Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unabhängige Buchhandlungen in Berlin: „Es gibt auch linke Hipste…
> Buchläden können dem Internethandel trotzen, sagt Katja Reichard von „Pro
> qm“. Ein Gespräch über Gentrifizierung, die 90er und Englisch sprechende
> Kunden.
Bild: „Dussmann schickt Kunden zu uns“: Katja Reichard in ihrem Buchladen
taz: Frau Reichard, Sie betreiben mit Pro qm eine Buchhandlung in Mitte.
Wie gehen die Geschäfte?
Katja Reichard: Gut! Oder sagen wir es so: Wir können Miete und Löhne
zahlen.
Immerhin gibt es Ihren Laden noch. Trotz Amazon.
Amazon ist natürlich für das Sterben der klassischen Kiez- und
Sortimentsbuchhandlung verantwortlich – für den Tod von Läden, die noch
diese Einteilungen in Belletristik, Ratgeber und Kinderbücher haben. Aber
die spezialisierten Läden, die sich auf bestimmte Themen konzentrieren,
Bücher importieren und diesen Kontext mit Veranstaltungen ergänzen, sind
auch in den Zeiten von Amazon sehr gut überlebensfähig. Wir beobachten,
dass die Leute ja auch teilweise zum stationären Buchhandel zurückkehren,
wenn sie eine Zeit lang ihren Buchpaketen über mehrere Stationen hinweg
hinterher gerannt sind. Ich glaube auch gar nicht, dass das Internet
irgendwann den ganzen Handel mit Büchern beherrschen wird. Ich sehe
täglich, wie Kundinnen erst auf die Idee kommen, ein bestimmtes Buch zu
kaufen, nachdem sie bei uns in dieses reingeblättert haben.
Man muss nur wie Sie besondere Bücher über spezielle Themen anbieten wie
Urban Studies, Architektur und Popkultur, dann hat man eine Chance?
In den letzten Jahren sind in Berlin ja nicht nur viele Buchläden
eingegangen. Sondern es entstehen tatsächlich wieder überall neue, meist
superspezialisierte Buchhandlungen wie etwa Echo-Bücher im Wedding, die nur
Bücher zur elektronischen Musik führen und auch Veranstaltungen zu der
Thematik durchführen. Dazu kommen all die englischen Buchläden, arabische,
polnische, französische, spanische, türkische, portugiesische. Diese
Infrastruktur der kleinen Buchläden kann es natürlich nur in einer Stadt
geben, in der die Mieten trotz allem immer noch einigermaßen bezahlbar
sind.
Interessante Bücher zu kaufen geht in Berlin also besser als in München?
Diese Vielfalt und Schrägheit von Buchladenkonzepten ist in der Form
sicherlich nur in einer Metropole wie Berlin möglich. Es ist auch spannend
zu beobachten, wie eine regelrechte Mikro-Spezialisierung bei Buchläden
stattfindet. Man vermittelt sich auch gegenseitig Kunden, von denen man
denkt, die sind mit ihrem Spezialinteresse woanders besser aufgehoben. Ich
schicke Leute schon mal zu Echo Bücher, und Dussmann schickt Kunden zu uns.
Dussmann vermittelt an Pro qm?
Die rufen sogar an und fragen, ob wir ein bestimmtes Buch für einen Kunden
vorrätig haben.
Und wie überleben Sie, dass hier im Bezirk Mitte die Mieten durch die Decke
gehen?
1999 haben wir Pro qm auf der Alten Schönhauser Straße eröffnet. Weil uns
die Räumlichkeiten dort zu klein geworden waren, vor allem aber die
Mieterwartungen unseres damaligen Eigentümers nicht mehr unseren
Vorstellungen entsprachen, sind wir 2007 um die Ecke in die Almstadtstraße
gezogen. Wir waren also auch schon mal in unserer Existenz bedroht, unser
alter Vermieter wollte die Miete vervierfachen. Jetzt gibt es da, wo wir
früher waren, einen Laden mit Skaterschuhen. Unsere derzeitigen Vermieter
sind sicherlich auch keine Träumer, die fernab von Mietspiegeln agieren,
aber immerhin zählt für sie neben dem Finanziellen auch der inhaltliche
Ansatz. Und damit verkörpern sie ungefähr das Gegenteil von den
Immobilienfirmen, die sonst hier in der Umgebung aktiv sind.
Eine Hausverwaltung, der es nicht nur ums Geld geht?
Unser Laden befindet sich in einem Poelzig-Bau, muss ich dazu erklären.
Hans Poelzig war ein Architekt aus den Zwanzigern, der die Wohnbauten rund
um die Volksbühne errichtet hatte. Hier gibt es bewusst möglichst keine
schnelllebige Gastronomie oder Klamottenläden, sondern Räumlichkeiten mit
kultureller Nutzung wie Galerien oder das Kino Babylon. Unser Vermieter
macht damit im kleinen Maßstab Stadtentwicklungspolitik.
Sie haben in den Neunzigern in Christiane Rösingers Flittchenbar
mitgemacht, damals noch in der alten Maria, schmissen mit anderen eine Zeit
lang die legendäre Dienstagsbar und den Projektraum Klasse 2. Wie kamen Sie
dazu, einen Buchladen zu eröffnen?
Ich komme eigentlich vor allem aus dem Kunst-, Aktivismus- und
Kulturproduktionsumfeld der neunziger Jahre in Berlin und war in
verschiedene kritische Kunst- und Architekturprojekte eingebunden. 1997 und
98 war ich mit dabei, die InnenStadtAktionen zu veranstalten, eine
deutschlandweite Aktionswoche gegen die Umstrukturierung der Innenstädte
und die Privatisierung des öffentlichen Raums und damit einhergehende, auch
rassistische Kontrollmechanismen. Aus diesen Zusammenhängen heraus entstand
irgendwann die Idee für einen speziellen Buchladen und Treffpunkt zum Thema
Stadt und Stadtentwicklung.
B_books in Kreuzberg, den anderen bekannten und dezidiert links
orientierten Theorie-Buchladen und -Verlag in Berlin neben Pro qm, gab es
da schon, oder?
Ja, B_books gibt es seit Mitte der Neunziger. Dieses Buchladenkollektiv hat
uns damals dann auch einen Tag lang in einem Crashkurs gezeigt, wie der
Buchhandel eigentlich funktioniert. Wir hatten davon anfangs ja gar keine
richtige Ahnung. Einfach etwas auszuprobieren und solche nicht unbedingt
kommerziell ausgerichteten Läden wie B_books oder Pro qm zu gründen, war
Mitte der Neunziger an der Tagesordnung.
War in den Neunzigern in Berlin alles besser als heute?
Nein. Die Dinge und Projekte, an denen ich damals teilhatte, haben mich
sicher stark geprägt. Es war eine spannende Zeit. Aber es ist auch wichtig,
für neue Bewegungen und andere Sichtweisen offen zu bleiben. sich
einzugestehen: Okay, die Neunziger sind vorbei und womöglich laufen die
Dinge jetzt anders als damals, die Rezepte für urbanen Aktivismus sind
andere. Klar hat man immer noch eine politische Haltung, die nicht einfach
verschwindet. Aber die Stadt bietet nun eben nicht mehr all diese
Spielfelder, Brachen und Möglichkeitsräume wie damals.
Es ist heute also schwerer geworden als für Aktivisten damals?
Vielleicht. Man kann sich in der Innenstadt nun wahrscheinlich nur noch
einen Projektraum von vielleicht 27 Quadratmetern Größe leisten. Oder man
begibt sich mit seiner Initiative außerhalb des S-Bahn-Rings. Im
internationalen Vergleich dagegen erscheint Berlin wahrscheinlich immer
noch wie ein großes Versprechen. Der Mythos Berlin ist zählebig. Und was
die Clublandschaft betrifft, geht hier ja auch noch immer einiges.
Pro qm wurde in einer Zeit gegründet, in der Theorie ziemlich hip war.
Postmoderne, Dekonstruktion, dazu wollte man damals alles wissen. Ist diese
Fixierung auf Theorie heute nicht ein wenig aus der Mode gekommen?
Bestimmte Themen, die für uns anfangs wichtig waren, haben durchaus an
Bedeutung verloren. Schrumpfung beispielsweise ist in Berlin kein Thema
mehr. So rund um die Jahrtausendwende war die schrumpfende Stadt noch ein
bedeutender Diskurs hier. Heute werden bei uns im Laden eher Bücher zu
urbanen Infrastrukturen, „digital ecologies“, nachhaltigem Wohnungsbau und
Willkommensarchitekturen nachgefragt. Oder zu neuen philosophischen
Strömungen wie Posthumanismus und Anthropozänforschung.
Sind das dieselben Leute von damals, die sich bei Ihnen über diese neuen
Themen informieren möchten, oder ist es eine neue Generation von
Intellektuellen?
Bei dem Publikum, das inzwischen zu uns kommt, merkt man vor allem die
Internationalisierung Berlins. Es werden sehr viel mehr englischsprachige
Bücher nachgefragt, auch zu Berlin-Themen wie Clubkultur, Gentrifizierung
und Hausbesetzerbewegung. Diese Bücher heißen dann eben etwa „The Berlin
Reader“. Gut die Hälfte unseres Bestandes sind inzwischen Bücher in
englischer Sprache. Das Bild von den Internationals mit Bart, die in
Neukölln die Cafés leertrinken, das so gerne gezeichnet wird, ist eben
falsch. Das sind auch Leute, die in Berlin teilhaben am politischen Diskurs
und auch bei Projekten mitmachen. Die engagieren sich genauso gegen
Gentrifizierung in dieser Stadt wie andere Berliner, nur dass sie eben
Englisch sprechen, auch wenn das einzelnen provinziellen Leuten nicht
passen mag. Den Hipster in Berlin gibt es auch als Linken und kritischen
Bürger.
Wenn man so sehr auf englischsprachige Bücher setzt wie Pro qm, besteht
dann nicht die Gefahr, dass man noch weniger mit dem Internethandel
mithalten kann? Denn ausländische Bücher unterliegen in Deutschland keiner
Preisbindung und Amazon ist da Weltmeister im Drücken von Preisen.
Wenn man da ein kleines bisschen teurer ist als die Angebote im Netz,
akzeptieren das die Leute. Wir machen viele Veranstaltungen, die keinen
Eintritt kosten, das wird auch anerkannt. Vor Kurzem erst hatten wir Chris
Kraus hier, die den feministischen Bestseller „I Love Dick“ geschrieben
hat. Unser Laden ist aus allen Nähten geplatzt. Die Besucher konnten die
Autorin sehen, mit ihr reden und sich Bücher signieren lassen. Dann ist es
auch akzeptabel, wenn sie bei uns 50 Cent mehr für deren Buch zahlen.
8 Nov 2017
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Buchhandel
Gentrifizierung
Hipster
Politisches Buch
Buchhandel
Die Toten Hosen
Friedrichshain-Kreuzberg
Amazon
## ARTIKEL ZUM THEMA
Frauenbuchhandlung in Berlin: Frau hat was zu sagen
In Neukölln will Emilia von Senger „She said“ eröffnen: Eine Buchhandlung,
die nur Werke von weiblichen und queeren Autor*innen führt.
Kolumne „Durch die Nacht“: Och, wir haben gar keine Berlin-Ikone
Was Campino für Düsseldorf, Wolfgang Niedecken für Köln und Udo Lindenberg
für Hamburg ist, das ist Blixa Bargeld nicht in dem Maße für Berlin.
Extrempreise für Immobilien: Abstellkammer in Bestlage
Ein Makler bietet eine 10-qm-Wohnung in Kreuzberg für fast 100.000 Euro an.
Ein Witz? Nein: Es zeigt, was auf dem Berliner Immobilienmarkt schon
möglich ist.
Regal oder Warenkorb: Brauchen wir noch Buchläden?
Die Nachfrage ist stabil: 400 Millionen Bücher wurden 2009 in Deutschland
angeschafft. Menschen kaufen Bücher, immer noch. Die Frage ist nur: wo?
Neue Buchhandlung: Das Miteinander der Einzelkämpfer
Samstag eröffnet die Buchhandlung "Das besondere Buch". Hier gibt es nur
Bücher von kleinen, unabhängigen Verlagen. Ein Porträt der Macher.
Berliner Kleinverlage II: Die Angst der Kleinen vor dem Erfolg
Es sind schwere Zeiten für Kleinverlage - und doch geht es den Berliner
Verlegern vergleichsweise gut. Das liegt zum einen an den vielen Buchläden
in der Stadt, zum anderen an der Vernetzung mit den Autoren. Bleibt also
nur die Gefahr, an einem Bestseller zu verrecken.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.