# taz.de -- Udo Lindenberg Unplugged: Lass die anderen labern | |
> Wer den Hype um Udo Lindenberg verstehen will, der lese die Biografie | |
> „Udo“ und höre sein neues Album „MTV Unplugged 2“. | |
Bild: Udo Lindenberg in der Berliner Bar „Freundschaft“ | |
Udo Lindenberg gab im Sommer 2017 [1][ein Konzert in der Berliner | |
Waldbühne]. In froschgrünen Socken, mit schwarzen Slim-Fit-Jeans und | |
Nietengürtel auf Arschbackenhöhe fegte er da über die Bühne und schwang das | |
Mikrofon immer wieder wie ein Lasso. Seine Songs kündigte er mit einem fast | |
bedächtigen „Liebe Freunde …“ an, dabei lugte er auch schon mal unter | |
seiner Sonnenbrille hervor und sagte, wie schön es sei, dass die ganze | |
Udo-Familie wieder versammelt sei. | |
Wenn man das so sah, erschloss sich einem auf einer sehr intuitiven Ebene | |
das Bohei, das um Udo in jüngerer Zeit gemacht wurde – all die Udo-Elogen | |
der Feuilletons genauso wie die Tatsache, dass sich alle in diesem Land, | |
wohl abgesehen von AfD-Fans, auf Udo einigen können. Denn da stand einer | |
auf der Bühne, dem man die Figur abnahm, die er darstellte. Und der es sich | |
selbst abnahm, wenn er etwa sang: „Ich mach mein Ding / Egal was die | |
anderen labern / Was die Schwachmaten einem so raten / Das ist egal“. | |
Diese Udomania kann man nun noch etwas besser verstehen. Zum einen ist | |
jüngst die Biografie „Udo“ von Spiegel-Autor Thomas Hüetlin erschienen, d… | |
Aufschluss darüber gibt, wie aus dem Künstler Lindenberg, der vor 15 Jahren | |
am Boden lag und zerstört war, der Udo von heute wurde. Und dann | |
veröffentlichte Udo Lindenberg am Freitag mit „MTV Unplugged 2“ den zweiten | |
Teil seines bis dato erfolgreichsten Albums. Teil eins von 2011 verkaufte | |
sich über 1,1 Millionen Mal, eine irre Zahl im Digitalzeitalter. | |
Die Biografie von Hüetlin, in enger Zusammenarbeit mit Lindenberg | |
entstanden (sie wird als Autobiografie vermarktet, das ist sie aber nicht | |
wirklich), zeigt deutlich, was ihn von anderen deutschen Superstars – | |
Herbert Grönemeyer, Marius-Müller Westernhagen, auch den ostdeutschen | |
Liedermachern – unterscheidet. Lindenberg erreicht mit seiner Biografie und | |
vor allem seiner Sprache alle Milieus. Und seine Songs – Erich „Honey“ | |
Honecker wusste das seit „Sonderzug nach Pankow“ – sprachen schon zu | |
Mauerzeiten zu Westdeutschen und Ostdeutschen. Heute, fast 30 Jahre nach | |
Mauerfall, ist er eine große gesamtdeutsche Integrationsfigur, die in der | |
Politik zu jedem Zeitpunkt nach 89 fehlte. | |
## Ein verschärftes Leben fordert seine Opfer | |
Wie er diesen Status erreichen konnte? Zuvorderst, weil er es als Einziger | |
neben Rio Reiser geschafft hat, die Leichtigkeit des Blues, Rock ’n’ Roll | |
und Pop ins Deutsche zu überführen, ohne das hierzulande beliebte Pathos | |
beizumischen. Der unnachahmliche Udo-Scatgesang – „dädädä-dödö-dödö-… | |
zeugt davon; gleich zu Beginn des neuen Albums ist er in einer orchestralen | |
Version von „Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klau’n“ zu hören. D… | |
singt er auch die Udo-Signature-Verse: „Es muss doch irgendwo ’ne Gegend | |
geben / für so ’n richtig verschärftes Leben / und da will ich jetzt hin“. | |
Hüetlin nennt diese Strophe „die Essenz in sechs Zeilen“. | |
Das verschärfte Leben hat seine Opfer gefordert. So erzählt Hüetlin | |
Lindenbergs Werdegang – nachvollziehbar – als Wiederauferstehung. Denn in | |
den erfolglosen Jahren um die Jahrtausendwende hätte Lindenberg sich fast | |
totgesoffen, zu der Zeit ist er Dauergast im Krankenhaus, überlebt 4,7 | |
Promille nur knapp. „Alter, ich kann es nicht mehr mit ansehen, was du aus | |
deinem Leben gemacht hast. Eine Schande. Eigentlich hast du hier nichts | |
verloren“, sagt ein Zivildienstleistender auf der Station zu ihm. Anfang | |
der Nullerjahre singt Lindenberg auf Kreuzfahrtschiffen. Gegenüber dem | |
Seniorenpublikum übt er sich in Durchhalteparolen, sagt Sätze wie: „Die | |
Show muss weitergehen.“ Wie lächerlich das geklungen haben muss. | |
Den Tod seines geliebten Bruders, des Malers Erich Lindenberg, im Jahr 2006 | |
beschreibt Hüetlin als entscheidenden Wendepunkt. Dieser Verlust setzt | |
etwas in Gang. Mit „Stark wie zwei“ (2008) kommt Lindenberg in Topform | |
zurück – als erhabener Erzähler des Zwischenmenschlichen, des Schönen wie | |
des Abgründigen. Wie Lindenberg auf die Durchhängerzeit zurückblickt? Mit | |
zwei lapidaren Zeilen: „20 Jahre Suff und weg / Dann war er ready für sein | |
Comeback“, singt er in „Einer muss den Job ja machen“ (2016). | |
Natürlich geht Hüetlins Biografie über die Comeback-Story hinaus, die Tode | |
Nahestehender – seines Vaters Gustav, seiner Mutter Hermine, seines alten | |
Freundes Herm Eiling – ziehen sich als entscheidende Wegmarken durch das | |
Buch. Man erfährt viel über Lindenbergs Familie, das Aufwachsen im | |
Nachkriegsdeutschland, in der westfälischen Provinz (Gronau). Genauso über | |
den Teenager-Schlagzeuger, die öde Zeit an der Musikhochschule Münster, | |
seine frühen Hamburger Jahre – und immerhin ein bisschen über seine | |
Jazz-Anfänge. | |
## Der integre Integrator | |
Lindenberg erscheint wie die Symbolfigur eines sich liberalisierenden, | |
immer weniger autoritären Deutschlands. Bei den Anti-Atom-Protesten der | |
Achtziger, bei der „Grünen Raupe“ 1983, beim ersten „Rock gegen | |
rechts“-Festival 1979 in Frankfurt: Immer ist er dabei. „Wir müssen die | |
rechten Ochsenköppe stoppen“, sagte er damals. Fast beiläufig singt er | |
bereits Anfang der Siebziger über die Gleichberechtigung von Frauen wie | |
Homosexuellen: „Dann Mick Jagger und jetzt David Bowie / der seinen | |
Gitarristen auf der Bühne küsst / und wieso auch nicht / Es ist doch ganz | |
egal / ob du ein Junge oder ’n Mädchen bist“, heißt es in „Ganz egal“ | |
(1973). | |
Auf dem neuen Livealbum, im Juli in Hamburg eingespielt, hat der integre | |
Integrator Lindenberg einen neuerlichen großen Auftritt. Gäste sind unter | |
anderem Alice Cooper, Jan Delay und Marteria. Auch ein paar Schulkinder | |
haben ihren Auftritt. Für Lindenberg sind die Kleinen Vorbilder: „Später, | |
wenn du älter wirst, kommen die ganzen Ego-Dinger, Alltagsdetails, verloren | |
in allem möglichen Scheiß, dann ist das Wesentliche plötzlich weg. Die | |
unverfälschte, reine Sicht eines Kindes auf die Welt, das ist gut, wenn du | |
dir das für ein ganzes Leben erhalten kannst“, sagt er zwischen den Songs. | |
Kurz darauf lesen zwei Kids im neuen Song „Wir ziehen in den Frieden“ | |
Auszüge aus dem Grundgesetz (Artikel 3) und aus der Allgemeinen Erklärung | |
der Menschenrechte (Artikel 1). | |
Und wer diesen Move jetzt irgendwie peinlich findet oder so: ey, der hat | |
Udo einfach nicht kapiert. | |
15 Dec 2018 | |
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[1] /Udo-Lindenberg-in-Berlin/!5417687 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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