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# taz.de -- Klage der Herero gegen Deutschland: Völkermord? Nicht zuständig
> Vor einem Jahr haben die Nachfahren der Opfer des Genozids Klage in New
> York eingereicht. Die Bundesregierung ignoriert sie.
Bild: Vertreter der Herero und Nama in Trachten bei einer Anhörung im Verfahre…
In der an Volten wahrlich nicht armen Geschichte der deutschen
Auseinandersetzung mit dem kolonialen Genozid in Deutsch-Südwestafrika, dem
heutigen Namibia, steht dieser Tage eine für die Bundesrepublik Deutschland
unangenehme Konfrontation an. Es geht um die Zulässigkeit der Klage, die
Vertreter der betroffenen Volksgruppen Herero und Nama vor einem Jahr in
New York gegen Deutschland [1][einreichten].
Seit Herbst 2015 verhandelt Berlin mit der namibischen Regierung über eine
Anerkennung des Völkermords, eine Entschuldigung und auch finanzielle
Leistungen. Da sie sich nicht angemessen an den Gesprächen beteiligt sahen,
verklagten Vertreter von Herero und Nama im Januar 2017 in New York die
Bundesregierung auf eine offizielle Beteiligung an den Verhandlungen und
auch auf Reparationen.
Um die Zulässigkeit dieser Klage zu prüfen, hat die zuständige
Bezirksrichterin Laura Swain bereits drei Mal zu Anhörungen geladen.
Offizielle Vertreter Deutschlands erschienen zu keinem dieser Termine.
Deutschland verneint die Zuständigkeit des Gerichts, da es dem Grundsatz
der Staatsimmunität widerspreche. Danach können „hoheitliche“ Akte eines
Staates nicht durch Gerichte eines anderen Staates überprüft werden, im
vorliegenden Fall etwa die Taten deutscher Soldaten im Krieg.
Unter Hinweis darauf verweigerte der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt
(Grüne) bereits im vergangenen Sommer die Zustellung der Klageschrift an
die Bundesregierung. Als Justizsenator obliegt ihm normalerweise diese
Aufgabe. Das Auswärtige Amt konnte sich so auf den Standpunkt stellen, von
der Klage nicht zu wissen und deshalb in New York auch nicht zu erscheinen.
Der angesetzte Anhörungstermin im Juli fiel aus. Auch im Oktober erschien
Deutschland nicht offiziell, worauf Richterin Swain eine erneute Anhörung
für den 25. Januar 2018 ansetzte, und erklärte, dann notfalls auch ohne
Deutschlands Anwesenheit entscheiden zu wollen.
Um die Gerichtspapiere zuzustellen, bedienten sich die Anwälte der Herero
und Nama daraufhin des US-Außenministeriums, und in der Tat übermittelte
die US-Botschaft in Berlin am 15. November die Klageschrift. Das heißt: Sie
versuchte es, denn die Annahme wurde wieder verweigert. Das Auswärtige Amt
erklärte: „Die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt nicht, sich in
dieser Angelegenheit der US-Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Sie betrachtet
somit die Übermittlung der Dokumente (…) nicht als rechtswirksame
Zustellung.“
Das hätte es gewesen sein können. Es handelt sich um eine stringente
Position. Wie tragfähig sie wirklich ist, können nur Gerichte feststellen,
aber einer solchen Feststellung will sich die Bundesregierung nicht
aussetzen. Das ist ärgerlich und auch beschämend, bedenkt man, dass der
Hintergrund dieses Streits ja der 2015 von der Bundesregierung vollmundig
angekündigte Versuch ist, historisches Unrecht zu bewältigen.
## Lückenhafte Aussöhnung als Staatsräson
In Deutschland wurde die Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten
Weltkrieg zu einem wesentlichen Element der deutschen Identität, die
Anerkennung historischer Schuld und die damit verbundene Aussöhnung zu
einem Teil der Staatsräson. Dies ermöglichte Deutschland nach dem
Verbrechen des Dritten Reiches den Wiedereintritt in den Kreis der
„zivilisierten“ Nationen, wie es hieß. Und in der Tat wurde hier
Beachtliches geleistet. So stolz waren viele, dass deutsche Politiker in
den letzten Jahren Deutschland der Türkei wiederholt als Vorbild für den
Umgang mit einer genozidalen Vergangenheit empfahlen. 2016 erfolgte die
offizielle Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch den
Bundestag.
Dass diese Bereitschaft für den zehn Jahre zuvor von deutschen Truppen
verübten Genozid in Deutsch-Südwestafrika nicht gilt, ist schwer zu
vermitteln. Dass versucht wird, die Klage der Nachfahren der Opfer durch
völkerrechtliche Winkelzüge ins Leere laufen zu lassen, statt mit ihnen
einen offenen Dialog zu suchen, ist beschämend. Es braucht eine breite
Diskussion der historischen Umstände und der Möglichkeiten des kritischen
Umgangs damit. Die Frage nach der Pflicht zur Reparation bedarf der
juristischen Klärung. Wenn man das nicht in New York will, hätte man das ja
auch andernorts klären können. Das aber unterblieb. Die deutsche Regierung
scheint an einer breiten, ergebnisoffenen Debatte und Auseinandersetzung
kein Interesse zu haben. Die Klage der Herero und Nama gegen Deutschland
ist eine Folge davon.
Interessanterweise lehnt Deutschland die Zuständigkeit des New Yorker
Gerichts nun auch mit dem Hinweis ab, es handele sich um ein deutsches
Problem, die Herero sollten in Deutschland ihr Recht suchen. Seiner eigenen
Strategie des Ignorierens offenbar nicht mehr ganz vertrauend, beantragte
Deutschland durch seinen US-amerikanischen Anwalt am 12. Januar 2018 in
einem Schreiben an das New Yorker Gericht die Einstellung des Verfahrens.
Über die Staatsimmunität hinaus verwies er auf den Umstand, dass Herero und
Nama zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Verbrechen dem damaligen deutschen
Recht unterworfen gewesen seien. Sie hätten deshalb auch heute zuerst
Abhilfe in Deutschland zu suchen. Das sei aber nicht passiert. Auch deshalb
sei das Verfahren einzustellen.
Die Begründung des deutschen Antrags zeigt überdies erneut, dass dem
juristischen Begriff „Genozid“ eine Schlüsselbedeutung zukommt, etwa beim
Vorwurf der Herero und Nama, sie seien im Zusammenhang mit dem Genozid
enteignet worden. Das ist historisch zutreffend! Allein der Anwalt
Deutschlands weist diesen Vorwurf, der wohl auch dazu dienen soll,
Wiedergutmachungsforderungen zu begründen, dadurch zurück, dass er den
Begriff des Genozids, der 1948 internationales Recht wurde, als nicht
rückwirkend gültig erklärt. „Der juristische Begriff des Völkermordes“,…
das Schreiben, „ist auf die mutmaßlichen Gräueltaten, die zwischen 1885 und
1909 stattfanden, nicht anwendbar.“
## Es ist nur noch von „Gräueltaten“ die Rede
Auch dies verdeutlicht, warum Deutschland sich so schwer mit dem Begriff
des Völkermordes tut. In Namibia kursiert das Gerücht, auch die deutsche
Delegation bei den laufenden Regierungsverhandlungen würde vom Begriff des
Völkermordes abrücken, stattdessen lieber von „atrocities“ (Gräueltaten)
sprechen – ein Begriff, bei dem man keine juristischen Folgen befürchtet.
Der deutsche Botschafter in Namibia sprach öffentlich in letzter Zeit
ebenfalls von Gräueltaten statt von Genozid.
Was genau in den deutschen Vorschlägen an die namibische Regierung steht,
ist unbekannt. Wenn Genozid dort deutlich als solcher benannt ist, ist
diese Geheimniskrämerei, die der gesellschaftlichen Aussöhnung völlig
unangemessen ist, noch bedauerlicher, denn sie schürt Misstrauen.
Angemessener wäre es von Anfang an gewesen, den Genozid im Bundestag ohne
Wenn und Aber anzuerkennen, wie man es im Falle Armeniens ja auch tat.
Dieser Fehler ist kaum mehr zu korrigieren. Sehr viel Wohlwollen wurde
verspielt, Prestige beschädigt.
Das Gericht in New York hat übrigens den deutschen Antrag auf
Verfahrenseinstellung ausgesetzt, wegen eines Formfehlers. Ein derartiger
Antrag bedürfe nämlich des Nachweises, dass man versucht habe, sich mit der
Klägerseite zu einigen. Diese fehlten. Was nicht verwundert, ist doch ein
Grund der Klage der Herero, dass die Bundesregierung nicht offiziell mit
ihnen spricht.
Da nun aber die Bundesregierung in das Verfahren eingegriffen hat, wird
auch erwartet, dass sie bei der nächsten Anhörung am 25. Januar präsent
ist. Ihren Einstellungsantrag darf sie derweil bis zum 9. Februar
nacharbeiten. Wenn sich auch dahinter eine tiefere deutsche Strategie
verbirgt, dann entzieht sich diese dem Laien. Winkeladvokatentum wäre auch
dies, mit dem Ziel, der Auseinandersetzung über die Ereignisse von vor 114
Jahren und ihren Konsequenzen aus dem Weg zu gehen. Beschämend!
24 Jan 2018
## LINKS
[1] /Deutschlands-Voelkermord-in-Namibia/!5368796
## AUTOREN
jürgen Zimmerer
Jürgen Zimmerer
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