| # taz.de -- Erinnerung an Alfred Ries in Bremen: Der fast vergessene Präsident | |
| > Lange war der jüdische Werder-Präsident Alfred Ries in Vergessenheit | |
| > geraten. Eine Recherche von Fans fördert 2017 die bewegte Biografie des | |
| > NS-Überlebenden zutage. | |
| Bild: Fast zu übersehen: Einige Fans finden, dass sich Werder gründlicher mit… | |
| BREMEN taz | Der Grabstein war bereits halb versunken und überwuchert, die | |
| Inschrift kaum noch lesbar. Nur mit Mühe entzifferte Thomas Hafke vom | |
| Fanprojekt Bremen den dort eingravierten Namen Alfred Ries. Dass mit Ries | |
| ein ehemaliger Werder-Präsident auf dem jüdischen Friedhof im Bremer | |
| Ortsteil Hastedt liegt, wusste Thomas Hafke erst, als er bei einer | |
| Veranstaltung der deutsch-israelischen Gesellschaft von Vera Harms aus der | |
| jüdischen Gemeinde angesprochen wurde. Zusammen mit einigen Werder-Fans | |
| machte sich Hafke dann auf die Suche nach dem Grab. | |
| Dass Alfred Ries überhaupt in Bremen begraben liegt, ist erstaunlich. Denn | |
| auf den ersten Blick ist nur schwer zu verstehen, warum er 1946 nach Bremen | |
| zurückkehrte. Die Nazis deportierten und ermordeten seine jüdischen Eltern, | |
| seine Geschwister flohen in die USA, er selbst verließ Deutschland nach | |
| Osteuropa. | |
| Vor der Machtergreifung war Ries Präsident bei Werder Bremen, arbeitete bei | |
| der Firma Kaffee HAG und war Geschäftsführer des unter den Nazis als | |
| „entartet“ verfemten Bremer Architekturdenkmals Böttcherstraße. Immerhin | |
| ermöglichte seine Arbeit bei Kaffee Hag, dass er zunächst als | |
| Handelsvertreter nach Tschechien und später nach Jugoslawien gehen konnte. | |
| Während des Zweiten Weltkrieges geriet Ries mehrfach in Gefangenschaft. | |
| Trotz seiner jüdischen Herkunft konnte er sich jedoch vor der Ermordung | |
| durch die Nazis bewahren – wie genau, ist heute umstritten. Sicher ist, | |
| dass Ries nach Kriegsende wohl aus alter Verbundenheit in seine Heimatstadt | |
| Bremen zurückkam und beim Wiederaufbau half. | |
| Er war bis zu seinem Tod am 25. August 1967 erneut Präsident von Werder | |
| Bremen, im Vorstand des Deutschen Fußballbundes (DFB), Gründer des | |
| Deutschen Sportbundes (DSB) und tat im diplomatischen Dienst | |
| Westdeutschlands allerhand Dinge, für die er noch zu Lebzeiten geehrt | |
| wurde. Werder gewann während seiner Präsidentschaft 1965 die Meisterschaft | |
| in der neu eingeführten Fußballbundesliga und Ries half als Mitbegründer | |
| des DSB mit seiner außenpolitischen Expertise, die Olympischen Spiele 1972 | |
| in die Bundesrepublik zu holen. | |
| Vieles davon wusste kaum noch jemand in Bremen. Selbst Werder-Fans hatten | |
| vielleicht schon mal den Namen Ries gehört, viel mehr aber war nicht über | |
| den 1897 geborenen Präsidenten bekannt. | |
| Ähnlich ging es Thomas Hafke vom Fanprojekt. Er und ein paar Fans | |
| entschlossen sich, die Geschichte von Alfred Ries zu recherchieren, um so | |
| den vergessenen Werder-Präsidenten wieder in Erinnerung zu rufen. Eine der | |
| spannendsten Fragen dabei: Wie konnte Alfred Ries es moralisch | |
| übereinbringen, den Nachfolgestaat des Nationalsozialismus als Betroffener | |
| der Schoah nach außen zu vertreten? | |
| Er selbst sagte dazu einmal: „Wer Versöhnung will, muss sie praktizieren.“ | |
| Es ist Motto und Überschrift der 30-seitigen und schön bebilderten | |
| Broschüre, die das Fanprojekt nach anderthalb Jahren vorlegte. Sie erschien | |
| anlässlich des 50. Todestag von Alfred Ries im vergangenen Sommer – nach | |
| unzähligen Stunden im Archiv, einem Interview mit der 96-jährigen Hilde | |
| Ries, der heute in Wiesbaden lebenden Witwe, und der Auswertung der | |
| Personalakten des Auswärtigen Amtes | |
| Mit der Versöhnung war es dabei im Nachkriegsdeutschland gar nicht so | |
| leicht für Ries. Bekannt ist ein langer Streit mit dem sogenannten „Amt für | |
| Wiedergutmachung“ in Bremen. Diese Amt sollte Entschädigungen an | |
| Schoah-Überlebende zahlen. Ries wurde jedoch unterstellt, in Osteuropa mit | |
| den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben. Ries, so heißt es in den | |
| Akten, sei „für die Gestapo oder wenigstens doch eine deutsche Stelle im | |
| Ausland tätig gewesen“. | |
| Der ehemalige Werder-Präsident schwor an Eides statt, dass dies nicht | |
| stimmte. Allerdings machte er wohl widersprüchliche Aussagen im Rahmen des | |
| Verfahrens hinsichtlich seiner Lage in der Zeit zwischen 1941 und 1945. | |
| ## Kollaborations-Verdacht blieb unbewiesen | |
| Fraglich ist bis heute, wann, wo und warum Ries genau interniert und | |
| gefangen war und von wem er in seiner schwierigen Lage finanziell | |
| unterstützt wurde. Einerseits hatte er angegeben, dass seine Geschwister | |
| ihm geholfen hatten. An anderer Stelle sprach er wohl davon, von einer | |
| jüdischen Gemeinde unterstützt worden zu sein, wobei bis heute unklar ist, | |
| von welcher. Der Streit, über den eine ausführliche Akte im Bremer | |
| Staatsarchiv liegt, zog sich vom Jahr 1947 bis 1954. | |
| Die Behörde stützte sich bei ihren Rückforderungen von | |
| Entschädigungszahlungen auf die Aussagen von Bremer Polizisten und | |
| Gestapo-Männern, die maßgeblich an der Organisation von Deportationen aus | |
| Bremen beteiligt waren. Sie schickten im Juli 1942 auch Ries’ Eltern nach | |
| Theresienstadt und damit in den Tod. | |
| Beweisen kann die Behörde eine Kollaboration allerdings nicht. Zudem wurde | |
| Ries von einem anderen Gestapo-Mann entlastet. Der begründete die | |
| Beschaffung von vermeintlich verdächtigen Gewerbelegitimationskarten als | |
| eine Schutzmaßnahme für den ihm persönlich bekannten Ries. | |
| Abgesehen von den Aussagen der Gestapo-Männer finden sich aus Sicht der | |
| Behörde letztlich keine ausreichenden Indizien, um einen | |
| Kollaborationsverdacht zu bestätigen. Dennoch muss Ries einen Teil seiner | |
| erhaltenen Entschädigungen als Opfer des Nationalsozialismus zurückzahlen, | |
| im Gegenzug wird ein Gerichtsverfahren wegen Falschaussage eingestellt. | |
| Die Broschüre der Fans, an der auch der 34-jährige Historiker und | |
| Werder-Fan Fabian Ettrich mitarbeitete, weist auf den Konflikt und die | |
| Widersprüche in Ries’ Aussagen hin, schließt sie aber als abwegig aus. Das | |
| Wiedergutmachungsverfahren des NS-Verfolgten Alfred Ries zeige | |
| exemplarisch, „mit welchen Vorurteilen, strukturellen Widerständen und | |
| konkreten Antisemitismus Shoa-Überlebende nach dem Zweiten Weltkrieg zu | |
| kämpfen hatten und bis heute haben“. | |
| Ettrich sagte der taz: „Es ist ungeheuerlich, dass die | |
| Wiedergutmachungsbehörde sich auf Zeugen wie den Gestapo-Mann Bruno Nette | |
| stützte. Der hat erst die Deportation der Eltern organisiert und danach den | |
| Sohn belastet.“ Darüber hinaus gebe es keine Indizien, die tatsächlich für | |
| eine Kollaboration sprächen. Deswegen sei das Verfahren schließlich auch | |
| eingestellt worden, so Ettrich. | |
| Ebenfalls im Jahr 2017 erschien ein weiterer Text über Alfred Ries, der | |
| eine deutlich andere Sicht auf dessen Zeit in Jugoslawien hat. Er wurde in | |
| der wissenschaftlichen Sportzeitschrift Sportzeiten des Werkstatt-Verlages | |
| gedruckt und stellte Ries’ „Schicksal der Verfolgung“ infrage. | |
| Der Politikwissenschaftler Arthur Heinrich, der bereits eine politische | |
| Geschichte des DFB und etwa die Biografie des jüdischen Fußballers und | |
| Schoah-Überlebenden Martin Abraham Stock aufschrieb, nimmt dort die | |
| Wiedergutmachungsakte von Alfred Ries auseinander und zeigt | |
| Widersprüchlichkeiten darin auf. Besonders die verschiedenen | |
| Gewerbelegitimationskarten machten den Forscher stutzig. Die Vermutung | |
| Heinrichs: Ries habe als Agent im Auftrag des Deutschen Reichs vor dem | |
| Balkanfeldzug in Jugoslawien spioniert. Auch Heinrich weist dabei auf | |
| Widersprüche hin, benennt aber einen schwer auszuräumenden Verdacht, der | |
| sich allerdings „nicht zweifelsfrei nachweisen“ lasse. | |
| Ettrich kennt die Arbeit von Heinrich. Er erklärt sich den Besitz der | |
| Gewerbelegitimationskarten mit dem „persönlichen Netzwerk“ Alfred Ries’, | |
| also den nach wie vor starken Verbindungen in die bremische Heimat. Er | |
| sagt: „Es ist wahrscheinlich, dass Ries im Ausland weiter | |
| Generalvertretungen für verschiedene Firmen übernommen hat.“ So sei er in | |
| Jugoslawien über die Runden gekommen. | |
| Die Ausweisdokumente, die ihm trotz jüdischer Herkunft weniger | |
| kompliziertes Reisen ermöglicht hätten, habe er über den Leiter des | |
| bremischen Außenhandelskontors, Alfred Dörner, bekommen können. Ries sei | |
| mit ihm zusammen im Bremer Rotary-Club gewesen, den die Nationalsozialisten | |
| nach der Machtergreifung verbaten. Bei Neugründung nach dem Krieg wird | |
| Alfred Ries erneut Mitglied bei Rotary. | |
| Die widersprüchlichen Angaben zu Einkünften und Haftzeiten reichen Ettrich | |
| und den anderen Werder-Fans für einen Kollaborationsverdacht nicht aus. | |
| Natürlich müsse man trotzdem die Ambivalenzen transparent abbilden, wie man | |
| es in der Broschüre auch getan habe, sagt Ettrich. An der Arbeit von | |
| Heinrich kritisiert er zudem, dass dieser sich in seiner Recherche den | |
| Aussagen der Gestapo-Männer zu viel Gewicht beigemessen habe und sich bei | |
| der Rekonstruktion von Ries’ Zeit im Zweiten Weltkrieg zu stark an den | |
| Akten der Wiedergutmachungsbehörde orientiert habe. | |
| ## Noch nicht mal bei Wikipedia | |
| Aus Sicht von Ettrich gibt es noch viele offene Punkte, an denen man weiter | |
| recherchieren könnte. Es sei etwa nicht genug Zeit gewesen, die Lokalpresse | |
| in der Zeit vor 1933 angemessen zu sichten, um nachzuvollziehen, wie ein | |
| zunehmend antisemitisches Klima Einfluss auf den jüdischen Geschäftsführer | |
| der Böttcherstraße gehabt haben müsste. Ebenso bräuchte es eine genauere | |
| Prüfung der Lager, in denen Ries in Jugoslawien interniert war. Zudem | |
| wissen man wenig über Ries’ Zeit bei der deutschen Tabak-Gesellschaft und | |
| über seine Schulzeit an der Schule am Doventor. | |
| „Zu Beginn kannte ich nicht einmal den Namen Alfred Ries, im Laufe der | |
| Recherche habe ich mich immer mehr darüber gewundert, warum ich so wenig | |
| über ihn wusste“, sagt Ettrich. Vor Kurzem hatte Ries nicht einmal einen | |
| Wikipedia-Eintrag. Und weder DSB noch DFB hatten die Arbeit des | |
| Sportfunktionärs gewürdigt. | |
| Warum er überhaupt unter diesen Umständen in Bremen blieb, erklärt Ettrich | |
| mit Ries’ verbindlicher und offener Persönlichkeit. „Über Werder, den | |
| Rotary-Club, den er in Bremen mitgründete, und die jüdische Gemeinde hatte | |
| Ries eine enge Bande nach Bremen. Das hat ihm Halt gegeben.“ Insbesondere | |
| ein Vermerk in der Personalakte des Auswärtigen Amtes lobt Ries’ „offene | |
| und kommunikative Art“. Dort steht: „Er ist jederzeit in der Lage, mit | |
| Kollegialität und Herzlichkeit Menschen für sich zu gewinnen.“ | |
| Viele Bilder aus dem Privatarchiv seiner Witwe Hilde Ries zeigen seine | |
| Person sowohl als Sportfunktionär und als Botschafter: Lächelnd mit Kindern | |
| in Liberia beim Staatsempfang des Bundespräsidenten Heinrich Lübke, | |
| diskutierend mit Sepp Herberger, dem Weltmeister-Trainer von 1954, lachend | |
| mit der Sturmlegende Fritz Walter, scherzend mit dem Boxweltmeister Peter | |
| Müller – aber auch elegant und streng nach Etikette, etwa beim angedeuteten | |
| Handkuss für Queen Elizabeth II. während ihres Staatsbesuchs in Liberia und | |
| beim Händeschütteln mit dem jugoslawischen Diktator Josip Tito. | |
| Nick Heilenkötter ist 19, Werder-Fan und steht jedes Spiel in der Ostkurve. | |
| Er hat die Broschüre designt und mit einem übersichtlichen Zeitstrahl | |
| versehen. Der Student war überrascht von der facettenreichen Biografie des | |
| ehemaligen Präsidenten. Er sagt, die Beschäftigung mit der Historie des | |
| Vereins habe auch sein Verhältnis zu Werder verändert. | |
| Erschreckend sei es gewesen, dass Werder sich direkt und in vorauseilendem | |
| Gehorsam nach 1933 dem Führerprinzip verschrieb. Ab Anfang 1934 durften | |
| Juden keine Mitglieder mehr sein. In kürzester Zeit wurde Werder zum | |
| nationalsozialistischen Vorzeigeverein. | |
| Angesichts dessen findet Heilenkötter, dass der Verein in Bezug auf die | |
| Aufarbeitung von Ries’ Biografie ruhig noch mehr hätte tun können. | |
| Vielleicht ist der einmal kolportierte Verdacht auf Kollaboration aus der | |
| Nachkriegszeit der Grund, warum eine Persönlichkeit wie Alfred Ries so | |
| lange in Vergessenheit geraten konnte. Hatte etwa Werder Bremen deswegen | |
| Angst, die Biografie ihres immerhin dreifachen Präsidenten mit fünf | |
| Amtszeiten nachhaltig anzufassen? | |
| Es bleibt abzuwarten, ob der Verein ebenfalls noch einmal die Geschichte | |
| von Alfred Ries aufrollen wird. Nach der Aufarbeitung durch das Fanprojekt | |
| gab es bislang lediglich eine kleine Durchsage im Stadion anlässlich des | |
| 50. Todestages von Alfred Ries. „Werder hat bis jetzt noch keine richtig | |
| große Aktion gemacht und es war auch kein Vereinsvertreter am Grab, als wir | |
| Ries an seinem 50. Todestag gedacht haben“, sagt Heilenkötter. | |
| ## Fanprojekt pflegt das Grab | |
| Zugegen war beim Gedenken am 25. August 2017 immerhin der bremische | |
| Bürgerschaftspräsident Christian Weber, der einen Kranz an Ries’ Grab auf | |
| dem jüdischen Friedhof in Bremen-Hastedt niederlegte. Die Pflege des Grabes | |
| übernimmt nun das Fanprojekt zusammen mit der Antidiskriminierungs-AG, die | |
| auch der Verein unterstützt. Zudem steht am jüdischen Friedhof nun eine | |
| Gedenktafel, die an das Leben des Werder-Präsidenten erinnert. Und auch auf | |
| dem bereits wieder hergerichteten Grab steht der Name Ries nun gut lesbar. | |
| Zum Thema veranstaltet die Heinrich-Böll-Stiftung in Bremen eine | |
| Podiumsdiskussion: „Vergessene Vergangenheit? Jüdische Akteure im Fußball�… | |
| 11. Januar um 19 Uhr im Haus der Bürgerschaft (Festsaal). Dabei sind unter | |
| anderem Marco Bode, Dietrich Schulze-Marmeling, Marcus Meyer und Fabian | |
| Ettrich | |
| 29 Dec 2017 | |
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| Gareth Joswig | |
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