollen verändern, an den großen Schrauben drehen. | |
| Welche sind das? | |
| Sie fragen nach dem roten Faden? | |
| Genau. Was ist Ihr Masterplan? | |
| Ich bin im Alltag bis aufs Blut pragmatisch. Gleichzeitig glaube ich, dass | |
| es entscheidend ist, dass man eine innere Vision hat: Wofür macht man das | |
| Ganze? Meine Vision ist das klassische Ziel sozialdemokratischer Politik: | |
| die Schere zwischen bildungsbenachteiligten Schülern, vor allem auch | |
| solchen aus migrantischen Familien, und der Mehrheitsgesellschaft zu | |
| verringern. | |
| Das wollten schon viele vor Ihnen. Die Schere ist nicht kleiner geworden. | |
| Manche Erfolge werden größer sein, andere kleiner. Zum Beispiel die Zulage | |
| für Lehrer in Brennpunktschulen, die wir in der Koalition beschlossen haben | |
| und wo wir gerade noch in der Diskussion sind, wie wir die ausgestalten: ob | |
| es Geld gibt, oder eine entlastende Stundenreduzierung. Das ist so ein | |
| Erfolg, das fügt sich in meine Vision der Umverteilung. Ich will, dass wir | |
| hier im Wedding, in meinem Wahlkreis, einmal die besten Schulen der Stadt | |
| haben. | |
| Da werden Sie noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Immer mehr | |
| Berliner Schüler gehen auf Privatschulen, aktuell ist es jeder zehnte. | |
| Die sind überhaupt kein Widerspruch zu meiner Vision. Ich bin keine | |
| Gegnerin von Privatschulen, auch wenn das anders berichtet wurde. Der Punkt | |
| ist: Wir müssen die privaten Schulen dazu bringen, ihren Teil der | |
| Verantwortung wahr zu nehmen, wenn es um soziale Durchmischung geht. | |
| Da gab es zuletzt gerade Krach mit Ihrem grünen Koalitionspartner um die | |
| künftige Finanzierung der freien Schulen. Die Grünen wollen alle freien | |
| Schulen besser finanzieren, plus einem Bonus obendrauf, wenn sie auf die | |
| soziale Mischung achten. Sie sagen: Wir müssen den Schulen, die das nicht | |
| tun, etwas wegnehmen. | |
| Wir haben Privatschulen, da gehen kaum Kinder aus ärmeren Familien hin, | |
| unter 5 Prozent. Manche haben überhaupt keine benachteiligten Kinder. Ich | |
| sage: Diese Schulen dürfen in einem ersten Schritt gerne etwas weniger Geld | |
| bekommen. Denn wann werden sich diese Schulen damit befassen, wie sie ihre | |
| Durchmischung steigern können? Wenn man alles so belässt, wie es ist? Ich | |
| glaube nicht. Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir in der Koalition das | |
| gleiche Ziel haben. Der Mut ist nur unterschiedlich stark ausgeprägt. | |
| Wenn man mutig ist, müsste man da bei dem Thema Segregation durch Bildung | |
| nicht sagen: eine Schule für alle? Die Gemeinschaftsschule, wo alle Kinder | |
| von der Grundschule bis zum Abitur lernen, ist in Berlin lange Jahre | |
| wissenschaftlich begleitet worden – mit dem Ergebnis, dass sie am ehesten | |
| eine Antwort auf dieses Problem ist. | |
| Ich behaupte: Segregation ist nichts, was sich nur durch eine | |
| Schulstrukturreform lösen lässt. Auch mit der Gemeinschaftsschule als | |
| einziger Schulform hätten Sie innerhalb des Systems wahrscheinlich bald ein | |
| Gefälle. Wir müssen das anders lösen. Wenn ich sage, ich will die besten | |
| Schulen hier im Wedding, dann muss ich überlegen, wie ich die Schulen hier | |
| so attraktiv mache, dass die bildungsorientierten Eltern bleiben. | |
| Wie wollen Sie das machen? | |
| Bei einigen Schulen ist das schon gelungen: Zum Beispiel die | |
| Gustav-Falke-Schule im Brunnenviertel. Der Anteil von lernmittelbefreiten | |
| Schülern hat sich von 90 auf 70 Prozent verringert. Das liegt auch an dem | |
| starken naturwissenschaftlichen Profil, das die Schule inzwischen hat. Wir | |
| haben demnächst die ersten Fälle von Elternklagen, die dort keinen | |
| Schulplatz für ihre Kinder bekommen haben, sie aber unbedingt dort | |
| einschulen wollen. Das ist mal etwas Neues. | |
| Sie haben im Wahlkampf 2016 an viele Türen geklopft. Sind hier im angeblich | |
| bildungsfernen Wedding wirklich alle so desinteressiert, was mit ihrem Kind | |
| geschieht? | |
| Nein. Das Problem ist ein anderes. Es ist eine nicht ausreichend vorhandene | |
| Kenntnis darüber, wie das Bildungssystem hier funktioniert. Da muss man die | |
| Eltern mitnehmen. Das ist jetzt vielleicht sehr weich formuliert. Aber ich | |
| glaube, nur so funktioniert es. | |
| Welche Note geben Sie der rot-rot-grünen Koalition? | |
| (Denkt nach) Wirklich schwere Frage. Eine „Drei plus“. | |
| Tendenz also steigend? | |
| Ja. | |
| Warum kommt das beim Wähler nicht an? Die Berliner Landesregierung hat die | |
| schlechtesten Beliebtheitswerte im Bundesvergleich. | |
| Und das wurmt mich. Aber ich sage Ihnen, woran das meiner Meinung nach | |
| liegt. Das Beispiel Schulbau: Da findet der größte Teil der Vorarbeit jetzt | |
| statt. Aber die meisten dieser neuen Schulen werden nicht vor 2021 stehen. | |
| Die Erfolge sind noch nicht sichtbar. Und das gilt auch für andere | |
| Bereiche, wie etwa bei der Verwaltungsreform. Deshalb mache ich mir schon | |
| jetzt Sorgen um die nächste Wahl. Wir machen gute Arbeit, aber das Gefühl | |
| in der Stadt passt nicht dazu. | |
| 29 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
| Uwe Rada | |
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