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# taz.de -- Kolumne „Durch die Nacht“: Och, wir haben gar keine Berlin-Ikone
> Was Campino für Düsseldorf, Wolfgang Niedecken für Köln und Udo
> Lindenberg für Hamburg ist, das ist Blixa Bargeld nicht in dem Maße für
> Berlin.
Bild: Lieber Blixa Bargeld, so geht Ikone: Udo Lindenberg. Leider ein Hamburger
An die Achtzigerjahre kann ich mich noch gut erinnern, wie ich damals immer
wieder nach Berlin getrampt bin, ins düster-aufregende Mauerstadt-Berlin,
und ich irgendwann einmal im Auto neben einer Kreuzberg-Punkerin saß. Wir
sprachen über Musik und es ging dann auch um die Einstürzenden Neubauten
und Blixa Bargeld. Über den verlor meine Fahrerin kein gutes Wort. „Der hat
jetzt eine Küche von Bulthaup und wählt die CDU“, behauptete sie. Ich kann
mich noch sehr gut an ihre Worte erinnern.
Keine Ahnung, woher sie das wusste und ob das überhaupt stimmte und ob
Blixa Bargeld sich nicht eher bei Ikea seine Küchenzeile besorgt hatte.
Aber klar wurde doch, dass Herr Bargeld und seine Band damals arg an Kredit
in bestimmten Zirkeln der Berliner Subkultur eingebüßt hatten. Die einst so
radikalen Schrotttrommler traten inzwischen im Theater auf, galten nicht
mehr als Punk-Provokation, sondern als Kunst. Damit kamen viele nur schwer
klar.
Es muss dieser Moment in der Karriere der Einstürzenden Neubauten gewesen
sein, der verhindert hat, dass Blixa Bargeld heute eine unantastbare
Berlin-Ikone ist. Was Campino für Düsseldorf, Wolfgang Niedecken für Köln
und Udo Lindenberg für Hamburg ist, das ist Blixa Bargeld komischerweise
nicht in dem Maße für Berlin. Und so sehr geliebt wie David Bowie wird der
Mann in dieser Stadt sowieso nicht. Dabei macht er nun seit beinahe 40
Jahren Musik und seine Band ist international gleichermaßen einflussreich,
bekannt und beliebt.
Ich muss zugeben, dass Blixa es auch mir nicht immer leicht gemacht hat.
Letztlich sehe ich es ja ähnlich wie die Kreuzbergerin damals vom Trampen:
Die Einstürzenden Neubauten wurden mit den Jahren nicht unbedingt besser.
Und als dann auch noch FM Einheit sich mit Blixa Bargeld zerstritt und
ausstieg – der Mann, der dem typischen Neubauten-Krach mit seinen
Fertigkeiten an Betonmischer und Presslufthammer diese besondere Note
verlieh –, fand ich die einstige Berliner Avantgarde-Band nur noch fad.
Songs statt Lärm gab es bald. Das waren doch wirklich nicht mehr die
Neubauten, wie ich sie kannte.
## Permanent weiterentwickelt
Im Nachhinein muss ich aber zugeben, dass ich mich in allem geirrt haben
und dass die Neubauten eigentlich alles richtig gemacht haben. Denn sie
haben sich permanent weiterentwickelt, zu was auch immer, und sich so
selbst davor bewahrt, heute als diese Band zu gelten, die früher mal auf
Stahlrohren rumgeklopft hat und das halt einfach immer noch so weiter
macht. Nichts ist verbrauchter als die Avantgarde von gestern und zu ihrem
Glück haben die Neubauten das verstanden.
Ich kam persönlich auch nur schwer damit klar, dass sich Blixa Bargeld
parallel zu den Veränderungen seiner Band schon rein äußerlich vom
verhärmten Punk mit Anti-Frisur und der Vorliebe für Speed zum
Wohlstands-Musiker mit gemütlichem Bäuchlein und geordnetem Mittelscheitel
verwandelte, der sich wahrscheinlich auch mit Wein gut auskennt. Sicherlich
trinkt er den tatsächlich längst in seiner Küche von Bulthaup. Aber auch
hier muss ich nun sagen: Das passt schon. Die Stadt Berlin hat sich eben
geändert, Blixa Bargeld mit ihr und ständig diese Nostalgie führt doch zu
nichts.
Eigentlich würde ich nun sogar ganz gerne nächste Woche zum Konzert der
Einstürzenden Neubauten gehen, nachdem mich die Auftritte der Band in den
letzten Jahren, besser: in den letzten Jahrzehnten, nicht mehr interessiert
haben. Aber das Konzert in der Columbiahalle ist längst ausverkauft.
Vielleicht wird aus der schwierigen Beziehung zwischen Berlin und Blixa
Bargeld ja doch noch echte Liebe.
12 Nov 2017
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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