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# taz.de -- Berlin und die Aufklärung des Falls Amri: Eine Menge schiefgelaufen
> Hätte der Anschlag auf dem Breitscheidplatz verhindert werden können?
> Bruno Jost, Sonderbeauftragter des Senats, stellt seinen Abschlussbericht
> vor.
Bild: Der Sattelschlepper nach der Tat auf dem Breitscheidplatz
Am Donnerstag wird der Sonderbeauftragte des Senats, Bruno Jost, seinen
Abschlussbericht zur Aufarbeitung des Anschlags vom Breitscheidplatz
vorstellen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) wird zugegen sein. Der hatte
sich schon im Vorfeld von Medien mit den Worten zitieren lassen: „Im Fall
Amri ist eine Menge schiefgelaufen – bei uns, in anderen Bundesländern und
im Bund.“ Es hätten durchaus Möglichkeiten bestanden, Amri früher aus dem
Verkehr zu ziehen. Personelle Konsequenzen in der Berliner Polizeispitze
lehnte Geisel aber weiter ab. „Es stellt sich doch die Frage: Wer sollte
dann den nötigen Veränderungsprozess organisieren?“
Bruno Jost, 68-jähriger Bundesanwalt im Ruhestand, war im März vom Senat
beauftragt worden, einem möglichen Behördenversagen im Fall Amri
nachzugehen. Also der Frage, ob der Anschlag auf dem Breitscheidplatz hätte
verhindert werden können. Auch der Untersuchungsausschuss des
Abgeordnetenhauses, der sich im Sommer konstituiert hat, beschäftigt sich
mit dieser Fragestellung. Er sei gespannt auf Josts Urteil, so der
Ausschussvorsitzende Burkard Dregger (CDU) zur taz. „Wir hoffen, dass auch
der Untersuchungsausschuss von seinen Erkenntnissen profitieren wird.“
Der 24-jährige Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Sattelschlepper
entführt und auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert.
Insgesamt wurden dabei 12 Menschen getötet, 70 zum Teil schwer verletzt.
Nach viertägiger Flucht wurde der Tunesier am 23. Dezember in der Nähe von
Mailand bei einem Schusswechsel mit italienischen Polizisten erschossen.
## 14 Alias-Identitäten
Amri hatte 14 Alias-Identitäten und war mehrfach als Asylbewerber
registriert. Von der Polizei Nordrhein-Westfalen und Berlin wurde er seit
Februar 2016 wechselweise als „islamistischer Gefährder“ geführt. In
Berlin, wo das Staatsschutzkommissariat 541 für ihn zuständig war, wurde er
bis zum 15. Juni 2016 observiert, bis zum 21. September wurde sein Telefon
abgehört. So wurde auch bekannt, dass er sich als Drogenhändler betätigte.
Aber statt ihn dingfest zu machen, verloren ihn die Sicherheitsbehörden im
Herbst 2016 aus den Augen.
Bereits am 3. Juli 2017 hatte der Sonderbeauftragte Jost im Innenausschuss
des Abgeordnetenhauses einen Zwischenbericht vorgestellt. Großen Raum darin
hatte eine Aktenmanipulation beim Staatsschutz eingenommen [1][(taz
berichtete)]. Jost war bei seinen Recherchen auf die Manipulation gestoßen.
Ein am 4. November 2016 fertiggestellter „großer Bericht“ einer Beamtin des
Kommissariats 541 über Amris Dealeraktivitäten war vom Vorgesetzten der
Frau nach dem Attentat „geschönt“ worden. Soll heißen: Verfasst wurde ein
neuer, deutlich kürzerer Bericht, in dem der ursprüngliche Tatverdacht des
Handels mit Betäubungsmitteln relativiert wurde.
Vieles spreche dafür, dass der Beamte damit eigene Versäumnisse
„verschleiern wollte“, so Jost im Juli. Das Versäumnis war, dass der „gr…
Bericht“ über Amris Dealertätigkeit nicht an die Staatsanwaltschaft
weitergeleitet worden war. Das Fazit des Sonderbeauftragten: „Bei aller
Vorsicht“ lasse es „die Erwartung zu“, dass die Staatsanwaltschaft bei
vollständiger Kenntnis aller Umstände, die bereits Ende September 2016
vorlagen und seit Anfang November 2016 „zusammengefasst und aufbereitet
waren“, weitere Maßnahmen gegen Amri „veranlasst hätte“.
Aber Jost geht noch weiter: Selbst bei einem weniger schweren Tatverdacht
hätte es mit Blick auf Amris persönliche Verhältnisse genug Gründe für
einen Haftbefehl gegeben: kein fester Wohnsitz, keine tragfähigen
beruflichen und sozialen Bindungen, abgelehnter Asylantrag, zur Ausreise
verpflichtet.
## Abdrücke lagen vor
Und da ist noch eine Entdeckung, die Jost gemacht hat. Es geht um die
Frage, warum Amri nicht frühzeitig nach Tunesien abgeschoben werden konnte.
Nach Angaben der zuständigen Behörden in NRW hatte sich die Abschiebung
immer wieder verzögert, weil von der tunesischen Botschaft für das
Ausstellen von Ersatzausweispapieren geforderte Abdrücke der gesamten
Handflächen nicht vorgelegen hätten. „Das“, so Jost in seinem
Zwischenbericht, „entspricht nicht den Tatsachen.“ Bereits bei der ersten
erkennungsdienstlichen Behandlung Amris in Deutschland – am 6. Juli 2015 in
Freiburg – seien dessen Handflächenabdrücke genommen und in das
entsprechenden System des BKA eingespeist worden.
Auf Josts Fazit im Abschlussbericht darf man gespannt sein. Entlassen ist
der Sonderbeauftragte damit aber nicht. Für den 10. November hat ihn der
Untersuchungsausschuss bereits als Zeugen geladen. „Wir werden ihn alles
fragen, was uns umtreibt“, sagte der Vorsitzende Dregger. Auch den Leiter
der Abteilung Terrorismus bei der Generalbundesanwaltschaft, Thomas Beck,
erwäge man an einem anderen Tag zu laden, so Dregger. Beck hatte den
Innenausschuss am 3. Juli über den Stand des Ermittlungsverfahrens
informiert. Dregger erinnert sich lebhaft daran. Auch wenn der Bundesanwalt
nur beschränkt habe Auskunft geben können, sei es ein sehr spannender
Vortrag gewesen, gespickt mit öffentlich bis dato kaum bekannten Details.
11 Oct 2017
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
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