# taz.de -- Die Wahrheit: Computer künftig vollkotzen | |
> Liegt die Zukunft der Arbeit in der Arbeit der Zukunft? Oder umgekehrt? | |
> Oder verhält es sich nicht nochmal ganz anders? | |
Bild: Unsere schöne neue Arbeitswelt: Schluss mit brav am Fenster sitzen! | |
Die Zukunft der Arbeit darf nicht mit der Arbeit der Zukunft verwechselt | |
werden. Logisch. Sie darf ja auch nicht mit einem Knicklicht oder einer | |
eilig einberufenen Pressekonferenz zum Thema Niedrigwasser verwechselt | |
werden. Dennoch sind Variationen von „Zukunft der Arbeit/Arbeit der | |
Zukunft“ das Lieblingswortspiel von mit der Zukunft befassten | |
Arbeitsforschern wie auch von mit der Arbeit befassten Zukunftsforschern. | |
Schließlich geht die Frage alle an, jedenfalls soweit sie eine Zukunft oder | |
wenigstens Arbeit haben. | |
Früher, im industriellen Zeitalter, hieß Arbeit noch: Früh aufstehen | |
(„Morgens um fünf erhebt sich die Arbeiterklasse“), in suboptimal designten | |
Industriehallen aus geschwärztem Backstein irgendwas zusammenschrauben oder | |
in finsteren Schächten Kohle von der Decke pickern, nach 10 Stunden staubig | |
und verschwitzt wieder gehen und gucken, wie man mit den sauer verdienten | |
Talern über die Runde kommt. Tag um Tag, Jahr um Jahr. Irgendwann gab’s | |
einen Gebirgsschlag oder eine Rente, dann noch ein bisschen zahnlos am | |
Fenster sitzen und das untergeschobene Armkissen vollsabbern, und Schluss. | |
Keine Digitalisierung, nirgends. | |
Arbeitsplätze dieser Art wird es nicht mehr geben. Sie werden „wegfallen“, | |
wie der Fachmann sagt. Weil nichts mehr zusammengeschraubt werden muss und | |
weil die Kohle ganz woanders von der Decke gepickert wird, aber nicht mehr | |
hier („im Revier“). Beziehungsweise weil Computer und Roboter diese ganzen | |
einfachen Tätigkeiten erledigen („übernehmen“) werden. | |
Die können das besser und billiger. Außerdem schneller! Zum Beispiel bei | |
Audi. Früher 20 Sekunden, künftig nur noch 10 Sekunden. Glatte Halbierung. | |
Jetzt noch Audi A 8, bald Audi A 4. Bewerkstelligt von | |
Auspuffkrümmerkrümmmaschinen, Fenstergummihineinstopfautomaten und | |
Fahrersitzbezugklöppelrobotern. Arbeiter stören da nur, darum gibt es auch | |
keine mehr. | |
## Der Mensch als Subtrahend | |
Arbeiter stören überhaupt. Der menschliche Faktor ist kein Faktor, sondern, | |
um noch ein wenig in der analytischen Sprache der Mathematik zu verweilen, | |
ein Subtrahend. Das, was abgezogen werden kann. | |
Aber, sagen die Fachleute. Was „aber?“, fragen wir anderen.Die Fachleute | |
ziehen die Augenbrauen hoch und sagen: „Es werden aber nicht nur | |
Arbeitsplätze wegfallen!“ – „Wie jetzt?“, fragen wir. „Was wird denn… | |
alles wegfallen?“ – „Hahaha“, lachen die Fachleute über diesen C-Witz. | |
„Nein nein nein! Es werden auch neue Arbeitsplätze …“ – effektvolle Pa… | |
„… entstehen!“ | |
Damit ist die Bombe geplatzt. Es werden Arbeitsplätze entstehen. Auch das | |
noch. Als ob man nicht schon genug um die Ohren hätte. Und zwar: digitale | |
Arbeitsplätze. Nix schrauben, nix pickern. Sondern, ja nun, also, anders | |
irgendwie. Digital! Dienstleistungen, zum Beispiel. „Dienstleistung“ ist | |
das neue Abrakadabra, das Zauberwort, der Sesam-Öffner. | |
Eine Volkswirtschaft funktioniert nicht dadurch, dass wir uns gegenseitig | |
Tattoos stechen, sagte mal sinngemäß ein hoher hiesiger | |
Gewerkschaftsfunktionär. Mag sein, aber die Richtung stimmt. Alle Menschen | |
werden Kunden. Big Data statt Wertschöpfung. Künstliche Intelligenz statt | |
natürlicher. Internet der Dinge. Arbeit 4.0. Desk-Sharing. Crowdworking. | |
Der Arbeitsplatz der Zukunft – eng verbunden mit der Zukunft des | |
Arbeitsplatzes – ist der des Silicon-Valley-Milliardärs. Und zwar | |
potenziell für jeden. Für alle anderen bleiben immer noch schöne | |
Callcenter-Jobs in Niedrigstlohnländern wie Indien oder in nur als | |
Datenbatzen in einer Cloud existierenden Gebilden wie Estland, wo sie sich | |
von westlichen Wohlstandsblagen telefonisch vollkotzen lassen müssen, wenn | |
das „Bluetooth an der Scheiß-Kaffee-Pad-Maschine nicht geht“. | |
## Alo-Geld in Bitcoins? | |
Wenn sich Arbeit so massiv verändert, wird sich dann auch Arbeitslosigkeit | |
verändern („wandeln“)? Was macht es mit den Menschen, wenn sie anstelle | |
keiner Stelle am Band bei VW keine Stelle in einer EDV-Bude („IT-Schmiede“) | |
haben, die Software entwickelt, mit der man Software entwickeln kann? Wird | |
das Alo-Geld dann in Bitcoins ausgezahlt? | |
Und wie sieht es aus, das Klassenbewusstsein im digitalen Zeitalter? Wie | |
klingt „Wann-wir-schreiten-Seit-an-Seit 4.0“? Wen soll man anschnauzen, | |
wenn im Callcenter nicht mehr irgendeine Rajani ans Telefon geht, sondern | |
ein Sprachcomputer: „Wenn Sie vor Wut alles kurz und klein schlagen | |
möchten, drücken Sie bitte die Zwei!“? Wenn man vor lauter Nullen die | |
Einsen nicht mehr sieht? | |
Die Fachleute mustern uns. In ihren Gesichtern erscheint dieses | |
Therapeuten-Lächeln. „Subtrahend“, lautet ihre Diagnose. „Aber das krieg… | |
wir schon wieder hin!“ | |
19 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Robert Niemann | |
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