| # taz.de -- Lebensläufe: Spielräume unterm Hakenkreuz | |
| > Was möglich war im Fußball während der Nazi-Zeit, fragt eine Ausstellung | |
| > in Hamburg. Sie erzählt von Tätern, Zwangsarbeitern und Juden. | |
| Bild: Fußballfreunde: Hitler, Goebbels und Heß (3. bis 5. v.r.) am 7. August … | |
| HAMBURG taz | Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, im Sommer 1939, | |
| schloss sich der 18-jährige Fußballer Rolf Rohrberg dem VfB Peine an. Doch | |
| obwohl der junge Mann in den folgenden Jahren nur bei gelegentlichen | |
| Heimaturlauben für den Verein spielen konnte – das „Großdeutsche Reich“ | |
| führte Krieg, und Rohrberg musste mit – tauchte sein Name regelmäßig in der | |
| Fußball-Woche und im Kicker auf (solange diese Publikationen noch | |
| erscheinen konnten). Denn der gebürtige Braunschweiger schoss Tore: für den | |
| VfB Königsberg, den Luftwaffen-Sportverein Stettin, Hertha BSC und am 29. | |
| April 1945 – als britische Truppen bei Geesthacht frühmorgens schon die | |
| Elbe überquert hatten – erstmals für den HSV gegen Altona 93. | |
| Als „Gastspieler“ durfte Rolf Rohrberg, je nach Standort, in örtlichen | |
| Vereinen mitwirken. Für alle anderen Kriegs- oder Arbeitsdienst leistenden | |
| Sportler galt dasselbe. Denn auch wenn alles den Kriegszielen | |
| Nazideutschlands unter- und nachgeordnet war, sollte der Ball weiterrollen. | |
| Eigens dafür hatte der Reichssportführer, schon 1933 von höchster Stelle | |
| eingesetzt, besondere Regularien erlassen. | |
| Unter ganz anderen Bedingungen spielte Tadeusz Brzeski Fußball. Als | |
| polnischer Zwangsarbeiter versuchte er seit August 1940 zurechtzukommen, so | |
| gut es ging; in seiner karg bemessenen freien Zeit zog es ihn, manchmal | |
| verbotswidrig ohne das „P“-Zeichen, aus dem Barackenlager in | |
| Hamburg-Billstedt auf Fußballplätze, wo er Spiele mit Mannschaften aus | |
| anderen Lagern organisierte und fotografierte. Brzeski überlebte den Krieg | |
| – so wie Polen die Besetzung und vorübergehende Zerschlagung durch | |
| Nazideutschland überlebte. | |
| Der Jude Martin Stock war vor 1933 ein bekannter Schiedsrichter auf | |
| Hamburgs Plätzen. 1941 wurde er deportiert und nacheinander in elf Lager | |
| gesperrt. Am 15. April 1945 wurde er in Bergen-Belsen befreit. Nach dem | |
| Krieg kehrte Martin Stock nach Hamburg zurück und stellte sich und seinen | |
| unbelasteten Namen dem Fußball als Organisator und Funktionär zur | |
| Verfügung.. | |
| Emil Martens dagegen hatte 1933 die autoritäre Neuausrichtung des deutschen | |
| Sportes durchaus begrüßt. Als Vereinspatriarch des Hamburger SV konnte er | |
| darauf verweisen, dort schon fünf Jahre vorher die Satzung außer Kraft | |
| gesetzt und die demokratischen Strukturen in seinem Verein durch eine Art | |
| Führerprinzip ersetzt zu haben. Dies erlaube nun „ein leichtes Einordnen in | |
| den neuen Staat“. Ein Jahr später verlangte man höheren Orts seine | |
| Absetzung als Vereinsführer – so hieß das Amt jetzt –, weil er im HSV | |
| „schwarze Kassen“ und verkapptes Profitum geduldet habe. Die | |
| Vereinsversammlung zeigte einen gewissen Trotz und wählte (!) Martens zum | |
| Ehrenvorsitzenden. Das nützte ihm etliche Jahre später nicht mehr das | |
| Geringste, als er wegen Homosexualität verurteilt wurde und sich, um dem KZ | |
| zu entgehen, auf eine „freiwillige“ Kastration einlassen musste. | |
| Von solchen Personen erzählt eine kleine, sehr gelungene Ausstellung, die | |
| in diesen Tagen in der Diele des Hamburger Rathauses eröffnet worden ist. | |
| Und zwar nicht nur von einheimischen, obwohl der Titel „Hamburger Fußball | |
| im Nationalsozialismus“ den lokalen Schwerpunkt schon anzeigt. Überall | |
| zwischen Kiel und Wilhelmshaven hat sich in den zwölf NS-Jahren auf | |
| norddeutschen Fußballplätzen und um sie herum Exemplarisches ereignet, das | |
| den Blick auf die Sportpolitik des Regimes erhellen kann, und ein bisschen | |
| auf die eigene Welt, die der Fußball auch damals war – für Täter, Opfer und | |
| die große Zahl derer, die eigentlich mit Politik in Ruhe gelassen werden | |
| und einfach ihren Fußballverein unterstützen wollten. | |
| Die Aussichten mögen den meisten 1933 nicht schlecht erschienen sein, | |
| sofern sie nicht im Arbeitersport organisiert waren. Der nämlich wurde | |
| schnell und vollständig zerschlagen, seine Vereine verboten, in zahlreichen | |
| Fällen Unterlagen und Sportgeräte öffentlich verbrannt. Es traf den | |
| traditionsreichen Arbeiter-Turn- und Sportbund genauso wie die zuletzt von | |
| ihm abgespaltenen Vereine der Roten Sporteinheit. Ehemalige Mitglieder | |
| durften immerhin Vereinen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) beitreten, | |
| sofern sie dem Marxismus entsagten und zwei politisch unverdächtige Bürgen | |
| benennen konnten. | |
| Anders die – zahlenmäßig stärkere – Masse der „bürgerlichen“ Sport-… | |
| Turnvereine. Frühzeitig und sehr weit oben war die Entscheidung gefallen, | |
| den Vereinssport bestehen und gewähren zu lassen, was auch hieß: ihn gegen | |
| weitaus radikalere Vorstellungen verschiedener NS-Organisationen in Schutz | |
| zu nehmen. Die Ausstellung präsentiert ein Schreiben des | |
| Reichsinnenministers Frick vom 13. Mai 1933 an die Landesregierungen, in | |
| dem er „seinen“ Reichssportkommissar Hans von Tschammer und Osten | |
| präsentiert, der alles straffen und zentralisieren, jedoch „Tradition und | |
| Eigenleben der Verbände“ wahren werde. | |
| Tatsächlich ist dem Vereinssport, gemessen an praktisch allen anderen | |
| Sektoren des öffentlichen Lebens, in der ersten Zeit (bis nach den | |
| Olympischen Spielen 1936 in Berlin) eine relativ weit gehende | |
| Selbstverwaltung gelassen worden. Zwar wurden alle föderativen Strukturen, | |
| auch die im DFB, aufgelöst und der Verband selbst später dem Fachamt | |
| Fußball im Reichsbund für Leibesübungen (RL) gleichgeschaltet, doch durften | |
| die „Vereinsführer“ weiterhin von den Mitgliedern gewählt werden und die | |
| politische Kontrolle bestand wesentlich aus der Aufsichtsfunktion von | |
| „Gausportführern“ der Partei. | |
| Die bekamen nicht immer alles mit: Als Werder Bremen mit Hilfe der Martin | |
| Brinkmann AG eine Mannschaft aus namhaften Spielern zusammenzustellen | |
| begann und den Amateurstandpunkt weiträumig umging, kam das erst heraus, | |
| als man 1934 den Nationalspieler Edmund Conen versucht hatte anzuwerben und | |
| dieser nicht dichthielt. Langfristige Sperren und andere Maßregeln waren | |
| die Folge. | |
| Erst 1937 wurde der Reichsbund offiziell der NSDAP unterstellt, noch später | |
| der DFB formal abgewickelt. Der berüchtigte „Arierparagraf“, der Juden die | |
| Mitgliedschaft in Reichsbund-Sportvereinen untersagte, war in den | |
| Anfangsjahren – bis nach den Olympischen Spielen von Berlin – nicht | |
| offiziell verordnet. Dass zahlreiche Vereine schon frühzeitig von sich aus | |
| damit begonnen hatten, jüdische Mitglieder auszuschließen oder | |
| hinauszuekeln, und auch der DFB früh in diesem Fahrwasser schwamm, ist ein | |
| besonders trübseliges Kapitel der Sportgeschichte. | |
| Wo übrigens direkte politische Einmischung in den Fußball stattfand, ging | |
| sie nicht selten nach hinten los. Die Misserfolge der Nationalmannschaft | |
| bei Olympia 1936 und der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich, wo sie über | |
| das Achtelfinale nicht hinauskam, waren nicht zuletzt auf unmittelbare | |
| Vorgaben und Anweisungen an die Reichstrainer zurückzuführen und das dürfte | |
| jeder, der etwas von der Materie verstand, geahnt haben. | |
| Als Joseph Goebbels im September 1942 nach einem 2:3 gegen Schweden in | |
| Berlin notierte: „100.000 sind deprimiert aus dem Stadion weggegangen. Den | |
| Leuten liegt der Gewinn dieses Fußballspiels mehr am Herzen als die | |
| Einnahme irgendeiner Stadt im Osten“, war bald Schluss mit Länderspielen. | |
| Ob die NS-Sportpolitik von Beginn an der Kriegsvorbereitung dienen sollte | |
| und ob sie diesen Zweck erfüllt hat, oder ob es vorrangig darum ging, sich | |
| beim Volk Zustimmung und Dankbarkeit zu sichern, darüber ist noch manch | |
| Historikerstreit zu erwarten. Sicher scheint, dass eine grundsätzlich | |
| andere NS-Sportpolitik die Olympischen Spiele 1936, die Hitler persönlich | |
| wichtig waren, und die Teilnahme an Fußball-Weltmeisterschaften hätte | |
| gefährden können und dass, andererseits, der DFB wohl aus zwei Gründen | |
| solange weiterbestehen konnte: weil man seinen großen Funktionärs- und | |
| ehrenamtlichen Mitarbeiterstab einbinden musste und nebenbei auch, weil es | |
| lästigen Streit über den Immobilienbesitz des DFB zu vermeiden galt. | |
| Eine Stärke der Hamburger Ausstellung ist, dass sie – trotz deutlicher | |
| politischer Positionierung – sich nicht in theoretischen Erwägungen | |
| verliert, sondern persönliche Schicksale in den Mittelpunkt stellt, sodass | |
| man ermessen kann, wer unter damaligen Bedingungen welche persönlichen | |
| Optionen noch hatte oder nicht mehr hatte. | |
| Kuratiert hat die Ausstellung ein Team der Gedenkstätte Neuengamme um | |
| Herbert Diercks. Und so liegt nahe, dass auch die Geschichte des „Tull“ | |
| Harder vorkommt, Fußballstar der 1920er-Jahre, später SS-Hauptscharführer, | |
| im KZ Neuengamme auf untergeordnetem Posten, gegen Kriegsende aber | |
| Kommandant zweier Außenlager und 1947 als Kriegsverbrecher verurteilt, und | |
| die seines Mitspielers und Antipoden Asbjørn Halvorsen, des norwegischen | |
| HSV-Nationalspielers, der Verbindungen zum Widerstand hatte und ab 1943 in | |
| mehreren Lagern in Norwegen und Deutschland inhaftiert war und nur knapp | |
| überlebte. | |
| Rolf Rohrberg ist übrigens nicht erwähnt. Nach dem Krieg bei Eintracht | |
| Braunschweig, wurde er Lehrer in Hamburg und war langjähriger | |
| Oberligaspieler hiesiger Vereine, danach Trainer. Er ist 1976 verstorben. | |
| Wer mag, kann seinen Namen im Onlinearchiv des Spiegel suchen (Nr. 2/1950). | |
| Eine interessante kleine Geschichte aus der Nachkriegszeit, in der der Ball | |
| wieder ideologiefrei gekickt werden konnte. | |
| 23 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Prüß | |
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