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# taz.de -- Kolumne Macht: In der Systemkrise
> So wie CDU und SPD in die Sondierungsgespräche gehen, vergraulen sie
> selbst treueste Anhänger. Ihnen fehlt aber auch etwas Entscheidendes.
Bild: Lange nicht gesehen, Münte! Könnte er der SPD vielleicht bei der Entsch…
Für die CDU traut sich nur der Geschäftsführer – wie heißt der noch mal? …
vor die Presse. Für die SPD erklärt deren Vorsitzender Martin Schulz, man
habe viel Zeit für eine grundsätzliche Entscheidung. Toller Start für
Sondierungsgespräche. Sind die Traditionsparteien eigentlich bei Trost? So
vergrault man selbst die treueste Gefolgschaft.
Überraschend ist die Entwicklung nicht. Immerhin waren die vermeintlich
Starken nie zuvor vergleichbar schwach. Die CDU-Bundeskanzlerin muss sich
von einem CSU-Minister auf der Nase herumtanzen lassen, weil ihr die Kraft
fehlt, ihn zu feuern. Der CSU-Ministerpräsident kann nur noch um einen
möglichst gesichtswahrenden Rückzug kämpfen. Und dann gibt es einen
SPD-Vorsitzenden, der – ja. Dann gibt es auch den noch.
Es ist an der Zeit, nach aller berechtigten Kritik einmal ohne jede Ironie
eine Lanze für die Sozialdemokraten und für Martin Schulz zu brechen. Die
traditionsreichste deutsche Partei hat in ihrer Geschichte immer wieder
bewiesen, dass sie zur Solidarität fähig ist. Manchmal zu spät. Manchmal
bei der falschen Gelegenheit, Stichwort: Kriegskredite. Und dennoch. Im
politischen Geschäft, in dem Intrigen und Gemeinheiten zum Alltag gehören,
ist Anstand – und nichts anderes ist Solidarität – ein knappes Gut.
Welche andere Partei fällt Ihnen ein, die bereit ist, sich um den Preis von
Nachteilen solidarisch zu zeigen? Die CSU? Die Grünen? Die CDU? Die AfD?
Die Linke? Lachen Sie jetzt nicht.
Seit dem Wahlkampf-Tagebuch von Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen weiß die
Öffentlichkeit, dass Martin Schulz im Wahlkampf allein gelassen wurde.
Spätestens seither wissen es übrigens auch führende Kräfte in der SPD. Und
sie wissen, wie solidarisch der Spitzenkandidat sich verhalten hat. Jetzt
haben sie ein schlechtes Gewissen. Zu Recht.
Anders als aus schlechtem Gewissen heraus lassen sich manche Entscheidungen
der Gremien nicht erklären. Es war idiotisch, dass der SPD-Vorstand am Tag
nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen einstimmig beschloss, nicht in
eine Große Koalition eintreten zu wollen. Nicht sehr viel klüger ist die
Absicht, an einem Vorsitzenden festhalten zu wollen, der aus einer
persönlich gebastelten Zwickmühle nicht herausfindet.
Aber die SPD steht ja nicht alleine da mit ihren Fehlentscheidungen, und
andere Parteien können eben nicht einmal das sympathische Argument der
Solidarität ins Feld führen. Medien und Öffentlichkeit diskutieren am
liebsten über Führungsspitzen. Das ist verständlich, das macht auch am
meisten Spaß. Aber wo ist eigentlich – wo zum Teufel ist eigentlich der
Mittelbau?
Es ist unvorstellbar, dass die SPD-Gremien vergleichbare Fehler gemacht
hätten, als Franz Müntefering noch Generalsekretär war. Oder dass sein
CDU-Kollege Heiner Geißler ein ähnlich blödes Image von Kanzler Helmut Kohl
erlaubt hätte wie das von Angela Merkel jetzt. Aber Müntefering und Geißler
haben sich ja auch für das Innenleben ihrer Parteien interessiert und die
Mechanismen ihrer Institutionen gekannt und beherrscht.
Ohne dieses Interesse, das verständlicherweise nicht von einer breiten
Mehrheit geteilt wird, funktioniert kein System. Auch nicht das der
parlamentarischen Demokratie. Warum gibt es offenbar keinen begabten
Nachwuchs mehr, der das faszinierend findet? Je länger das Gezerre um eine
mögliche neue Koalition dauert, desto deutlicher wird: Nicht einmal
Parteifunktionäre wollen noch wirklich wissen, wie ihre Partei eigentlich
tickt.
Woran liegt das? In der Antwort auf diese Frage ist das Geheimnis der
Systemkrise verborgen. Und mit der, nicht etwa nur mit einer
Regierungskrise, sind wir derzeit konfrontiert.
2 Dec 2017
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Sondierung
Martin Schulz
CDU/CSU
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Donald Trump
Flüchtlingspolitik
SPD-Fraktion
NRW-SPD
SPD
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Jamaika-Koalition
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