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# taz.de -- Kolonialismus-Projekt jetzt doch gesichert: Aufarbeitung geht weiter
> In letzter Sekunde entschied der Senat, die 2014 gegründete
> Kolonialismus-Forschungsstelle an der Uni dauerhaft zu fördern. Die
> Finanzierung ist allerdings noch offen
Bild: Brutal: Deutsche Soldaten 1904 in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia),…
Ein Pionierprojekt ist gerettet: Kurz vor Auslaufen der dreijährigen
Förderung Ende März 2018 hat der Senat beschlossen, die Forschungsstelle
„Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an
der Universität dauerhaft zu fördern. Das habe Carsten Brosda (SPD),
Senator der federführenden Kulturbehörde, vor drei Wochen in einer
Bürgerschafts-Fragestunde erklärt, sagt Forschungsstellen-Leiter Jürgen
Zimmerer. „Herr Brosda sagte, man wolle das Projekt verstetigen, und die
für die Finanzierung zuständige Wissenschaftsbehörde überlege derzeit, wie
das zu bewerkstelligen sei.“
Das ist eine so kurzfristige wie überraschende Wende. Denn in der
Senats-Antwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion vom August, die am
Freitag im Kulturausschuss diskutiert wurde, hatte das noch anders
geklungen. „Die Planungen und Überlegungen der zuständigen Behörden sind
noch nicht abgeschlossen“, war da zu lesen, als sei die Abwicklung in
Wahrheit längst beschlossen.
Dabei hatte derselbe Senat das Projekt – das deutschlandweit einzige seiner
Art – 2014 mit großem Elan beschlossen und mit der dringenden Notwendigkeit
begründet, Hamburgs Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Insgesamt 380.000
Euro hatte die Stadt für zunächst drei Jahre bewilligt, von denen ein
halber Mitarbeiter sowie zwei Doktorandenstellen bezahlt wurden.
Sie sollten eine Ringvorlesung, einen Sammelband sowie eine Fachtagung
stemmen. Zeitweilig beschäftigte die Forschungsstelle 14 Mitarbeiter,
finanziert aus Drittmitteln, die Zimmerer, im Hauptberuf Professor für
Globalgeschichte, einwarb. „Das heißt aber auch, dass wir mit
Kurzzeit-Verträgen arbeiten und hoch qualifizierten Leuten oft keine
Perspektive bieten können“, sagt er. Schon mehrfach seien gute Mitarbeiter
abgeworben worden.
Deshalb hält er es für notwendig, die Forschungsstelle auf mindestens zehn,
15 Jahre anzulegen und mit 300.000, 400.000 Euro jährlich auszustatten, mit
zwei Wissenschaftler- und einer Verwaltungs-Stelle. Nur so könne die
bislang erreichte Qualität auf Dauer sichergestellt werden.
Zudem könne man das in Hamburg Erarbeitete nutzen und die Forschungsstelle
zur zentralen Kolonialismus-Forschungsstelle für ganz Deutschland ausbauen,
die etwa auch die Macher des Berliner Humboldt-Forums im Umgang mit
Kolonialismus berate.
Aber auch in Hamburg, laut Zimmerer „der Kolonialismus-Metropole per se“,
ist die Arbeit noch längst nicht getan. „Wir haben in den vergangenen drei
Jahren stichprobenartig Bohrungen durchgeführt und Details zutage
gefördert, die unbekannt waren“, sagt er. Kaum jemand habe zum Beispiel
gewusst, dass vom Petersenkai in Hamburgs Baakenhafen 90 Prozent aller
deutschen Soldaten verschifft wurden, die für den Völkermord an den Herero
und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, verantwortlich
waren“, sagt Zimmerer. „Davon haben nicht nur die großen Reeder profitiert,
das reichte bis ins Kleinbürgertum hinein, zu Händlern und Versorgern.“
Auch die Profiteure des Sklavenhandels vom Altonaer Hafen aus seien noch
nicht alle benannt – ganz zu schweigen von den Kulturinstitutionen:
„Theater und Oper haben ab 1880 ein stramm pro-koloniales Programm
gefahren“ sagt Zimmerer. „Gioacomo Meyerbeers Oper ,Die Afrikanerin' war
damals sehr beliebt und wurde erst 1933 abgesetzt.“ Und das nicht wegen
ihrer rassistischen Texte, sondern aufgrund rassistischer Vorbehalte des
NS-Regimes gegen den jüdischen Komponisten. All diese Forschungen müssten
dringend vertieft werden.
Wie viel Geld Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die
Grünen) locker macht, ist noch unklar. Eigenartig auch, dass der Senat
seine Entscheidung nicht öffentlich machte, nachdem man Zimmerer monatelang
hingehalten hatte.
Andererseits habe sich der Senat in den letzten drei Jahren auf der Arbeit
der Forschungsstelle ausgeruht und ansonsten wenig getan, um das
gleichfalls beschlossene gesamtstädtische (post-)koloniale
Erinnerungskonzept zu befördern, sagt Norbert Hackbusch,
haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Der Runde Tisch mit
Forschern, Museumsleuten und zivilgesellschaftlichen Gruppen wie der
„Arbeitskreis Hamburg postkolonial“ etwa werde erst jetzt, kurz vor Ablauf
des Projekts, gestartet. Trotzdem ist Hackbusch insgesamt zufrieden. „Denn
auch die Museen haben in letzter Zeit begonnen, sich intensiver mit
kolonialistischen Aspekten zu befassen. Da bewegt sich was.“
5 Nov 2017
## AUTOREN
Petra Schellen
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Deutscher Kolonialismus
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