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# taz.de -- Neurechte Verlage auf der Buchmesse: „Nazis auf Speed“
> Die Frankfurter Buchmesse muss sich besser auf rechte Verlage und deren
> Klientel vorbereiten, sagt der Geschäftsführer der Amadeu Antonio
> Stiftung.
Bild: Nazi auf Speed? AfD-Rechtsaußen Björn Höcke
taz: Herr Reinfrank, der Stand der Amadeu Antonio Stiftung auf der
Frankfurter Buchmesse war in unmittelbarer Nähe zu dem des neurechten
Verlags Antaios. Wie war die Situation für Sie auf der Messe?
Timo Reinfrank: Das war total wichtig, weil viele Buchmessenbesucher und
auch die Standnachbarn gar nicht wussten, was auf sie zukommt und wer dort
sitzt. Dass es ein neurechter Verlag und eine entsprechender
Besucherklientel ist, die diesen Stand ganz gezielt nutzen, um Skandale auf
der Buchmesse zu inszenieren. Das hat sich auch dadurch gezeigt, wer dort
gesprochen hat: vom Chefkopf der Identitären Martin Sellner bis hin zum
AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Darauf war die Buchmesse in keinster Weise
vorbereitet. Ich glaube, auch die Öffentlichkeit hat das total
unterschätzt. Für uns war es schwierig, zu sehen, wie auch viele
Medienvertreter sich auf dieses Thema gestürzt haben und gewollt oder
ungewollt dem Antaois-Verlag die gewünschte Bühne geboten haben.
Inwiefern haben die Medien sich Ihrer Meinung nach falsch verhalten?
Ich fand es sehr schwierig, wie es dem Antaios-Verlag gelungen ist, durch
ihre Inszenierung die Berichterstattung zu setzen. Wie die Neurechten sich
als Opfer stilisiert haben, obwohl von ihnen Drohungen, Einschüchterungen
und zum Teil auch Gewalt ausgegangen sind. Alle Versuche unsererseits, die
Situation zu entspannen, haben überhaupt nicht funktioniert.
Der Antaios-Verlag hat Sie öffentlich dazu aufgefordert, mit ihnen in die
Diskussion zu treten. [1][Das haben Sie abgelehnt.] Was waren Ihre
Beweggründe dafür?
Der zentrale Beweggrund ist, dass wir uns nicht darauf einlassen, wenn wir
aggressiv zur Diskussion herausgefordert werden. In dem Brief wurden wir
als Zensoren, Denunzianten, Spitzel und ähnliches beleidigt. Das Zweite
ist, dass das für sie auch ein Teil der Inszenierung war. Es war ein
Versuch, uns vorzuführen. Und der dritte Punkt ist, dass für uns bestimmte
Dinge wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit nicht
verhandelbar sind. Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Die Frage ist
immer: Wo macht es Sinn, mit wem zu reden? Natürlich reden wir mit Leuten,
die kontroverse Einstellungen haben, die zum Teil nicht damit einverstanden
sind, wie viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Das sind auch legitime
Fragen. Aber es hat seine Grenzen da, wo bestimmte Punkte unserer Werte
infrage gestellt werden.
Sie haben auf der Buchmesse auch bei der Veranstaltung „Der rechte Umgang –
Umgang mit rechts“ mitdiskutiert. Welches Fazit ist aus dieser Diskussion
bei Ihnen hängen geblieben?
Die traditionellen Formen der Auseinandersetzung funktionieren nicht mehr.
Wir haben es nicht mehr mit einer klassischen rechtsextreme Szene zu tun,
sondern mit modernisierten Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Das
ist aber noch nicht ganz angekommen. Die Frankfurter Buchmesse war auf die
Situation nicht angemessen vorbereitet. Das hat man auch an der Diskussion
gemerkt. Die Skandinavier sind da bei aller Kontroverse schon weiter. In
Göteborg haben Leute, die Gewaltstraftaten verüben, die vorbestraft sind
oder von denen Übergriffe zu erwarten sind, keinen Platz auf den Messen.
Wie kann das konkret umgesetzt werden?
Für die Zukunft muss ganz klar sein, dass wir nicht allein für die
Auseinandersetzung verantwortlich sind. Das ist die Aufgabe sowohl der
Buchmesse als auch aller Aussteller. Die Buchmesse muss sich ein ganz
anderes Konzept im Umgang mit der rechtsextremen Raumgreifungsstrategie
überlegen. Unsere Kollegen am Stand wurden angepöbelt, beschimpft und
geschubst. Es war zum Teil körperlich bedrohlich. Es stand auch im Raum,
den Stand abzubrechen – aber diesen Triumph wollten wir den Rechten nicht
gönnen. Es braucht einen strukturierten Umgang damit, dass die Buchmesse
kein Platz für Rassisten und Hetzer sein darf. Da kollidiert die
Selbstwahrnehmung der Buchmesse als ein Ort der zivilen Debatten, der
Internationalität und des Austausches stark mit dem, was jetzt passiert
ist. Der eigene Anspruch geht nicht überein mit der Präsenz rechtsradikaler
Personen und Verlage.
Wie sollte also in Zukunft mit den neurechten Verlagen umgegangen werden?
Wir müssen die Situation noch einmal analysieren, das wollen wir auch gern
mit der Buchmesse zusammen tun. Man muss für die Zukunft gucken, dass die
Nazis ihre Inszenierung nicht noch einmal so durchziehen können. Ich weiß,
dass es rechtlich schwierig ist, die Verlage ganz auszuschließen, auch
gerade aufgrund der Erfahrung aus dem Nationalsozialismus im Umgang mit
jüdischen Verlagen und Autoren. Aber rückblickend fand ich es schwierig,
dass sie einfach einer unter vielen Verlagen waren und dass sie sich einen
Platz im Programm einfach mieten konnten. Die Buchmesse hat durchaus
versucht, damit umzugehen, und es gab auch gute Ansätze. Ich fand es
bemerkenswert, dass die Buchmesse selbst eine Demonstration gegen Rassismus
durchgeführt hat. In Zukunft wird das leider nicht mehr ausreichen. Man
muss inhaltlich-organisatorisch, mit Sicherheitskräften und Anwälten
agieren und massiv vom Hausrecht Gebrauch machen. Wenn die Buchmesse sagt,
sie will kein Raum für Gewalt sein, dann muss das auch durchgesetzt werden.
Montagvormittag schrieben Sie auf Twitter, dass Sie Ihre Erlebnisse auf der
Frankfurter Buchmesse mit [2][„Nazis auf Speed“] betiteln würden. Wieso ist
das die passende Überschrift?
Man hat einfach gemerkt, welche Selbstsicherheit und Unangreifbarkeit sie
in ihrem Auftreten auf einmal hatten. Das kommt auch durch den
gesellschaftlichen Rückenwind, den sie durch den AfD-Einzug in die Landtage
und in den Bundestag erlebt haben. Es ist eine Kleinstgruppe, wenn man sie
im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft sieht. Aber sie sind extrem
deutungsmächtig. Auf der Buchmesse wurde dem wenig entgegengesetzt. „Auf
Speed“, das erklärt ihre verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung.
17 Oct 2017
## LINKS
[1] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/2017/zur-buchmesse-warum-e…
[2] https://twitter.com/timoreinfrank/status/919826118764646400
## AUTOREN
Belinda Grasnick
## TAGS
Rechtsextremismus
Björn Höcke
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Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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