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# taz.de -- Geschichte und G20-Gipfel: Orte des Kolonialismus
> Die Stadt rühmt sich mit ihrer Weltoffenheit und will nun ihre
> Kolonialgeschichte aufarbeiten. Dafür müsste auch das Selbstbild
> angekratzt werden.
Bild: Historischer Dreh- und Angelpunkt des kolonialen Handels: Die Speichersta…
Hinterm Sperrgebiet des G20-Gipfels liegen der Hamburger Hafen und die
Speicherstadt, Wahrzeichen der Weltoffenheit Hamburgs – und einer der
Gründe, warum die Wahl des Austragungsortes auf die Hansestadt fiel. Denn
Hamburg sei dank dem Hafen seit Jahrhunderten eine internationale
Handelsstadt. Dass diese Handelsbeziehungen bis ins 20. Jahrhundert
kolonial waren und Hamburg besonders vom Kolonialismus profitierte, ist
nicht Teil der offiziellen Stadtgeschichte.
Das soll sich nun ändern: Als erste Stadt in Europa hat Hamburg 2014
beschlossen, die eigene koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten. Dafür hat
der Hamburger Senat die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“
um den Historiker Jürgen Zimmerer eingerichtet.
Zimmerer will mit seinem Team die offizielle Erzählung gegen den Strich
bürsten. „Wir müssen das nur positiv-verklärende Bild von der Weltstadt
Hamburg dekonstruieren und um ein alternatives Bild der Stadtgeschichte
ergänzen“, sagt er. „Hamburg, wie ganz Europa, hat seinen Reichtum auch auf
den Schultern der kolonisierten Länder aufgebaut.“
## Spuren des Kolonialismus
Straßen benannt nach Kolonialherren, Elefantenstatuen vor Kontorhäusern und
die Universität, die 1919 aus dem Kolonialinstitut hervorging: Koloniale
Spuren prägen bis heute das Stadtbild. Die Spuren einfach zu tilgen sei
definitiv der falsche Weg, sagt Zimmerer. „Die Erinnerung daran muss
erhalten bleiben, deshalb ist es wichtig, die kolonialen Erinnerungsorte zu
kontextualisieren. Man kann ja den Kontext erhalten und ihn umdrehen“,
erklärt er.
In Hamburg sind die zentralen Knotenpunkte des kolonialen Welthandels
mühelos zu Fuß zu erkunden. Zimmerer steht zusammen mit seinem
wissenschaftlichen Mitarbeiter Kim Todzi vor dem imposanten Hamburger
Rathaus. „Das Rathaus ist im kolonialen Zeitalter gebaut worden und
spiegelt auch den imperialen Drang wider“, sagt Kim Todzi und zeigt auf
eine Inschrift mit dem Namen O’Swald am Gebäude.
Die Familie O’Swald sei eine einflussreiche Hamburger Handelsfamilie
gewesen, die vor allem mit Ostafrika Handel betrieben habe, erzählt Todzi
und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Was oft nicht erzählt wird, ist,
dass sie Plantagen mit versklavten Beschäftigten betrieben haben. Man sieht
also, aus welchem Reichtum das Rathaus unter anderem entstanden ist.“
Hamburg beteiligte sich an der europäischen kolonialen Expansion, schon
lange bevor Deutschland zum Kolonialreich wurde.
## Herrschaftliches Handelszentrum Hamburg
Erst auf das Drängen der Handelskammer hin unter der Leitung des Kaufmanns
und Reeders Adolph Woermann willigte Otto von Bismarck 1884 schließlich in
die koloniale Expansion ein, der er zuvor kritisch gegenüberstand. Für
Kaufleute und Reedereien sei der Kolonialismus ein großes Geschäft gewesen
– aber auch für Hoteliers und Gaststättenbetreiber oder für die Reeperbahn,
auf der sich die Soldaten vergnügten, bevor sie in den Krieg nach Namibia
zogen, sagt Zimmerer.
Davon zeugt bis heute die Speicherstadt, die seit 2015 Weltkulturerbe ist.
Der Lagerhauskomplex wurde ab 1883 gebaut, um koloniale Waren aus aller
Welt zu lagern und weiterzuvertreiben. Ende des 18. Jahrhunderts sei
Hamburg die größte Zucker verarbeitende Stadt Europas gewesen, erzählt Kim
Todzi vor der Kornhausbrücke am Eingang zur Speicherstadt. Ein paar hundert
Meter weiter, am Baakenhafen, legte die Woermannlinie ab, die Tausende
Soldaten und Pferde in den Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in
der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest schickte.
An die „in China und Afrika für Kaiser und Reich“ gestorbenen Soldaten
erinnert in der Michaeliskirche eine offizielle Gedenktafel. Der mehr als
60.000 Herero und 10.000 Nama, die dem Vernichtungskrieg zum Opfer fielen,
gedenkt die Tafel nicht. „Gerade einer Kirche stünde es gut, auf eindeutig
rassistisches Gedenken hinzuweisen“, sagt Jürgen Zimmerer.
## Alter und neuer Kolonialismus
Der Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia von 1904 bis 1908
ist bis heute nicht aufgearbeitet. Zwar hat der Bundestag den Völkermord im
Juli 2016 offiziell anerkannt, doch die Bundesregierung lehnt
Reparationszahlungen ab – mit Verweis auf die hohe Entwicklungshilfe, die
Deutschland an Namibia zahlt. Wohl aus Angst, andere ehemalige Kolonien
könnten ebenfalls Reparationen fordern.
Im Januar haben Vertreter der Herero in New York eine Sammelklage gegen
Deutschland eingereicht. „Deutschland verhandelt mit der namibischen
Regierung ohne die Herero“, kritisiert Israel Kaunatjike vom Bündnis
„Völkermord verjährt nicht“. Kauntajike ist der einzige Herero-Aktivist in
Berlin. Der 70-Jährige kämpft seit Jahren um die Anerkennung des Genozids
und ist entschlossen, nicht aufzugeben, bis Deutschland eine Entschädigung
für die begangenen Verbrechen zahlt.
Vom Treffen der globalen Wirtschaftsmächte in Hamburg, bei dem auch Afrika
auf der Tagesordnung stehen wird, erwartet Kauntajike nichts. „Das ist nur
eine Fortsetzung von 1884, eine neue Art der Kolonialisierung Afrikas. Man
nennt das heute Globalisierung“, sagt er in Anspielung auf die Berliner
Konferenz, bei der die europäischen Mächte den afrikanischen Kontinent auf
dem Reißbrett unter sich aufteilten.
## G20 als Chance?
Jürgen Zimmerer ist da etwas optimistischer. „Die Strukturen des
Welthandels atmen immer noch etwas den kolonialen Geist“, räumt er ein.
„Aber G20 markiert auch das Ende des kolonialen Zeitalters, weil sich die
ökonomischen Schwerpunkte global verändert haben. Europa ist nicht mehr der
Nabel der Welt. Es sitzen Vertreter des Globalen Südens am
Verhandlungstisch – das war 1884 nicht so.“
5 Jul 2017
## AUTOREN
Elisabeth Kimmerle
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