| # taz.de -- Autor über Schule im Nationalsozialismus: „Schulleiter mussten i… | |
| > Hans-Peter de Lorent war Lehrer, Kommunist und Romanautor. Heute sammelt | |
| > er Täterprofile von Schulfunktionären im Nationalsozialismus. | |
| Bild: Stritt in den 1970ern gegen sein Berufsverbot: Hans-Peter de Lorent | |
| taz: Herr de Lorent, wieso drohte Ihnen 1973 als junger Lehrer | |
| Berufsverbot? | |
| Hans-Peter de Lorent: Ich war verantwortlich für die Referendarzeitung, in | |
| der wir über die ersten Berufsverbote berichteten. Es hieß, schon das Wort | |
| sei ein Kampfbegriff und nicht statthaft. So fing es an. Ich hätte damit | |
| rechnen müssen, dass der Verfassungsschutz das registriert. | |
| Wie erfuhren Sie vom Verbot? | |
| Am Ende des Referendariats 1974 wurde ich zum Schulsenator eingeladen. Ich | |
| könnte kein Beamter werden. Der Ausschuss zur Beamtenernennung wäre | |
| dagegen. Da nahm ich Einsicht in meine Personalakte und sah Flugblätter aus | |
| der Studentenzeit, für die ich verantwortlich zeichnete. | |
| Was warf man Ihnen vor? | |
| Dass ich im Marxistischen Studentenbund Spartakus und der DKP gewesen sei. | |
| Keine besonderen Funktionen. Es gab keine stichhaltigen Vorhalte. | |
| Sie schrieben darüber ein Buch? | |
| Ich führte einen jahrelangen Rechtsstreit. Als sich überhaupt nichts | |
| bewegte, schrieb ich 1980 einen Roman: „Die Hexenjagd“. | |
| Waren Sie aber schon als Lehrer an einer Schule? | |
| Ich durfte nur Angestellter sein mit ausgesprochener Kündigung. Mein | |
| Schulleiter legte Dossiers alberner Art über mich an. Und dann setzte er | |
| mich montags gar nicht ein. Meine 28 Unterrichtsstunden stauten sich auf | |
| vier Tage. Das war Schikane. Ich nutzte die Zeit und schrieb. | |
| An den freien Tagen? | |
| Ja. Das war meine Rache. Der Schulleiter spielte eine Rolle. Ich habe die | |
| Namen verfremdet. Aber die Handelnden erkannten sich wieder und deren | |
| Dienstvorgesetzte zeigten mich an. Die Staatsanwaltschaft sah 34 | |
| Beschreibungen im Roman als Beleidigungen an. Dann gab es 1981 einen | |
| 13-wöchigen Prozess im Amtsgericht Altona. Die Richterin sagte, die | |
| Kunstfreiheit gelte natürlich bei Romanen, aber auch die individuelle | |
| Freiheit der Menschen. Man müsse prüfen, was sich tatsächlich abgespielt | |
| hat. Und am Ende sagte sie, der Prozess ergebe, dass die Realität schlimmer | |
| war als die Fiktion. Sie sprach mich frei. Und ich wurde Beamter. | |
| Sahen Sie sich als Staatsfeind? | |
| Ich stand zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO), meinte | |
| aber, dass vieles verändert gehört. Ich fand es juristisch und politisch | |
| fragwürdig, dass der Staat Parteien wie die DKP zulässt, die Mitgliedschaft | |
| dort aber inkriminiert. | |
| Sollte dies auch für heutige AfD-Mitglieder gelten? | |
| Die bloße Mitgliedschaft kann kein Grund sein, ein AfD-Mitglied aus dem | |
| öffentlichen Dienst herauszuschmeißen. | |
| Waren die Berufsverbote der 1970er Folge der Nazizeit? | |
| Die 1970er waren keine Nazizeit, aber es gab die Einschränkung | |
| demokratischer Rechte. Und der Geist spielte eine Rolle. In meinen Büchern | |
| zitiere ich das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von | |
| 1933. Da stand: Jeder, der nicht jederzeit für den Nationalen Staat | |
| eintritt, kann entlassen werden. Die Berufsverbotepolitik wurde mit dem | |
| Satz begründet: Jeder, der nicht jederzeit für die FDGO eintritt, muss mit | |
| Folgen rechnen. Das war bis in die Formulierungen parallel. | |
| Sie machten später Karriere, wurden Oberschulrat und sind seit 2014 im | |
| Ruhestand. Und nun haben Sie [1][drei Bände „Täterprofile“] über | |
| Schulleiter der Nazi-Zeit verfasst. Wie kam es dazu? | |
| Ich war zeitweise Leiter der Hamburger Lehrerzeitung (HLZ) der GEW. Wir | |
| fingen 1979 an, über Schule unterm Hakenkreuz zu schreiben, über den | |
| Alltag, aber auch den Widerstand gegen die Nazis. Da entstanden zwei | |
| Bücher, nach einer Serie in der HLZ. Mich interessierte dann, wer waren die | |
| Verantwortlichen? Ich sammelte Material und legte hier bei mir zu Hause | |
| Akten an. Von etwa 300 Leuten aus der NS-Zeit habe ich die Unterlagen. Alle | |
| Verantwortlichen, die in der Schulbehörde und im Nationalsozialistischen | |
| Lehrerbund, dem NSLB, tätig waren, und alle wichtigen Schulleiter, | |
| insgesamt 180 Leute, sind in den Büchern beschrieben. | |
| Wer war der Erste? | |
| Willi Schulz, der war der Landesschulrat und der Gauamtsleiter des NSLB. | |
| Dann Albert Mansfeld, der war zweiter Mann hinter Schulz im NSLB und | |
| Oberschulrat. Den traf ich sogar 1986. In seiner Akte war eine Adresse. Der | |
| Mann lebte noch. | |
| Sie sprachen nur diesen Täter? | |
| Ja, denn es schien nur begrenzt sinnvoll. Ich stellte bei Mansfeld fest, | |
| der lebte noch in der Zeit von damals, als er Macht hatte. Reflexion gab es | |
| bei ihm nicht. Ich konzentrierte mich, nur die Daten der Leute zu sammeln | |
| und mit Dritten zu sprechen, die Kontakt hatten. Also ehemalige Schüler | |
| oder Kollegen. | |
| Wie kommen Sie an Daten? | |
| Eine wichtige Quelle sind die Entnazifizierungsakten, die es über jeden | |
| gibt, der 1945 über 21 war. Waren Personen belastet, kamen sie vor | |
| Ausschüsse. Sie wurden angehalten, nicht zu lügen, sonst flögen sie sowieso | |
| raus. Das ist alles protokolliert. Ich habe zu 95 Prozent der Personen | |
| Akten eingesehen und kopiert. Ich wollte begreifen, warum jemand Nazi | |
| wurde. Es gab viele Motive, das war kein monolithischer Block. Es gab | |
| anfangs auch Leute mit echtem Interesse an sozialen Veränderungen. Für mich | |
| war die Weimarer Republik immer eine positive Zeit. Beim genaueren Hinsehen | |
| weiß man, die letzten Jahre waren sehr schwierig, auch durch die | |
| Weltwirtschaftskrise. | |
| Es gab Verelendung? | |
| Ja. Viele junge Lehrer bekamen dadurch einfach keine festen Stellen, die | |
| konnten ihre Familien kaum ernähren. Das zieht sich durch viele Biografien. | |
| Man kann der Politik nur begrenzt vorwerfen, wenn in Krisenzeiten die | |
| Mittel fehlen. Aber das trieb diese Generation den Nazis in die Arme. | |
| Wie formten die die Lehrer? | |
| Die Nazis verabschiedeten dieses Beamten-Gesetz. Damit warfen sie 650 | |
| fortschrittliche Lehrer aus dem Schuldienst, die sich nicht anpassten. In | |
| der Weimarer Republik gab es gerade in Hamburg viele Reformpädagogen. Und | |
| sie stellten dafür jene Lehrer ein, die vorher prekär lebten. | |
| Die waren den Nazis ergeben? | |
| Absolut. Das waren nachher die wichtigsten Kader. | |
| Mussten Lehrer in die Partei? | |
| Nein. Nichtmitgliedschaft war kein Entlassungsgrund. | |
| Aber es gab ein Rundschreiben. | |
| Genau. Von Mansfeld 1937. Darin stand, es gäbe kein Verständnis dafür, wenn | |
| ein Lehrer nicht in die NSDAP eintritt. Das brachte viele Ängstliche dazu, | |
| es zu tun. Und keiner blieb Schulleiter, der nicht spätestens 1937 eintrat. | |
| Wie kam Ihr Schulleiter unter die 180 Biografien? | |
| Ich fand stetig neue Personen. Ich las die Listen der Akten, die die | |
| Schulbehörde ans Staatsarchiv gab und damit zugänglich wurden. Auf einer | |
| stand der frühere Leiter meines Gymnasiums. Erst da erfuhr ich, dass der | |
| viele Jahre in Hamburg nicht lehren durfte, weil er in der SA war. Damit | |
| erklärte sich Verhalten, das ich als Schüler als sehr unangenehm empfand. | |
| Wie prägte 1933 Pädagogik? | |
| In der Weimarer Zeit wählten Lehrer ihre Leitung selber. Diese | |
| Selbstverwaltung und mit ihr moderne Formen des Unterrichts wurden | |
| abgeschafft. Es gab eine strenge Ausrichtung, autoritäre Strukturen in | |
| jeder Beziehung. Frauen auf Schulleiterposten wurden durch Männer ersetzt. | |
| Die Inhalte wurde radikal geändert. Sport wurde vormilitärisch, als | |
| Vorbereitung für den Krieg. | |
| Sie sagen, die Entnazifizierung nach 1945 war eine Farce? | |
| Ja. Nahezu alle Personen, die 1945 noch jung genug waren, kamen wieder in | |
| den Schuldienst. Albert Mansfeld zum Beispiel kam in den 1950ern wieder | |
| rein. | |
| Obwohl er der war, der den Rundbrief schrieb. | |
| Er hatte die längsten Schwierigkeiten. Aber er wurde 1952 wieder Lehrer. | |
| Und die meisten anderen auch. Die älteren wurden pensioniert. Mich | |
| erschreckt: fast alle mit Ruhegehalt nach ihrer Funktion in der NS-Zeit. | |
| Wissen Sie, warum es so lief? | |
| Am Anfang saßen in den Entnazifizierungsausschüssen entschiedene | |
| Nazigegner. Die trugen dazu bei, dass die Leute zunächst nicht in den | |
| Schuldienst kamen. Der Prozess ging über Jahre, Gesetze änderten sich. Es | |
| guckten andere drauf, die entschieden milder. Und es gab ein Problem. | |
| Es gab keine Lehrer? | |
| Eben. Man hatte andere Sorgen. Max Brauer, der Bürgermeister nach dem | |
| Krieg, sagte etwas, was mich erst empörte, aber doch Wahrheitsgehalt hat: | |
| 95 Prozent der Deutschen waren in den Nationalsozialismus verstrickt. Mit | |
| fünf Prozent baut man keinen Staat auf. | |
| Sie fanden heraus, dass der frühere GEW-Funktionär Walter Bärsch in der | |
| NSDAP war. | |
| Walter Bärsch war ein sehr fortschrittlicher Oberschulrat und Professor und | |
| im GEW-Hauptvorstand. Er räumte ein, dass er in der HJ war, stritt aber ab, | |
| dass er ein Parteibuch hatte. Der ehemalige SPD-Politiker Bodo Schümann und | |
| ich fanden nach Bärschs Tod heraus, dass er sogar in der SS war. Eine | |
| schmerzliche Geschichte für mich, ich kannte ihn. | |
| Fragten Sie sich, wie Sie sich 1933 verhalten hätten? | |
| Ich denke, dass mich fast alles abgeschreckt hätte. Ich halte es mit Brecht | |
| und bin froh, in dieser finsteren Zeit nicht gelebt zu haben. | |
| Ragen Täter negativ heraus? | |
| Ein Lehrer hieß Hans Muchow. Der war im Krieg einer Gruppe zugeordnet, die | |
| im besetzten Holland und Belgien die Villen ermordeter Juden und | |
| Nazi-Gegner ausraubte, dort gemütlich lebte und Leute denunzierte. Nach | |
| 1945 war Muchow Lehrer in Eppendorf. | |
| Was wurde aus Henze, der Swing-Jugendliche verriet? | |
| Albert Henze war Leiter der Gauführerschule, wo Nazi-Kader qualifiziert | |
| wurden. Als er Oberschulrat wurde, trommelte er die Schulleiter zusammen | |
| und gab die Parole aus, die unangepassten Schüler zu verfolgen. Das waren | |
| die mit längeren Haaren, die Swing-Musik hörten. Einige wurden der Gestapo | |
| gemeldet und auch ermordet. Henze wurde übrigens in Lübeck wieder Lehrer. | |
| All Ihre Recherchen sind publiziert. Ein gutes Gefühl? | |
| Ich arbeitete seit meiner Pensionierung durchgehend daran. Es war auch mein | |
| Lebensprojekt. Es entlastet tatsächlich ungeheuer. | |
| Wie reagieren Angehörige? | |
| Erstaunlich positiv. Viele wussten, mit ihrem Opa war irgendwas, das ist | |
| aber tabuisiert. Viele hatten größere Befürchtungen, dass die Verwandten an | |
| entsetzlichen Kriegsverbrechen beteiligt waren. Das war am Ende weniger | |
| gravierend, als sie dachten. Trotzdem waren diese Männer verstrickt. Es | |
| gibt nur eine unangenehme Geschichte. Nachfahren von Oscar Toepffer, in der | |
| NS-Zeit in Hamburg Senator, gehen vor Gericht. | |
| Worum geht der Rechtsstreit? | |
| Etwa um den Täter-Begriff. Jemand, der keine Juden ermordet hat, dürfe | |
| nicht als Täter bezeichnet werden. Wobei ich auch nicht behaupte, dass | |
| diese Leute andere umbrachten. Aber sie waren aktiv beteiligt am System. | |
| Wer für Personalfragen zuständig war und zum Beispiel Albert Henze als | |
| Oberschulrat berief, der wiederum die Swing-Jugend verfolgt hat, der hat | |
| Schuld auf sich geladen. | |
| Gibt es bald ein Verfahren? | |
| Ich vermute, nach dem Sommer. Es geht auch gegen die Stadt Hamburg, weil | |
| die Landeszentrale für politische Bildung die Bücher herausgibt. Gefordert | |
| wird, die Bücher einzustampfen. Das ist eine kühne Forderung. Wenn Leute | |
| die Nazi-Zeit nicht mehr beforschen und keine Biografien mit öffentlich | |
| zugänglichen Daten schreiben dürfen, ist Geschichtsschreibung über sensible | |
| Zeiten nicht mehr möglich. | |
| 24 Jun 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.gew-hamburg.de/themen/aktionen-und-kampagnen/buchvorstellung-ta… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
| ## TAGS | |
| Radikalenerlass | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Schule | |
| Bauernprotest | |
| NS-Verbrechen | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Primo Levi | |
| NS-Widerstand | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hans-Fallada-Romanverfilmung: 100 Jahre Wutbauer | |
| „Bauern, Bomben und Bonzen“ von 1973 ist Filmhit dieser Tage. Der | |
| Fünfteiler spielt 1931 und ist angesichts der Bauernproteste erschreckend | |
| aktuell. | |
| Prozesse gegen Buchreihe „Täterprofile“: Feldpost nicht mehr wörtlich | |
| Darf ein Historiker private Texte eines NS-Funktionärs zitieren? Jein, sagt | |
| das Hamburger Landgericht. Ein zweites Verfahren ist noch offen. | |
| Prozess um Toepffer-Biografie: Opas Briefe dürfen zitiert werden | |
| Die Enkelin des Hamburger NS-Schulsenators Oscar Toepffer wehrt sich vor | |
| Gericht gegen eine Kurzbiografie über ihren verstorbenen Großvater. | |
| Primo Levi warnte vor neuem Faschismus: Kämpfen, um Mensch zu bleiben | |
| Vor hundert Jahren wurde Primo Levi geboren. Sein Buch „Ist das ein | |
| Mensch?“ hat 1947 das Wesen der NS-Vernichtungsmaschinerie beschrieben. | |
| Weibliche Oppositionelle in der NS-Zeit: „Verdrängt, vergessen, ignoriert“ | |
| Im Juli jährt sich zum 75. Mal der Umsturzversuch von 1944. Zu diesem | |
| Anlass will der Bundestag die Rolle von Frauen im NS-Widerstand würdigen. | |
| Herbert Diercks über NS-Geschichte: „Geschichte hat mich nicht interessiert�… | |
| Seit mehr als 30 Jahren erzählt der Historiker Diercks von der | |
| NS-Geschichte Hamburgs. Ein Gespräch über authentische Orte – und was noch | |
| verschwiegen wird. | |
| Zeitzeuge über seine Kindheit im NS-Staat: „Wichtig, das offenzulegen“ | |
| Als Kind hat er selbst den „Führer“ verehrt und war bei der Hitlerjugend. | |
| Nun hat Claus Günther ein Buch über sein Mitläufertum geschrieben. | |
| Lebensläufe: Spielräume unterm Hakenkreuz | |
| Was möglich war im Fußball während der Nazi-Zeit, fragt eine Ausstellung in | |
| Hamburg. Sie erzählt von Tätern, Zwangsarbeitern und Juden. |