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# taz.de -- Kolumne Macht: Scheitert, bitte
> Es wäre eine gute Nachricht, wenn die Jamaika-Sondierungen platzten. Zu
> Neuwahlen oder einer Staatskrise muss das nicht führen.
Bild: Verhandlungen misslungen? Kein Problem!
Plötzlich gibt es wieder Hoffnung. Vielleicht hat sie sich schon
zerschlagen, wenn diese Kolumne veröffentlicht wird, aber es scheint
derzeit immerhin möglich, dass die Jamaika-Sondierungen endgültig
scheitern. Das wäre eine gute Nachricht. Und, nein: Das hat nichts mit
einer Freude an Neuwahlen und Staatskrise zu tun, sondern ganz andere
Gründe.
Wieso eigentlich Neuwahlen und Staatskrise? Die Tatsache, dass die Partner
der bisherigen Großen Koalition keine Lust mehr aufeinander haben, ist zwar
nachvollziehbar, aber kein legitimer Grund, uns alle erneut an die Urnen zu
rufen. Schließlich haben die Jamaika-Partner auch keine Lust aufeinander.
Wer die bisherige Regierung für lust- und kraftlos hielt, wird die tiefere
Bedeutung dieser Wörter erst erfahren, sollten die Sondierungsgespräche
doch erfolgreich sein.
Bizarr ist es, wenn der SPD-Vorsitzende Martin Schulz nun meint, die
Verhandlungsführer der Konkurrenzparteien ermahnen zu dürfen. Absurd wird
es, wenn er einerseits fordert, die Sondierer sollten endlich „zu Potte“
kommen und andererseits erklärt, dass eine Jamaika-Koalition wohl Europa
schweren Schaden zufügen werde. „Es ist zu befürchten, dass die
Bundesrepublik in der EU keine Rolle mehr spielen wird, weil sie nicht
handlungsfähig ist.“
Was denn nun? Eile tut not, damit Europa möglichst schnell möglichst
schwerer Schaden zugefügt werden kann? Hm.
## Groko statt Jamaika
Vielleicht würde die SPD sich im Falle eines Scheiterns der
Jamaika-Gespräche ja doch besinnen und einen Praktikanten oder eine
Praktikantin im Willy-Brandt-Haus mit der Abfassung einer Pressemitteilung
beauftragen, die Verhandlungen über eine neuerliche Große Koalition
einleitet. Das wäre eine ziemlich einfache Aufgabe. Es würde genügen,
„Verantwortung“ und „Staatskrise“ sowie „gerecht werden“ und „ver…
wie Puderzucker über den Text zu streuen.
Sinnvoll wäre das auch, weil keine andere Partei so viel Grund hat wie die
SPD, Neuwahlen zu fürchten. Wer soll denn für sie in die Schlacht ziehen?
Schulz? Scholz? Nahles? Oder – ja, es gibt ihn noch – Sigmar Gabriel?
Klingt derzeit alles nicht gut. Die Partei hätte nicht genug Zeit, sich auf
eine neue Führungspersönlichkeit zu einigen.
Dann doch lieber Textbausteine zusammensetzen. Und eine weitere Große
Koalition vorbereiten. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Warum fände
ich es trotzdem besser als Jamaika oder Neuwahlen? Weil mir gefällt, wenn
sich nach Jahrzehnten nur scheinbaren Parteienstreits herausstellt, dass es
eben doch nicht „egal“ ist, welche Partei gewählt wird.
Der alte Systemkonflikt – soziale Marktwirtschaft versus Sozialismus mit
menschlichem Antlitz – wird seit dem Mauerfall nicht mehr ausgetragen. Aber
es gibt eben neue Konflikte. Zum Beispiel den, ob man meint, Globalisierung
am besten durch Abschottung begegnen zu können – CSU und US-Präsident
Donald Trump – oder, wie die Grünen, durch Integration.
Das ist kein fein ziselierter Sachstreit. Das ist eine Grundsatzfrage. Sie
kann neues Vertrauen in die Prinzipientreue von Grünen wecken, wenn
nämliche ein humanitäres Anliegen wie das Recht auf Familiennachzug nicht
auf dem Altar der Machtbeteiligung geopfert wird.
Die Autorin hat die Grünen seit dem aus ihrer Sicht völkerrechtswidrigen
Kosovokrieg nicht mehr gewählt. Sollten die Jamaika-Sondierungen an der
Migrationspolitik scheitern, dann käme sie in Versuchung. Nein, Neuwahlen
müssten nicht zwangsläufig der extremen Rechten nutzen. Das Vertrauen in
traditionelle Parteien könnte sogar gestärkt werden. Auf geht’s. Scheitert,
bitte!
17 Nov 2017
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Jamaika-Koalition
Koalition
Sondierungsgespräche
Flüchtlingspolitik
Sondierung
Schwerpunkt Flucht
Jamaika-Koalition
Lesestück Recherche und Reportage
Infrastruktur
Hollywood
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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