# taz.de -- Die Wahrheit: Kostümierte Kackhaufen | |
> Wer zur Demo-Saison im Frühjahr auf die Straße will, sollte dringend ein | |
> paar Grundregeln beachten. Ein Wahrheit-Ratgeber. | |
Bild: Das Demonstrationsmöbel Sarg im Einsatz für die gute Sache | |
Der Frühling naht, es wird wärmer, man könnte mal wieder auf eine Demo | |
gehen. Sich einbringen, mitgestalten, so laut herumtrillern, dass selbst | |
lärmimprägnierte Stadtamseln tot vom Himmel fallen. Das Angebot ist groß. | |
Allein in Berlin werden pro Jahr etwa 5.000 Veranstaltungen angemeldet, das | |
sind fast vierzehn am Tag. Da müsste für jeden was dabei sein. Dennoch gilt | |
es einige Hürden zu überwinden: Die Demo ist zum Beispiel in Mitte, und da | |
müsste man ja extra hinfahren. Und dann findet sie tatsächlich draußen auf | |
der Straße statt. Da wäre man bei Nieselregen praktisch wehrlos. | |
Und eine Gegendemo ist auch angemeldet? Man müsste sich also entscheiden: | |
Bin ich dafür oder dagegen? Was ist, wenn ich merke, dass ich eigentlich | |
weder noch bin? Kann man dann rasch noch eine eigene Demo auf die Beine | |
stellen? Wo kriegt man so schnell ein passendes Spruchband her, auf dem | |
stehen müsste: „Hier demonstriert die Stimme der Vernunft!“ Und würde es | |
einen so guten Eindruck auf Touristen machen, wenn die Stimme der Vernunft | |
nach dem Ende der Demo völlig zerrupft in der U-Bahn sitzt? | |
Bis man das alles gründlich durchdacht hat, ist die Demo längst | |
Vergangenheit, und man war wieder nicht dabei. Dabei gibt es viel | |
Interessantes, wogegen demonstriert wird. Zum Beispiel jene Veranstaltung | |
in Dresden vor zwei Jahren, bei der etwa fünfzig Mitarbeiter des | |
städtischen Abwasserbetriebes über die Prager Straße zogen. Sie | |
demonstrierten dagegen, dass die Dresdner zu viel Müll in die Toiletten | |
werfen und nicht in die Mülltonnen. Sie wollten aber nicht nur kritisieren, | |
sondern auch zeigen, was in die Kanalisation gehört, als positives Beispiel | |
sozusagen. Deswegen hatten sie sich als Kackhaufen kostümiert. Ob bei der | |
Herstellung der Kostüme ausschließlich Naturmaterialen verwendet wurden, | |
ist aber nicht überliefert. | |
## Rücktritt des Rektors | |
Schön war’s auch vor achtzehn Jahren in Prag. Dort gingen die Studenten der | |
Kunsthochschule auf die Straße. Sie forderten den Rücktritt ihres Rektors, | |
ein Mann namens Milan Knížák. Sie zogen mit ihren Transparenten, auf denen | |
„Weg mit Knížák!“ stand, durch die Stadt und bemerkten erst bei der | |
Abschlusskundgebung, wer die ganze Zeit in der ersten Reihe mitgelaufen | |
war: ihr Rektor Knížák. | |
Eine Mindestteilnehmerzahl ist nicht vorgeschrieben. Demonstrationen müssen | |
nicht groß sein. So demonstrierten unlängst ganze drei Tierschützerinnen | |
gegen Kuhglocken, und zwar nackt. Sie drehten ein Video davon und stellten | |
es ins Netz, das dann von ganz vielen Männern angeklickt wurde. Was man | |
halt so anklickt, wenn man an Kuhglocken interessiert ist. | |
Es gibt zahlreiche Ratgeber für Menschen, die eine Demonstration planen. | |
Vorschläge für geeignete Sprüche und Losungen werden gemacht, etwa für eine | |
Kombi-Demo, die drei Dinge miteinander verbindet, die man so nicht | |
unbedingt zusammendenkt: Erstens gegen religiösen Fanatismus, zweitens | |
gegen staatliche Überwachung und drittens für vegane Ernährung. Die | |
Teilnehmer sollten Folgendes rufen: „Kein Gott. Kein Staat. Kein | |
Fleischsalat!“ | |
Da könnte man doch wirklich mal mitlaufen! Gerade jetzt, da bald Frühling | |
ist. In den letzten Wochen sorgt es für Aufsehen, dass Schüler in größerer | |
Zahl am Freitag nicht mehr zur Schule erscheinen. Weil gleichzeitig | |
Demonstrationen für mehr Klimaschutz stattfinden, gibt es den Verdacht, die | |
fehlenden Schüler würden bei diesen Demos mitmachen. Hinter denen steckt | |
die junge Schwedin Greta Thunberg, die jüngst in Hamburg persönlich zu | |
besichtigen war. Merkmale: sehr klein, Strickmütze, sehr gefährlich. | |
## Schießbefehl per Leserbrief | |
Die Leserbriefseiten der Zeitungen und die sozialen Medien sind voller | |
Empörung und Forderungen an den Staat, hart durchzugreifen. Wo kämen wir | |
denn hin, wenn jeder einfach so die Schule schwänzte? Die Wortwahl erinnert | |
zwar ein wenig an Ardennenoffensive und Schießbefehl, aber Bürger, die sich | |
Sorgen machen, neigen nun einmal zur zugespitzten Formulierung. | |
Man muss das Ganze einordnen können: Wir vermitteln unseren Kindern doch | |
bestimmte Werte. Sie sollen verantwortungsbewusst handeln. Und da muss man | |
doch sagen: Es kann einfach nicht sein, dass Kinder und Jugendliche, denen | |
wir diese Grundsätze vermitteln, nicht zur Schule gehen, nur um auf einer | |
Klimaschutz-Demo mitzulaufen. Als ob das irgendeinen Sinn hätte! Dann | |
hätten unsere jahrelangen Bemühungen wirklich überhaupt nichts bewirkt. Man | |
müsste sich vor lauter Verzweiflung glatt den Strick nehmen. | |
Nein, es kann nur so sein, dass jene Schüler, die freitags nicht in der | |
Schule erscheinen, gute, nachvollziehbare Gründe haben: Am Vortag zu lange | |
gefeiert, ein Schnupfen ist im Anmarsch, die Eltern haben die Ski-Reise | |
ressourcenschonend schon mal einen Tag eher gebucht. Ja, man kann alle, die | |
sich Sorgen machen, beruhigen: Mit unseren Kindern ist alles in bester | |
Ordnung. | |
15 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Robert Niemann | |
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