# taz.de -- Waffengesetz in Baden-Württemberg: An der Grenze des rechtlich Mö… | |
> Baden-Württemberg ringt um ein strengeres Polizeigesetz. Dabei zeigt | |
> sich, wie nah – oder fern – sich Grüne und CDU realpolitisch sind. | |
Bild: Kriegswaffen soll die Polizei auch bei „Gefahr für Leib und Leben“ b… | |
Stuttgart taz | Die Richtung hatte der Ministerpräsident bereits Anfang des | |
Jahres vorgegeben. Unter dem Eindruck des Terroranschlags auf dem Berliner | |
Breitscheidplatz hatte Winfried Kretschmann (Grüne) angekündigt, in | |
Baden-Württemberg bei der Terrorbekämpfung „notfalls an die Grenzen des | |
verfassungsrechtlich Möglichen zu gehen“. Nun steht in Stuttgart eines der | |
schärfsten Landespolizeigesetze vor dem Abschluss. Glaubt man | |
Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), soll es Vorbild für die anderen 15 | |
Länder werden. | |
Nach dem Willen der grün-schwarzen Regierung soll die Polizei künftig | |
verschlüsselte Chatprotokolle, Telefonate und E-Mails von Gefährdern via | |
Telekommunikationsüberwachung, der sogenannten Quellen-TKÜ, ausspähen | |
dürfen. Aufenthaltsverbote sollen mit der elektronischen Fußfessel | |
überwacht und bei Terrorlagen auch Sprengmittel eingesetzt werden. Zudem | |
soll künftig die sogenannte intelligente Videoüberwachung zulässig sein. | |
Das heißt, die Polizei darf die Aufnahmen von Kriminalitätsbrennpunkten auf | |
bestimmte Verhaltensmuster hin auswerten. | |
Für Schwarz-Grün ist das Terrorpaket ein Kraftakt, dem monatelange | |
Verhandlungen des Innenministeriums mit InnenpolitikerInnen der Grünen | |
vorausgingen. Härtere Verhandlungen habe er noch nie erlebt, sagt der grüne | |
Fraktionsgeschäftsführer Hans-Ulrich Sckerl. Er wisse, dass die Grünen für | |
ein solches Gesetz einen weiten Weg gehen mussten, hatte auch Innenminister | |
Strobl verlauten lassen. | |
Zumindest in zwei Punkten war der Weg für Kretschmanns Partei dann | |
tatsächlich zu weit. Nämlich bei der Onlinedurchsuchung, bei der ein | |
Trojaner nicht nur die laufende Kommunikation überträgt, sondern auch | |
weitere auf dem Computer abgelegte Daten ohne Wissen des Verdächtigen. | |
Zudem sollen die Daten der Vorratsdatenspeicherung von der Landespolizei | |
nicht für präventive Zwecke genutzt werden dürfen. | |
Das Innenministerium betont, man habe die Vorgaben aus Karlsruhe genau | |
beachtet. Er sei „Verfassungsästhet“, versicherte Innenminister Strobl vor | |
dem Landtag. Als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gilt das | |
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten BKA-Gesetz. | |
## „Gefahr für Leib und Leben“ könne auch eine Ohrfeige sein | |
Trotzdem stößt Strobls Antiterrorpaket im Landtag auf Widerstand, selbst | |
aus den eigenen Reihen. Etwa vergangene Woche bei einer Expertenanhörung, | |
bei der Juristen und Datenschutzexperten massive Kritik übten. | |
Fraktionsmitglieder aus Regierung und Opposition sahen weiteren | |
Klärungsbedarf. Nun kann das Gesetz nicht wie geplant am 8. November | |
verabschiedet werden. | |
Man müsse „kein Verfassungsästhet sein“, um „erhebliche Einwände gegen… | |
Gesetzentwurf der grün-schwarzen Regierung zu haben“, sagte da der | |
Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, mit Blick auf den | |
Innenminister in der Anhörung. Der schwerwiegendste Einwand der angehörten | |
JuristInnen: Drastische Maßnahmen, etwa die Quellen-TKÜ und der Einsatz von | |
Kriegswaffen, sollen der Polizei in Baden-Württemberg nach dem Gesetzestext | |
nicht nur bei Terrorgefahr erlaubt werden, sondern auch bei „Gefahr für | |
Leib und Leben“ und zum Schutz von „Sachen von bedeutendem Wert, deren | |
Erhalt im öffentlichen Interesse liegt“. | |
Derlei vage Formulierungen bezeichnen JuristInnen als unbestimmte | |
Rechtsbegriffe, die den Praktikern im Einsatz möglichst viel Spielraum | |
geben sollen. „Gefahr für Leib und Leben“, das könne auch eine Ohrfeige | |
sein, sagt Nikolaos Gazeas, Experte für Terrorismus-Strafrecht. Er warnt | |
davor, dass Maßnahmen, die tief in die Persönlichkeitsrechte der Bürger | |
eingriffen, auf außergewöhnliche Gefahrenlagen beschränkt bleiben sollten | |
und nicht auf Alltagskriminalität ausgeweitet werden dürften. | |
Dies gilt auch für den Einsatz von Explosivmitteln wie Granaten und | |
Sprengstoffe durch Sondereinheiten der Polizei. Diese Waffen, die bisher | |
nur die Bundeswehr führen darf, hatten sich die Polizeikräfte gewünscht, um | |
bei Terror-Szenarien, wie etwa im belgischen Molenbeek, gerüstet zu sein. | |
Diese Möglichkeit hat in Deutschland erstmals das bayerische Polizeigesetz | |
geschaffen. Aber Baden-Württemberg geht weiter als die Bayern und erlaubt | |
den Einsatz auch gegen Menschen. Zudem genügt für den Einsatz solcher | |
massiven Waffen nach der Gesetzesvorlage die Anordnung eines leitenden | |
Polizeibeamten. Gazeas empfiehlt den Befehl des Innenministers. | |
## Mehr Personal statt bei Gesetzen draufsatteln | |
Ein weiterer Kritikpunkt: Die ExpertInnen bezweifeln, dass sich das | |
Überwachen von Skype und Chats, für die der sogenannte Staatstrojaner in | |
einen Computer eingeschleust werden muss, technisch sauber von der | |
Onlinedurchsuchung trennen lässt, bei der auch alte Daten an die Behörden | |
überspielt werden. Anders als die Überwachung laufender Kommunikation, soll | |
die Onlinedurchsuchung abgelegter Daten nach dem Willen der Regierung in | |
Baden-Württemberg nicht erlaubt sein. „Die Software soll nur können, was | |
sie darf“, beteuert der Chef des baden-württembergischen | |
Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder. | |
Der Datenschutzbeauftragte des Landes, Stefan Brink, kritisiert die gesamte | |
Richtung des Gesetzentwurfs. Personenbezogene Daten zu erheben, bedeute | |
keineswegs mehr Sicherheit. Mit Blick auf den kürzlich veröffentlichten | |
Bericht zu den Versäumnissen der Behörden im Fall Anis Amri äußert Brink | |
Zweifel, ob mehr Daten wirklich mehr Sicherheit bringen. Alle notwendigen | |
Informationen zu Amri hätten den Behörden vorgelegen. Sie hätten aber nicht | |
gehandelt. Brink empfiehlt deshalb, nicht bei Gesetzen „immer weiter | |
draufzusatteln“, sondern beim Ermittlungspersonal, um aus den „vorhandenen | |
Erkenntnissen bessere Schlüsse zu ziehen“. | |
Eine Botschaft, die im Stuttgarter Innenministerium auf wenig Gegenliebe | |
stößt. Dort denkt man bereits über weitere Gesetzesverschärfungen nach. | |
Während die aktuelle Gesetzesreform noch längst nicht vom Parlament | |
abgesegnet ist, wartet Strobls Haus auf die nächste Gelegenheit, | |
nachträglich die von den Grünen ungeliebte Onlinedurchsuchung in das Gesetz | |
zu bugsieren. Das könnte nächstes Jahr geschehen, wenn das Gesetz wegen der | |
EU-Richtlinie zum Datenschutz bei Polizei und Justiz ohnehin noch einmal | |
aufgeschnürt werden muss. Nur bei der Nutzung der Vorratsdatenspeicherung | |
hat das CDU-geführte Innenministerium die Hoffnung aufgegeben. Das, heißt | |
es, sei mit den Grünen nun wirklich nicht zu machen. | |
31 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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