# taz.de -- Plädoyer für Raison mit Rechten: Goebbels-Vergleiche gewinnen nic… | |
> Die Frankfurter Buchmesse ist vorbei – und zumindest Teile der Linken | |
> sind der Neuen Rechten voll in die Falle gegangen. | |
Bild: Sorry, liebe Linke, aber wer nur simple Parolen bietet, den zerfetzen die… | |
Es ist jetzt also, kühl betrachtet, genau das passiert, was viele Menschen | |
befürchtet hatten. Drei, vier Verlage und ein, zwei Veranstaltungen von | |
mehreren Tausend bestimmten am Schluss der [1][diesjährigen Frankfurter | |
Buchmesse] die Diskurse. In den Messehallen präsentierten sich eine | |
vielfältige Branche und eine komplexe intellektuelle Welt – und alle fragen | |
als Erstes nach den Rechten. | |
Im Grunde ist es der Worst Case. Und der Gedanke liegt nahe, dass es auch | |
erst der Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen ist. Am 24. Oktober | |
konstituiert sich der Bundestag – inklusive [2][der AfD-Fraktion]. Die | |
Hoffnung kann nur sein, dass es da geschickter läuft als in Frankfurt. | |
Was lief schief? Mit etwas Abstand ist es vor allem wichtig, zu verstehen, | |
dass bei einem solchen Spiel der Eskalationen, wie es sich am Schluss der | |
Buchmesse hochschaukelte, nur die Rechten gewinnen können. Sie schlagen | |
kulturelles Kapital aus der Aufmerksamkeit, die sie jetzt haben. Sie können | |
sich als Opfer stilisieren. Sie können die Reihen fest schließen und sich | |
ganz toll was drauf einbilden, dass ihretwegen – aus ihrer Sicht – versucht | |
wurde, die Meinungsfreiheit außer Kraft zu setzen. | |
Wahrscheinlich lachen sich die Kubitscheks und Co sowieso gerade ins | |
Fäustchen. Oder sie freuen sich über ihre gelungenen Coups, etwa den, dem | |
hoch reflektierten Band „Mit Rechten reden“ von Per Leo, Maximilian | |
Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn ein eigenes Buch mit dem Titel „Mit Linken | |
leben“ entgegenzusetzen. In ihm spielen sie sich als „Stachel im Fleische“ | |
auf. So sehen sie sich gerne. | |
## Im diskursiven Gerangel sehr geschickt | |
Und genau dieses Bild wurde ihnen nun zurückgespiegelt. Denn – und das darf | |
man nicht vergessen – im diskursiven Gerangel mit der Linken sind die | |
Rechten sehr geschickt. Sie kopieren, was ihnen passt, haben linke | |
Verhaltensweisen gut studiert und wissen, wie sie Nadelstiche setzen | |
können. | |
Und die Linke? Sie hat sich provozieren lassen und stand am Schluss dieser | |
Buchmesse doofer da, als sie ist. Der Versuchung, gnadenlos zu | |
vereinfachen, gab sie ohne viel Federlesens nach. Auch wohlmeinende linke, | |
linksalternative und linksliberale Menschen ignorierten in den sozialen | |
Medien sofort rechtsstaatliche Prinzipien und forderten Verbote. Obwohl | |
etwa [3][der Faustschlag] gegen den Trikont-Verleger Achim Bergmann | |
keineswegs vom Stand der Jungen Freiheit aus geführt wurde, sondern aus dem | |
Publikum. So schlimm das ist: Man kann dafür nicht umstandslos die Junge | |
Freiheit haftbar machen, so schrecklich man sie auch findet. Gut immerhin, | |
dass der Schläger dingfest gemacht wurde. | |
Überhaupt, was soll diese Formulierung, die Messe hätte die Rechten | |
„eingeladen“. Verlage werden zur Messe nicht eingeladen, sie melden sich | |
an. So eine Anmeldung muss man im Einzelfall prüfen. Liegt etwas | |
strafrechtlich Relevantes vor, muss der Verlag verboten werden, klar. Aber | |
das wegen des bloßen Verdachts zu tun oder weil einem angesichts von | |
rechtskonservativen oder rechtsnationalistischen Thesen unwohl wird, käme | |
tatsächlich Zensur gleich. | |
Damit nicht genug. Demagogische Vergleiche mit Goebbels-Reden machten die | |
Runde. Die Nazikeule wurde sowieso geschwungen, als ob man noch nie davon | |
gehört hätte, wie unbeholfen und schwierig sie ist (und wie leicht man mit | |
ihr in Gefahr gerät, im Umkehrschluss die historischen Gräuel der realen | |
Nazis zu relativieren; Auschwitz ist immer noch etwas anderes). | |
## Nennt mich Liberalala | |
Der vermeintliche Naziangriff gegen den Frankfurter Stadtverordneten Nico | |
Wehnemann, der die Wellen am Wochenende vollends hochschlagen ließ, erwies | |
sich in der Realität als ein robustes, jedoch nachvollziehbares Eingreifen | |
des Sicherheitsdienstes der Buchmesse in einer unübersichtlichen Situation. | |
Das Statement der Buchmesse zu den Vorfällen stellte rechte und linke | |
Protestierer auf eine Stufe und war darin sehr unglücklich formuliert. | |
Überhaupt muss man immer gegen die totalitaristischen Thesen angehen, nach | |
denen sich die Rechten und die Linken als Extreme strukturell irgendwie | |
gleichen würden (sie tun es in Wirklichkeit selbstverständlich nicht). Aber | |
sagen wir es so, die Frankfurter Buchmesse des Jahres 2017 lieferte nicht | |
gerade überzeugende Argumente für die These, die Linken seien die Klügeren. | |
Man kann es schon so sehen: Teile der Linken sind der Neuen Rechten voll in | |
die Falle gelaufen. | |
Das ist der schlimmste Punkt. Nennt mich Liberalala, aber so sind die | |
anstehenden diskursiven Auseinandersetzungen mit der Neuen Rechten nicht zu | |
gewinnen. Viel Sympathie und allen intellektuellen Feuerschutz allen | |
lebensweltlichen Ansätzen, sich gegen die Neuen Rechten abzugrenzen. Aber | |
die Frankfurter Buchmesse ist kein Wohnviertel, sie ist auch kein | |
Fußballverein und keine Zeitungsredaktion. Sie ist ein Diskursraum. Und es | |
wäre gefährliches wishful thinking, zu glauben, dass die Neue Rechte | |
daraus einfach wieder verschwinden wird. Das wird sie nämlich nicht. | |
Genau in dieser Situation provokativer Spielchen fühlt sie sich vielmehr | |
pudelwohl. Denn in ihr müssen die Neuen Rechten keine Fragen beantworten. | |
Was genau meinen sie mit dem „linksliberalen Gesellschaftsspiel“, das sie | |
„abschaffen“ wollen? Nicht auch solche Errungenschaften wie Emanzipation, | |
individuelle Freiheit, Gleichberechtigung? Was verstehen sie unter dem | |
deutschen Volk? Auf welche Traditionen berufen sie sich – tatsächlich auch | |
auf die der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg? Was soll das genau sein, eine | |
rein deutsche Kultur? Was „die“ deutsche Sprache? | |
## Was verteidigen wenn nicht der Willen zur Differenzierung? | |
Wie viel heiße Luft in dem intellektuellen Gedankengebäude der Neuen | |
Rechten steckt, hat Arno Frank [4][soeben großartig gezeigt]. Ihr die Luft | |
rauszulassen ist die bessere Strategie, als sich wie unter | |
Wiederholungszwang immer wieder provozieren zu lassen. | |
Letztlich, was gilt es gegen die Neuen Rechten zu verteidigen? Das ist eben | |
auch der Wille zur Differenzierung und auch der, sich nicht von den eigenen | |
Projektionen gefangen nehmen zu lassen, es ist die Fähigkeit, Dissense gut | |
auszutragen und untereinander bestehende Uneinigkeiten nicht durch die | |
Produktion eines Feindbildes zu überspielen. Letzteres machen die Neuen | |
Rechten schon mehr als genug. | |
16 Oct 2017 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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