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# taz.de -- Mittäterschaft des DFB in der NS-Zeit: Gnadenloser „Papa Gnädig…
> In Fußballstadien wird der NS-Opfer unter den Sinti und Roma gedacht. An
> der Vernichtung hat ein DFB-Präsident mitgewirkt.
Bild: Gedenkaktion: Freiburger Fans erinnern an historische Verantwortung
Wenn die Zuschauer am 1. Februar in der Mainzer Arena auf den Anpfiff des
Spiels gegen den FC Bayern München warten, werden sie einen Mann den Rasen
betreten sehen, den die meisten von ihnen wahrscheinlich nicht kennen. Dann
wird Romani Rose als Vorsitzender des Zentralrats der Deutschen Sinti und
Roma über den Völkermord an der größten europäischen Minderheit sprechen.
Ab heute erinnert die Initiative „Nie wieder!“ zum 16. Mal in den Tagen um
den 27. Januar mit vielfältigen Aktionen in und um die Stadien an die Opfer
des NS-Regimes. In diesem Jahr geht es hauptsächlich um die NS-Opfer unter
den Sinti und Roma. Etwa 500.000 Mitglieder der Minderheit wurden unter der
NS-Herrschaft ermordet, allein über 21.000 im Vernichtungslager-Auschwitz
Birkenau. Und zu ihnen hat der deutsche Fußball eine sehr konkrete
Verbindung.
Felix Linnemann, ab 1925 [1][DFB-Präsident], galt lange hauptsächlich als
Modernisierer und Entdecker des späteren Weltmeistertrainers Sepp
Herberger. Der Mann mit dem Spitznamen „Papa Gnädig“ habe sich dann wie der
Sport insgesamt von den Nazis instrumentalisieren lassen. Dabei gibt es
genug Zeugnisse, die die aktive Rolle Linnemanns und seiner
Funktionärskollegen bei der frühzeitigen und vollständigen Unterwerfung des
Fußballs unter den Machteroberungsapparat der Nazis zeigen.
Schon im April 1933 weit vor den Nürnberger Rassegesetzen, erklärte der DFB
im kicker, dass „Juden und Marxisten in führenden Stellungen der Vereine
nicht mehr tragbar“ seien. Und 1934 schrieb Linnemann, [2][die Aufgabe des
DFB] bestehe darin, „seine Mitglieder zu staatstragenden, einsatzbereiten
Volksgenossen des nationalsozialistischen Staates heranzubilden“.
## Linnemann's Verfolgungseifer
Noch verheerender wirkte Linnemann in seiner beruflichen Karriere bei der
Kriminalpolizei. „Dass diese von echt nationalsozialistischem Geiste
durchdrungen sein muss, erscheint im Hinblick auf das einheitliche
Volksempfinden und den Geist der nationalsozialistischen Polizei
selbstverständlich“, schrieb Linnemann im Jahr 1936. Mit dieser Haltung
brachte er es 1939 zum Leiter der Kripoleitstelle Hannover, die bis auf den
Nordwesten für das Gebiet des heutigen Niedersachsens zuständig war.
In diesem Gebiet war er ab 1939 hauptverantwortlich für alle Maßnahmen
gegen die Minderheit der Sinti und Roma. Und auch hier führte er, wie der
Historiker Hubert Dwertmann herausgefunden hat, nicht nur Befehle des
Reichssicherheitshauptamtes aus, sondern verschärfte sie sogar – wie den
Festsetzungserlass von 1939, der die Voraussetzung für die späteren
Deportationen in die Vernichtungslager schuf. „Werden Zigeuner nach dieser
Auflage angetroffen, die ihren Wohnsitz verlassen haben, so sind sie
festzunehmen und der Kriminalpolizeistelle zur Überführung in ein
Konzentrationslager zuzuführen“, ergänzte Linnemann den Festsetzungserlass
eigenhändig.
„Die Linnemann’schen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Verfolgung der Sinti
und Roma zeugen also nicht nur von einer systematischen Tatbeteiligung in
der Umsetzung der Vorgaben des Reichssicherheitshauptamtes, sondern die
eigenmächtigen Stellungnahmen verweisen über die Funktion hinausgehend auf
die persönliche Beteiligung Linnemanns“, sagt Hubert Dwertmann im Gespräch
mit der taz.
In Linnemanns Kripoleitstelle wurde laut einer Aussage von Erna Trollmann,
einer Schwägerin des im KZ Neuengamme ermordeten Boxers Rukeli Trollmann,
„entschieden, welche Sinti in die KZs deportiert wurden, welche
sterilisiert wurden und welche Zwangsarbeit leisten sollten“. Aus dem
Gebiet des heutigen Niedersachsens wurden in den ersten Märzwochen 1943
mindestens 700 Sinti und Roma ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau
deportiert, die meisten aus Linnemanns Verantwortungsgebiet.
Linnemanns Aufstieg ging weiter, die SS ernannte ihn zum Standartenführer,
als Polizist wurde er zum Regierungsdirektor und schließlich direkt ins
Reichssicherheitshauptamt befördert. Nach dem Krieg wurde er aufgrund
seiner Funktion bei der Kriminalpolizei kurz in einem Lager der Lüneburger
Heide interniert, aber bereits nach einem halben Jahr wieder entlassen. In
Steinhorst, wo er 1948 starb, ist bis heute ein Platz nach ihm benannt. Und
auch im Juli 2019 vermeldete die Website des SV Steinhorst von 1932 wie
jedes Jahr: „Für das leibliche Wohl ist gesorgt. Der SV Steinhorst lädt
alle Bürger/innen und Gäste recht herzlich zum Felix-Linnemann-Sportfest
ein.“
Alle historischen Zitate nach Hubert Dwertmann
Ralf Lorenzen ist taz-Autor und hat an der Organisation des Erinnerungstags
in Bremen mitgearbeitet.
25 Jan 2020
## LINKS
[1] /Wahl-des-DFB-Praesidenten/!5606376
[2] /Fussball-im-Dritten-Reich/!5178341
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
## TAGS
Sinti und Roma
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
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