# taz.de -- Die Wahrheit: Räfin von Gottes Gnaden | |
> Die Jusos fordern die Abschaffung der Adelstitel. Ganz ohne Rücksicht auf | |
> Konsequenzen für eine Gesellschaft ohne die noblen Herrschaften. | |
Bild: So lässt es sich leben als Adlige – mit der Kutsche zur Welfenhochzeit | |
Adel verpflichtet. Doch angesichts solcher Referenzprachtstücke wie | |
Frédéric Prinz von Anhalt, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Ernst August von | |
Hannover, die stellvertretend für eine Generation stehen, die noch nicht | |
einmal an die historischen Leistungen des Adels wie Raub, Mord, | |
Niedertracht, Hofschranzentum und Inzucht anzuknüpfen fähig ist, fragt man | |
sich schon, wozu. | |
Jetzt geht es den Hochwohlgeborenen des Landes aber mal so richtig an den | |
Kragen: Die Berliner Jungsozialisten forderten kürzlich die Abschaffung der | |
Adelstitel. Das ist revolutionär und ganz im Sinne Georg Büchners: „Friede | |
den Hütten, Krieg den Palästen!“ Gewiss, es gibt möglicherweise | |
Drängenderes. Jedoch überrascht die Reaktion, die dieses Ansinnen | |
hervorruft. Weniger bei den Prinzen und ihrer Garde selbst als bei ihrer | |
bürgerlichen Entourage, die in den Medien spritzt und sudelt, als wollten | |
die Jusos ihnen das Heiligste nehmen: das Gefühl, Unterthan zu sein, | |
jawohl, mit h. | |
Der Mensch liebt Titel, ererbte wie verliehene, klerikale wie weltliche, | |
zumal wenn er sie selber trägt. Das gilt für das Freifräulein und die | |
Äbtissin genauso wie für den Königlichen Hofopernsänger oder den | |
Vortragenden Legationsrat. Man kann einen noch so mittelalterlichen Titel | |
noch so lächerlich finden – wenn er einem angedient wird, findet man ihn | |
plötzlich doch recht kleidsam. | |
## Siegbringende Aura | |
Und hätte es den Kanzlerkandidaten der SPD nicht charismatisch überglänzt, | |
ihm eine zwingend siegbringende Aura gegeben, wenn er als Erzherzog Jupp | |
von Schulz angetreten wäre? Was hätte es mit Angela Merkel gemacht, wenn | |
sie ihn im Fernsehduell mit „Eure Durchlaucht“ hätte anreden müssen? Und | |
umgekehrt: Hätte der Freiherr von und zu Guttenberg ohne Adelsgepränge in | |
der öffentlichen Wahrnehmung von Anfang an als das dagestanden, was er ist: | |
ein mäßig begabtes Papasöhnchen? | |
De jure gibt es in Deutschland keinen Adel mehr. Doch es gehörte zu den | |
Halbheiten der 1918er Novemberrevolution, dass sich in der | |
verfassunggebenden Versammlung keine Mehrheit für den klar formulierten | |
Vorschlag „Der Adel ist abgeschafft“ fand; stattdessen wurde beschlossen, | |
dass Adelsbezeichnungen nur noch als Teil des Namens gelten. Die | |
Standeszugehörigen haben dies bis heute höchst erfolgreich in ihrem Sinne | |
interpretiert: Da sind wir aber immer noch! Sind sie ja auch. Es prinzt und | |
graft und fürstet, als hätte es die Revolution nie gegeben. Auch der | |
Scheinadel im Unterhaltungsgewerbe, der also gar nicht ist, was er vorgibt | |
– „Der Graf“ und Adel Tawil, Hella von Sinnen und der Herr von Bödefeld … | |
lässt uns leise hoffen, dass er nach dem Auftritt nicht in ein trostloses | |
Drei-Sterne-Hotel fährt, sondern im Achtspänner zum eigenen Jagdschloss | |
donnert. | |
## Noble Seilschaften | |
Der Vorschlag der Berliner Jusos unterstellt, dass Adelige Seilschaften | |
bildeten und sich gegenseitig Vorteile zuschusterten. Das ist infam und | |
ehrabschneidend, finden diverse Adelsfunktionäre, die ganz anderes zu | |
berichten wissen: Adelige hätten es in geschäftlichen Dingen nicht | |
leichter, sondern schwerer. Weil man von ihnen viel mehr erwarte. Gut, in | |
der Immobilienbranche, als Anwalt und Unternehmensberater, da sei ein | |
adeliger Name schon von Vorteil. Aber sonst? In den Pflegeberufen, als | |
Küchenhilfe, als Ausbeiner im Schlachthof? Da muss man als Erzherzog oder | |
als Baronin genauso ran wie jeder andere! Oder als Darstellerin in | |
feministischen Pornos, die, wie ein weiterer Vorschlag der Jusos lautet, | |
zukünftig bei ARD und ZDF laufen sollen. Bringt es mir was, wenn ich dort | |
auftrete als „Susi von Hint. . .“ – nein, stopp, das ist jetzt vielleicht | |
doch zu billig. | |
Erfreulicherweise leben wir im Land des Interessenausgleichs, des | |
behutsamen Übergangs. Des unmerklichen Hineinschleichens in neue Umstände. | |
Für unsere Adeligen könnte das bedeuten, dass sie anfangs nur den ersten | |
Buchstaben hergeben müssen. Nach einer Eingewöhnungszeit von mehreren | |
Jahren dann den zweiten und so weiter. Und bald fänden wir es nicht mehr | |
merkwürdig, wenn wir vom Rafen von Faber-Castell und der Ürstin Gloria | |
läsen. | |
Vielleicht sollte der Adel aber auch einfach nur die Abschaffung der Jusos | |
fordern. Dann wäre alles wieder im Lot. | |
8 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Robert Niemann | |
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