# taz.de -- Prozesse gegen Buchreihe „Täterprofile“: Feldpost nicht mehr w… | |
> Darf ein Historiker private Texte eines NS-Funktionärs zitieren? Jein, | |
> sagt das Hamburger Landgericht. Ein zweites Verfahren ist noch offen. | |
HAMBURG taz | Bevor er 1940 Bildungssenator der Hansestadt wurde, ließ | |
[1][Oskar Toepffer es sich im Krieg gutgehen]: In Briefen aus Polen und | |
Frankreich beschrieb er seiner Frau das schöne Leben mit erbeuteten | |
Luxuswaren, das rasche Voranschreiten der Feldzüge und seine Begeisterung | |
über den „Führer“. Wörtlich zu lesen waren die Texte im Band 2 der | |
Buchreihe „Täterprofile“. Sie schildert in Portraits „Die Verantwortlich… | |
im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945“. | |
Erschienen sind die Texte zwischen 2016 und 2019 als Eigenpublikationen der | |
Landeszentrale für politische Bildung. | |
Doch während Band 1 und 3 dort bestellt oder von der Homepage | |
heruntergeladen werden können, ist Band 2 aktuell nicht zugänglich. Eine | |
Enkelin Toepffers, die Hamburger Juristin Christel Sachs, hatte den | |
[2][Autor der Täterprofile, den Historiker und ehemaligen Oberschulrat | |
Hans-Peter de Lorent], und die Landeszentrale verklagt: Der Briefwechsel | |
der Großeltern sei privat, die Schriften hätten nie veröffentlicht werden | |
dürfen. Auch ein „Recht auf Vergessen“ verlangte sie für den 1982 | |
verstorbenen Juristen Toepffer, der in den 1920er-Jahren in den | |
hamburgischen Staatsdienst eintrat und dort rasch Karriere machte. | |
Nach jahrelangem Prozess gab das Landgericht der Klage teilweise Recht: | |
Eine ganze Reihe von wörtlichen Zitaten hält die Kammer für | |
urheberrechtlich geschützt und untersagt daher, sie weiter zu | |
veröffentlichen – sonst droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. | |
Doch in weiteren Punkten wies das Gericht die Klage ab. | |
„Ich sehe es als für uns überwiegend positives Urteil“, sagt de Lorents | |
Anwalt Lars Niedopytalski auf taz-Anfrage. Denn das Gericht „verbietet | |
nicht, über Oscar Toepffer zu berichten. Es geht nur um geschätzt nicht | |
einmal 50 Prozent der Zitate, die nicht mehr verwendet werden dürfen.“ | |
In den kritisierten Stellen schildert Toepffer, der bereits den Ersten | |
Weltkrieg als Soldat mitgemacht hatte, unter anderem seine Erlebnisse als | |
Hauptmann im Polenfeldzug 1939. Mal geht es um Tipps an die Gattin daheim, | |
ob sie vorsichtshalber Gemüse anbauen soll, mal um Einschätzungen der Lage | |
oder Beobachtungen an der Front. | |
Für den Autoren Hans-Peter de Lorent ist der Wegfall der Zitate | |
„bedauerlich“. Denn aus ihnen „ergibt sich ein Bild, das wesentlich | |
differenzierter ist, als alle verarbeiteten Dokumente es zeichnen könnten“, | |
heißt es in den „Täterprofilen“. Interessant sei eben nicht das persönli… | |
Erleben der Eheleute Toepffer, sondern das Beispielhafte: „Vermutlich | |
repräsentiert die Korrespondenz das, was in großen Teilen der Hamburger | |
Bevölkerung gedacht wurde.“ | |
Doch im Urteil, das der taz vorliegt, kommt das Gericht zu dem Schluss, | |
dass das Urheberrecht bereits bei einem „geringen Grad individuellen | |
Schaffens“ greife. Das Urheberrecht schützt eigentlich die Werke von | |
Schriftsteller*innen oder Journalist*innen vor geistigem Diebstahl. | |
Es gilt aber auch für private Texte. Ein Urheberrecht erlischt nicht mit | |
dem Tod, sondern schützt die Werke weitere 70 Jahre – diese Frist ist für | |
Oscar Toepffer noch nicht abgelaufen. | |
Hinzu kommt in diesem Fall, dass Toepffers ältere Tochter den Briefwechsel | |
der Eltern und Aufzeichnungen des Vaters nach dessen Tod beim Ausräumen des | |
Hauses fand. Sie transkribierte die „schwer zu lesende deutsche | |
Schreibschrift“, ordnete die Briefe und strich einige Passagen. Am Ende | |
stand ein gut 200 Seiten starkes „Buch“, von dem die Tochter mehrere Kopien | |
herstellte. Ob sich daraus ein eigenes Urheberrecht ableitet, war ebenfalls | |
eine Streitfrage. | |
De Lorent erhielt diese Textsammlung von mehreren Mitgliedern der Familie. | |
Es habe eine Reihe von Gesprächen gegeben, unter anderem mit beiden | |
Töchtern, die inzwischen verstorben sind. „Sie wussten, dass ich über ihren | |
Vater eine Biografie für die Landeszentrale für politische Bildung | |
schreiben würde“, sagt der Autor, der sich seit Jahren intensiv mit der | |
NS-Zeit in Hamburg befasst. Für ihn ist es „unverständlich, dass Enkel und | |
Ur-Enkel in dieser Weise in historische Forschung und Darstellung | |
eingreifen können“. | |
## Viel Aufmerksamkeit durch den Prozess | |
Das Gericht hielt die Klage aber für zulässig: Denn ein mögliches | |
Urheberrecht gehe auf die Erb*innen über, zu denen Sachs als eine von | |
mehreren Enkel*innen gehört. Das Gesetz erlaubt, dass eine Person allein | |
Ansprüche geltend macht, sie müsste aber einen Schadensersatz mit anderen | |
Verwandten teilen. | |
Gescheitert ist die Klägerin mit dem Versuch, das Portrait ihres Großvaters | |
ganz aus den „Täterprofilen“ – den Titel nannte sie „reißerisch“ – | |
herauszuhalten. Das Gericht wies diesen Wunsch ab. | |
Laut dem Anwalt Niedopytalski bedeutet das Urteil in diesem sehr speziellen | |
Fall nicht, das Autor*innen historischer Texte künftig mehr Klagen von | |
fernen Verwandten beschriebener Personen fürchten müssen. „Insgesamt kann | |
man nur sagen, dass das Vorgehen der Klägerin absolut kontraproduktiv war | |
und sie mit ihrem Ansinnen, den Namen ihres Großvaters Oscar Toepffer im | |
Kontext mit der Nazizeit aus der Öffentlichkeit rauszuhalten, krachend | |
gescheitert ist“, sagt der Anwalt. „Denn mehr Aufmerksamkeit als durch | |
diesen viereinhalb Jahre andauernden Rechtsstreit und die damit | |
[3][einhergehende mediale Berichterstattung] konnte Oscar Toepffer gar | |
nicht bekommen.“ | |
Beendet ist der Streitfall immer noch nicht: Beide Seiten könnten in | |
Berufung gehen. Zudem findet noch ein weiteres Verfahren über dieselbe | |
Streitsache gegen die Landeszentrale für politische Bildung statt – in | |
diesem Fall vor dem Verwaltungsgericht. | |
18 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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