# taz.de -- Die Wahrheit: Igitt, Hitler augenlos! | |
> Echt jetzt? Wie Tiere nach prominenten und pestigen Zeitgenossen benannt | |
> werden. Selbst dem GröFaZ ist ein Käfer gewidmet. | |
Bild: Einmal hitleri, immer hitleri: Führerkäfer, blind | |
Hamburger Forscher haben eine jüngst entdeckte Spinnenart nach Karl | |
Lagerfeld benannt: Jotus karllagerfeldi. Wie begründen sie ihre Wahl? „Die | |
Spinne trägt Zopf, lispelt und hat einen schönen Penis“, sagen sie | |
natürlich nicht. „Sie lebt mit einer Katze zusammen, hat Claudia Schiffer | |
entdeckt und ist bisexuell“, ebenfalls nicht. Stattdessen fabulieren sie | |
von minimalistischem Stil und den Farben Schwarz und Weiß. Was man halt so | |
sagt. | |
Der Spinne ist’s egal, und Lagerfeldi kann sich nicht mehr wehren, das ist | |
eine der Schattenseiten des Totseins. Andererseits befindet er sich in | |
nicht unbedingt guter, aber doch halbwegs prominenter Gesellschaft: Eine | |
seltene Froschart aus Ecuador wurde nach Prinz Charles benannt, eine Assel | |
nach Freddie Mercury, eine Pferdebremse nach Beyoncé, ein augenloser Käfer | |
kam 1937 zu dem Namen Anophthalmus hitleri – ja genau, nach dem Hitler, was | |
sich im Nachhinein gewiss in ein Meisterstück subtilen Widerstandes gegen | |
das Naziregime hätte umdeuten lassen. | |
Für den nicht Spinnenkundigen sieht die neue Spinne auf den ersten Blick | |
aus wie jede andere Spinne auch. Bei Spontanbegegnungen müssen zunächst | |
Ekel, Fluchtreflex und Tötungsimpuls niedergekämpft werden. Das ist eine | |
Kulturleistung! Einige vermögen noch einen Schritt weiterzugehen und die | |
Spinne als „irgendwie interessant“, als „auf ihre Art schön“ oder gar … | |
„Wunder der Natur“ zu bezeichnen. | |
## Sympathischer Gliederfüßer | |
Sollte die Spinne im Erstgespräch darauf hinweisen, dass sie noch unbekannt | |
und namenlos ist, darf man sich auf Namenssuche begeben. Findet man den | |
Gliederfüßer sympathisch, wird man dafür nur Prominente in Betracht ziehen, | |
die man ebenfalls sympathisch findet. Weil die Regeln zur Benennung von | |
Tierarten unübersichtlich und umstritten sind, hat man dabei weitgehend | |
freie Hand. | |
Der oder die Prominente muss offenbar nicht gefragt werden, was dazu führen | |
kann, dass eine neue Art von Zecken oder Wanzen den Namen bekommt, weil der | |
Entdecker Zecken oder Wanzen toll findet. Natürlich sind auch umgekehrte | |
Fälle möglich: Man hat etwas entdeckt, was einem überhaupt nicht gefällt. | |
Es ist hässlich, stinkt, sticht oder hat einem gerade ein Bein abgebissen, | |
mit dem es jetzt fröhlich am Ufer herumtollt – da wird man nicht den Namen | |
seines persönlichen Lieblingsprominenten nehmen wollen. | |
Als Prominenter steht man vor dem weiteren Problem, dass im Grunde nur noch | |
unansehnliches Kleinstgetier entdeckt wird. Alles Respektable, Mächtige, | |
sexuell Attraktive ist schon längst vermessen und beschrieben. Mit der | |
Entdeckung neuer Arten von Löwen, Delfinen oder Adlern ist nicht zu | |
rechnen. Es sitzen auch keine kleinen knopfäugigen Knuddelwuschelnagetiere | |
mehr unerkannt im Unterholz, die man auf der Stelle adoptieren und Greta | |
nennen möchte. Stattdessen: Schaben, Käfer, Fliegen. Auch in den finsteren | |
Tiefen der See treiben sich nur noch bizarre Nano-Wesen herum, die mit der | |
Sammelbezeichnung Plankton noch gut bedient sind. | |
## Käfer Chemnitz | |
Die Namensgebung will gründlich durchdacht sein. Denn es bleibt bei der | |
Erstbenennung, komme, was da wolle. Man kann es sich nicht später noch | |
einmal anders überlegen, weil der Lieblingsprominente sich daneben benommen | |
hat und deshalb nicht mehr der Lieblingsprominente ist: Der Name bleibt. | |
Deshalb heißt das blinde Insekt auch weiterhin nach dem „größten“ Führer | |
aller Zeiten, da kann man nix machen. Einmal hitleri, immer hitleri. Es ist | |
ein klares Prinzip, das, gälte es auch in anderen Bereichen, manches | |
einfacher machte. Wäre zum Beispiel Chemnitz ein Käfer, hätte es nicht | |
zwischenzeitlich Karl-Marx-Stadt heißen müssen. | |
Mitunter kommt es zu Konstellationen, bei denen nicht irgendwann irgendwer | |
was zu mäkeln hat, sondern alle Beteiligten dauerhaft zufrieden sind. Zum | |
Beispiel beim sogenannten Eisernen Kanzler, dem Zeitgenossen irgendwann den | |
Namen eines schmackhaften sauer eingelegten Fisches gaben. Als Fürst Otto | |
von Bismarck lebte er zufrieden bis an sein Ende, und auch der | |
Bismarck-Hering macht bis heute keine Anstalten, den Nachfahren des | |
Fürsten, die wahrlich nicht alle überzeugende Existenzen sind, seinen Namen | |
wieder zu entziehen. | |
10 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Robert Niemann | |
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