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# taz.de -- Interview mit Lars Eidinger: „Mir ist nichts unangenehm“
> Der Schauspieler Lars Eidinger über die Neuauflage seines 1998
> veröffentlichten Instrumental HipHop-Albums und seine Liebe zu den
> Beastie Boys.
Bild: Plant keine Schmuckkollektion: Lars Eidinger
Herr Eidinger, in Russland gibt es eine groteske Kampagne orthodoxer
Christen gegen den Film „Mathilde“, in dem Sie den letzten russischen Zaren
Nikolaus II. verkörpern. Auch gegen Sie als Person wird gehetzt. Ist es
unter diesen Umständen besonders angenehm, mal nur über Musik reden zu
dürfen?
Ach, mir ist nichts unangenehm, ich rede auch gern über die
Zaren-Geschichte. Ich finde es aber interessant, mal über Musik zu reden,
weil diese Gespräche ganz anders sind als sonst, wo gerne einfach nur das
abgearbeitet wird, was die ersten zehn Google-Treffer über mich als
Schauspieler abwerfen. Mir gefällt das.
Die Musik auf Ihrer Platte – eine Mischung aus düsterem, instrumentalem
Trip- und Hip Hop – ist beinahe 20 Jahre alt. Und das hört man auch.
Mir ist schon bewusst, dass die Musik für die Zeit spricht, in der sie
entstanden ist, und heute sicherlich nicht mehr diese Gültigkeit hat. Ich
kenne wenig Leute, die überhaupt noch so etwas hören. Ich selbst dagegen
bin vielleicht ein wenig hängen geblieben bei dieser Musik aus den
Neunzigern, die man Headz nannte oder Instrumental-HipHop. Massive Attack
und Tricky beispielsweise haben für mich immer noch eine große Gültigkeit.
Viele Ihrer Schauspielerkollegen singen oder stehen Bands vor. Ihre
Popularität als Theater- oder Filmstars hilft ihnen dabei, auch als Musiker
wahrgenommen zu werden. Versuchen Sie nun auch einen solchen Imagetransfer?
Als die Platte erstmalig erschienen ist, hatte ich nicht das Gefühl, sie
wird veröffentlicht, weil ich ein bekannter Schauspieler bin. Mich kannte
damals ja auch kein Mensch als Darsteller, ich war zu der Zeit noch auf der
Schauspielschule. Und ich bin mir relativ sicher, dass heute niemand denkt,
ich würde nun versuchen, mit meiner Musik einfaches Geld zu verdienen.
Einfach aus dem Grund, dass die Platte ziemlich sperrig ist. Ich würde mich
viel schwerer tun, wenn ich jetzt eine Singer-Songwriter-Platte aufgenommen
hätte, so nach dem Motto: Hey, ich mach jetzt auch noch Musik und nächstes
Jahr kommt dann meine Schmuckkollektion raus.
Sind Sie letztlich ein verhinderter Musiker, dem nur der Erfolg als
Schauspieler dazwischen gekommen ist?
Ich sehe mich vor allem als Künstler. Und als solcher suche ich
Möglichkeiten, mich auszudrücken. Ich könnte mir auch vorstellen, einen
Fotoband herauszubringen, oder vielleicht male ich mal Bilder. Und es wäre
mir ziemlich egal, was die Leute dann denken, denn letztlich habe ich ja
das große Glück und Privileg, dass ich gar nicht erfolgsorientiert arbeiten
muss. Auch die Filme, die ich mache, bedienen nur ein relativ kleines
Publikum. Mein größter Kinoerfolg bisher war ein Film, den gerade mal
200.000 Zuschauer sehen wollten. Wenn ich mich im Alltag bewege, irgendwo
in den Bus einsteige, dann erkennt mich keiner. Ich habe aber auch gar
keine Lust, eine noch größere Popularität zu erreichen. Es geht ja auch
ohne, ich habe genug Arbeit.
War die Platte, die Sie damals am stärksten beeinflusst hat, das Album
„Entdroducing“ von DJ Shadow, das als das erste gilt, das allein auf
Samples basiert? Auch Sie verwendeten damals keine Instrumente, sondern
ausschließlich Samples.
Ja. Beziehungsweise: Nein. Vielleicht haben mich noch mehr als DJ Shadow
die Beastie Boys beeindruckt, die viel mit Samples gearbeitet und immer
wieder rein instrumentale Stücke aufgenommen haben. Ich war damals einfach
auf der Suche nach Musik ohne Gesang, wollte aber nicht gleich Jazz hören.
Das hat mich zum Instrumental-HipHop gebracht.
Was für ein Wortspiel steckt hinter dem Titel Ihrer Platte „I ’ll Break Ya
Legg“ genau?
Der Titel ist eher zufällig entstanden. Ich habe mich bei diesem sogar
verschrieben. Das war gar keine Absicht, auch wenn ich das jetzt vielleicht
nicht zugeben sollte. Ich wusste gar nicht, dass „Leg“ nur mit einem G
geschrieben wird. Ich wusste auch nicht, dass „Break a leg“ vor allem im
Theater das Pseudonym für „Toi, toi, toi“ ist. Ich wollte einfach nur klar
machen, dass ich keine Tanzmusik mache und wer doch versucht, dazu zu
tanzen, der bricht sich die Beine.
Haben Sie die Platte damals tatsächlich im Keller Ihrer Eltern aufgenommen?
Ja, in Berlin-Marienfelde, wo meine Eltern immer noch wohnen. Drei Freunde
und ich haben uns damals gemeinsam einen PC gekauft für 2.000 DM, jeder für
sich hätte sich so ein Gerät nicht leisten können. Glücklicherweise stand
der Computer dann bei mir zu Hause, weil wir diesen Keller hatten. Den
direktesten Zugriff auf das Gerät hatte also ich und irgendwann habe ich
den anderen den PC ganz abgekauft.
Und Sie verstanden dann gleich, wie das so läuft, wenn man Musik am PC
produzieren möchte?
Ich habe mir Interviews von DJ Shadow durchgelesen und dessen Arbeitsweise
dann kopiert. Er sagte, er nimmt einen Drum-Loop oder ein Schlagzeug-Sample
und zerlegt diese in Bassdrum, Hi-Hat und Snare, legt diese auf ein
Midi-Keyboard und hat dann auf den einzelnen Tasten die Drumsounds, die er
neu zusammensetzen kann. So habe ich es auch gemacht.
DJ Shadow gilt als passionierter Plattensammler. Wenn Sie selbst auflegen,
was Sie auch in bekannteren Clubs tun, muss es da auch unbedingt Vinyl
sein?
Ich leg schon auch viel mit CDs auf, weil es viele der Pophits, die ich
heute so spiele, gar nicht auf Vinyl gibt. Und wenn, dann nur auf der LP,
aber man will ja dann doch die Maxi spielen, weil die einen druckvolleren
Sound hat. Ich mag aber das Haptische an Vinyl, ich liebe es, durch Platten
zu kramen und ich lass mich auch gerne durch Cover inspirieren, die fehlen
mir total, wenn ich mit dem Laptop auflege und nur eine Tracklist vor mir
habe. Und ich finde mich mit meinen Platten besser zurecht als mit
irgendwelchen Audio-Files. Ich kann auch sehr betrunken noch Platten
auflegen, aber ich kann nicht sehr betrunken am Rechner nach bestimmten
Stücken suchen.
Ihre Partyreihe „Autistic Disco“ ist inzwischen nicht nur in Berlin ein
Begriff. Sie gelten als DJ, der alles gibt, ganz wie bei Ihrer
Schauspielerei. Wie kamen Sie damals überhaupt zur Auflegerei?
Ich war oft im längst verblichenen Club WMF. In dessen Lounge lief genau
die Art von Musik, die mir gefiel. Da durfte ich leider nie auflegen, aber
das wäre für mich der Olymp gewesen. Dafür habe ich dann viel aufgelegt in
der Aktionsgalerie. Ich war völlig überambitioniert, habe die Übergänge zu
Hause geübt und die Platten nach Geschwindigkeit geordnet, nach beats per
minute, damit sie besser harmonierten. Beim Auflegen war ich unansprechbar,
da durfte niemand kommen und sagen: „Hallo Lars“. Dafür mache ich jetzt
keine Übergänge mehr, keine schlechten, sondern gar keine mehr. Mir gefällt
daran das Dilettantische, das Unmittelbare.
DJ sind Sie also weiterhin, aber produzieren Sie auch noch Musik?
Nein, da läuft gar nichts mehr. Vielleicht mache ich, wenn ich als
Schauspieler in Rente gehe, wieder Musik. Derzeit habe dafür einfach keine
Zeit. Für mich funktioniert das mit dem Produzieren auch nur, wenn man sich
der Sache ganz verschreibt.
Früher scheint Musik Ihnen das Wichtigste gewesen zu sein. Was bedeutet Sie
Ihnen heute noch?
Ich interessiere mich immer noch sehr für Popmusik. Ich bin einfach sehr
geprägt von ihr und sie beschäftigt mich weiterhin, auch, wenn ich auf der
Bühne kreativ bin. Ich finde es inzestuös, wenn man als Schauspieler sagt,
man schaue sich für seine Arbeit hauptsächlich andere Filme oder
Theaterstücke an. Wenn mich etwas inspiriert, dann sind es Popmusik,
Malerei und Fotografie. Daraus speist sich meine ganze Kreativität und
Fantasie, auch als Schauspieler.
3 Nov 2017
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Lars Eidinger
HipHop
Kolumne Großraumdisco
Lars Eidinger
Fotografie
Die Toten Hosen
Russland
Familie
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