# taz.de -- Interview über das Verhältnis der Menschen zum Fotografieren: „… | |
> Früher ließen die Menschen ließen sich noch unbefangen bei dem | |
> fotografieren, was sie gerade taten.Der Hamburger Fotograf Hans Rudolf | |
> Uthoff ist in diesem Jahr 90 geworden | |
Bild: Ist beim Schah-Besuch in Bonn 1955 einfach mit der Kamera losgezogen: Han… | |
taz: Herr Uthoff, Sie sind als Kind in der Weimarer Republik aufgewachsen, | |
haben den Nationalsozialismus erlebt, die Nachkriegszeit, die Bonner | |
Republik und nun die Berliner. Wird Ihnen nicht schwindelig? | |
Rudolf Uthoff: Ehrlich gesagt, nicht. Ich habe bewusst bei meinen | |
Personalien, die ich so angebe, die Vorkriegs- und Kriegszeit weggelassen. | |
Vielleicht so viel: Ich bin in Westfalen aufgewachsen, dort zur Schule | |
gegangen. Während des Krieges ist unsere Familie nach Landsberg an der | |
Warthe umgezogen, das ist heute in Polen. Mein Vater hatte dort eine | |
Baumschule. Im Januar 1945 mussten wir unsere Koffer packen, die wir bald | |
stehen ließen, um das nackte Leben zu retten. Meinen Vater mussten wir | |
dalassen, er wurde zum Volkssturm eingezogen. Wir sind zu Verwandten nach | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
Wie ging es weiter? | |
Wir sind dann noch mal zurück, aber unsere Wohnung war besetzt. Meinen | |
Vater hatten sie abgeholt, wir haben ihn nie wieder gesehen. Wieder zurück | |
bei den Verwandten, haben wir dort noch ein Jahr gelebt, bis die Behörden | |
verfügten, dass alle, die vor 1939 in Westdeutschland gewohnt hatten, | |
dorthin zurück mussten – wir haben schlicht keine Lebensmittelkarten mehr | |
bekommen. Wir sind dann in der Gegend von Münster gelandet, und ich musste | |
mir etwas einfallen lassen: Ich war 19 Jahre alt, hatte ja keinen Beruf, | |
habe dies probiert und das probiert. Und dann bin ich bei der Glasmalerei | |
gelandet. | |
Wie kam das? | |
Eigentlich wollte ich in die Fußstapfen meines Vaters treten, er war | |
Gartenarchitekt. Aber es gab kaum Stellen. Und gab es eine, bekam ich sie | |
nicht: Münster und die Gegend drumherum waren stramm katholisch. | |
Und Sie waren protestantisch? | |
Genau. Ich habe dann eine Zeitungsanzeige gesehen, dass in einem | |
Glasmalereibetrieb eine Stelle frei wäre, und da ich immer gerne gezeichnet | |
und gemalt habe, habe ich gedacht: Gehste mal hin! Ich hatte keine Ahnung, | |
was Glasmalerei ist. Zehn Jahre habe ich in dem Betrieb gearbeitet. | |
Geleitet hat ihn ein ehemaliger Franziskanerpater, der hatte geheiratet, | |
hatte die Glasmalerei während seiner Zeit als Mönch gelernt. Wir | |
Angestellten waren alle evangelisch – bis auf den Chef. Wir haben | |
wunderschöne Sachen gemacht, die Kirchen waren ja alle kaputt. Am Ende | |
wurde ich im Kölner Dom eingesetzt, um dort das älteste Chorfenster aus dem | |
13. Jahrhundert zu restaurieren. Aber mir war klar, mit diesem Beruf könnte | |
ich mich nicht selbstständig machen. Ich hätte konvertieren müssen und das | |
wollte ich nicht. Und nebenbei habe ich ein bisschen fotografiert. | |
Also setzten Sie auf die Fotografie? | |
Im Sommer 1955 war ein hoher Staatsbesuch in Bonn angesetzt: Der Schah von | |
Persien mit seiner Frau Soraya kam. Bundespräsident Heuss kam ebenfalls und | |
Bundeskanzler Adenauer. Da ich wegen meiner Tätigkeit in Köln arbeitete, | |
aber in Bonn wohnte, bin ich den Leuten drei Tage lang gefolgt. | |
Kam man einfach ran? | |
Ich bin da einfach hingegangen. Es waren auch kaum Fotografen da, der | |
Pressepulk war überschaubar. | |
Niemand hat nach einem Presseausweis gefragt? | |
Ach, was! Mein Problem war nur beim offiziellen Presseshooting: Ich hatte | |
ein blaues Hemd an! Und hockte auch noch in der ersten Reihe. Der | |
Protokollchef sah das, winkte mich raus. Ein späterer Kollege sagte mir, er | |
hätte im Auto ein Hemd liegen, nicht mehr frisch, aber weiß. Also habe ich | |
mich im Auto umgezogen – und konnte meine Aufnahmen machen. Das war der | |
Anfang meiner fotografischen Karriere – denn meine Bilder wurden auf zwei | |
ganzen Seiten im Bonner Generalanzeiger gedruckt. Übrigens mit einer | |
geliehenen Kamera fotografiert, die nur 98 Mark gekostet und nur drei | |
Belichtungszeiten hatte. | |
Sie sind einfach mit Ihren Bilder zur Redaktion gegangen? | |
Ich wohne in einer Dachbutze. Ich hatte kein professionelles | |
Vergrößerungsgerät, nur ein ganz einfaches, und kleine Schalen zum | |
Entwickeln, Wässern und Fixieren von gerademal zehn mal 15 Zentimetern, | |
also Postkartenformat. Mit diesen Postkarten bin ich zur Redaktion gegangen | |
– und die waren so happy, dass sie die Bilder bekamen. | |
Es gab Geld? | |
Logisch! Kein Riesenhonorar. Aber es gab Geld. | |
Wie ging es weiter? | |
Wieder eine Annonce, diesmal suchte die Britische Armee einen Fotografen | |
für ihre PR-Abteilung. Ich habe ein paar meiner Bildchen genommen und bin | |
da mit dem Fahrrad hingefahren: Ich würde von ihnen hören – ein halbes Jahr | |
hörte ich nichts. Dann kam ein Brief: ‚Bitte kommen Sie sofort!‘ Also habe | |
ich meine Sachen gepackt. Ich hatte in meinem Leben noch kein | |
professionelles Vergrößerungsgerät gesehen und habe gestaunt, was es alles | |
so an Technik gibt. Und dann hieß es: „Rudolf, take a picture!“ Und Rudolf | |
hat ein Picture getaket. Learning by doing, das ging. Ich hatte die | |
Möglichkeit, dort zwei Jahre zu arbeiten. | |
Danach kam wieder eine Anzeige? | |
Wie immer! Diesmal wurde ein Pressefotograf für ein Stahlwerk gesucht. Na, | |
ich konnte jetzt ja was vorweisen. Und habe mich in Bochum in einem Werk | |
für Gußstahl vorgestellt. Das gab ein eigenes Magazin heraus: die | |
Hüttenzeitung. Meine Aufgabe war nicht, die Technik zu fotografieren, | |
sondern das Menschliche drumherum: die Arbeiter vor dem Hochofen, mit ihren | |
Familien zu Hause, beim Hobby oder im Urlaub. Bis der Betrieb 1967 im | |
Krupp-Konzern aufging und dann war Schluss mit der Zeitung. Aber ich konnte | |
mich richtig hocharbeiten. Ich hatte am Ende ein eigenes Labor, mit allen | |
Schikanen. | |
Es hat Sie dann nach Hamburg verschlagen … | |
Ich hatte keine Lust mehr auf den schwarzen Kohlenpott und hatte mich beim | |
Jahreszeiten-Verlag beworben. Ich habe Zeitschriften mitgegründet wie etwa | |
Die moderne Frau, heute ist das die Petra. Damals wurden Modereportagen mit | |
6x6- oder 6x9-Kameras fotografiert. Die waren sehr schwerfällig, das | |
Arbeiten mit ihnen sehr umständlich. Für meine erste | |
Farbfotografie-Reportage habe ich eine Kleinbildkamera genommen und bin mit | |
den Models, jungen Frauen und Kindern, raus in die Lüneburger Heide | |
gefahren. Und die Bilder hatten plötzlich etwas Leichtes und Lebendiges. | |
Damals war auch ästhetisch Aufbruch angesagt, man versuchte in der | |
Fotografie moderner zu werden. Dann wurde im Jahreszeiten-Verlag die | |
Fotoabteilung geschlossen. | |
Sie wurden endlich selbstständig? | |
Ich gründete 1971 das Unternehmen „Colorvision“ – der Name fiel mir einf… | |
ein. Ich habe danach für viele Zeitschriften in Deutschland, in Polen, in | |
England fotografiert. Teilweise Auftragsarbeiten, meistens aber frei. Ich | |
wusste, was die Kunden haben wollten; es gab Magazine, die hatten eine Art | |
Dauerabo auf meine Strecken. Heute gibt es das nicht mehr; heute werden die | |
aus dem Material von zehn bis 15 Agenturen zusammengesammelt. | |
Sie sind anschließend in den 1970er-und 80er-Jahren in über 120 Ländern | |
unterwegs gewesen: unter anderem in den USA, in Indien, Sri Lanka, China, | |
Russland. Wie war das? | |
Ich musste alles selbst organisieren. Und ich musste erfinderisch sein. Ich | |
hatte einen Auftrag in Moskau, das damals größte Hotel der Welt zu | |
fotografieren. 6.000 Betten – heute ist das längst abgerissen. Ich habe | |
mich in Hamburg bei der Botschaft gemeldet und die haben zwei Leute | |
geschickt. Wohlgemerkt: Die sind zu mir gekommen, nicht ich zu Ihnen. Die | |
haben meine Wohnung inspiziert, haben sich alles genau angeschaut. Die | |
beiden waren – klar – vom Geheimdienst. Der eine hat kein einziges Wort | |
gesagt, der andere hat meinen Ordner gesehen, auf dem „Ideen“ stand. „Oh … | |
Ideen, gut“, hat er gesagt, und ich habe alle Genehmigungen bekommen. | |
Hingereist bin ich mit Neckermann. Mit nur einer Kamera, denn mehr durfte | |
man nicht mitnehmen. Oder als ich das erste Mal in China war: Ich bin mit | |
einem Ärzteteam eingereist, wurde als Arzt geführt. Mich als Fotografen | |
hätten die nie ins Land gelassen. | |
Was hat sich in der Fotografie am stärksten verändert? | |
Das Verhältnis der Menschen zum Fotografen. Damals standen die Menschen | |
einem Fotografen viel freundlicher gegenüber; sie machten mit. Wenn man | |
heute nur die Kamera hochhebt, gibt es Protest oder die Leute wollen Geld | |
sehen. Mich hat es immer gereizt, Menschen im täglichen Leben abzulichten. | |
Wie sie sich selbstverständlich bewegen, wie sie einfach weitermachten, mit | |
dem, was immer sie gerade taten. Und dann erstarrten sie plötzlich und die | |
Zeit der Cartier-Bresson-Moment-Fotografie ging vorbei. | |
Wie hat die Zunft reagiert? | |
Viele Kollegen fingen an, Themen zu wählen, wo der Mensch nicht mehr im | |
Vordergrund stand, sie fotografierten nur noch Technik, nur noch Dinge. | |
Außerdem: Wir haben teilweise viel Geld verdient, wir haben auch viel Geld | |
investieren müssen, aber das Geld wurde immer weniger. Am Ende war es fast | |
mehr ein Hobby so zu fotografieren, wie ich fotografieren wollte. | |
Was war Ihre schönste Reportage? | |
Ach, eigentlich waren die alle schön. Aber es gibt eine, da habe ich heute | |
Respekt vor mir selbst: Ich habe 1975 das World Trade Center fotografiert, | |
von außen und im Inneren vom Keller bis zum Dachboden. Am Ende lag ich auf | |
dem Dach, vor mir eine Balustrade von vielleicht 50 Zentimetern Höhe; ein | |
Mitarbeiter, der zufällig vor Ort war, hielt mich am Hosengürtel fest. Das | |
war meine einzige Sicherung. Und ich fotografierte von dort oben aus 420 | |
Meter Höhe New York. Und das, wo ich als Schüler bei | |
Kirchturmbesichtigungen nicht in der Lage war, auf den Kirchturm zu kommen, | |
weil ich Höhenangst hatte. Das Foto hängt heute in unserer Wohnung über der | |
Eingangstür. | |
13 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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