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# taz.de -- Pro&Contra Kataloniens Unabhängigkeit: Ohne Spanien, mit Spanien?
> Spaniens Regierung duldet keine Abspaltung, viele Katalanen verlangen
> Selbstbestimmung. Ein Pro&Contra zur Unabhängigkeit.
Bild: Wenigstens die beiden scheinen sich einig zu sein
SÍ
Nachdem sich [1][am Dienstag Millionen Menschen an einem Generalstreik
gegen Polizeigewalt beteiligt haben], wird die katalanische Regierung in
den kommenden Tagen vermutlich die Unabhängigkeit erklären. Das ist nicht
unproblematisch, denn beim Referendum am vergangenen Sonntag haben nur 42
Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung
wollte sich am Referendum nicht beteiligen, viele Hunderttausend Stimmen
gingen verloren, weil die spanische Polizei Wahllokale stürmte und Urnen
raubte.
Trotz des uneindeutigen Mandats ist die Gründung einer katalanischen
Republik jetzt der einzig mögliche Schritt, um eine demokratische Lösung
des Konflikts zu erzwingen. Denn Madrid verweigert sich seit 15 Jahren
jedem Kompromiss. Mitte der 2000er Jahre wurde die katalanische Reform des
Autonomiestatuts erst vom spanischen Parlament beschnitten, dann vom
Verfassungsgericht ganz kassiert.
Die Forderungen nach einer Anerkennung der Plurinationalität Spaniens
werden systematisch ignoriert. Bei grundlegenden Konflikten droht der
Zentralstaat mit der Suspendierung der Autonomie. Steuergelder werden von
Madrid nach Gutdünken an die Regionen verteilt.
Die großen spanischen Parteien – nicht nur die PP, sondern auch die
oppositionelle PSOE – ziehen sich dabei auf das Argument zurück, dass die
Verfassung von 1978 bestimmte Veränderungen nicht vorsehe. Doch genau diese
Verfassung ist das Problem: Die alten Eliten verhinderten Mitte der 1970er
Jahre mit Putschdrohungen, dass Spanien eine föderale Republik wurde.
Deswegen besitzt der Verfassungspakt in den Augen vieler Katalanen keine
Legitimation.
In spanischen Medien heißt es oft, der Norden wolle seinen Reichtum nicht
mit dem armen Süden teilen. Doch tatsächlich wünscht sich eine klare
Mehrheit der katalanischen Bevölkerung nicht weniger, sondern mehr
Solidarität. Es geht um soziale und demokratische Reformen, die innerhalb
des spanischen Staates nicht durchsetzbar sind, auch nicht unter
Regierungen der PSOE. Deshalb solidarisierten sich in den vergangenen Tagen
andalusische Landarbeiter mit Katalonien.
Die Ausrufung einer katalanischen Republik öffnet die Tür für eine
demokratischere Gesellschaft – auch im Rest Spaniens.
von Raul Zelik
***
NO
Die katalanischen Separatisten verdienen keine Unterstützung. Denn die
Abspaltung Kataloniens von Spanien könnte den Frieden in Europa gefährden.
Schließlich bekämen auch die Sezessionsbewegungen in vielen anderen
Regionen der EU Auftrieb. Zum Beispiel im belgischen Flandern, im
italienischen Südtirol oder im rumänischen Siebenbürgen. Alle könnten sich
darauf berufen, dass etwa Deutschland ein unabhängiges Katalonien
anerkennen und ihm zur Mitgliedschaft in der EU verhelfen würde. Der Fall
Katalonien würde einen Dominoeffekt auslösen. Halb Europa stritte wieder
über Grenzen. Nationalistische Gefühle bestimmten die Politik. Darüber sind
schon mehrmals Kriege ausgebrochen.
Dennoch unterstützen viele Linke in Deutschland „die Katalanen“. Doch
Umfragen und das Referendum am Sonntag zeigen: Nur eine Minderheit in
Katalonien ist für die Abspaltung. Es ist auch naiv zu glauben, dass ein
unabhängiges Katalonien linker, sozial gerechter oder ökologischer wäre als
eines in Spanien. Zwar mobilisieren derzeit Teile der katalanischen Linken
– es sind wirklich nur Teile! – und der Rechten gemeinsam für die
Abspaltung. Aber sobald sie dieses Ziel erreicht haben, kämpft jeder wieder
für sich selbst. Und die stärkste Partei in Katalonien ist die konservative
PdeCat, die für die Sparpolitik und Korruption in Katalonien steht. Die
Revolution ist bei solchen Machtverhältnissen nicht zu erwarten.
Man kann auch gegen die katalanische Unabhängigkeit unter den gegenwärtigen
Bedingungen sein – und trotzdem für das Selbstbestimmungsrecht zum Beispiel
der Palästinenser. Beide Fälle sind grundverschieden: Die Palästinenser
leben unter einem Besatzungsregime, das Menschenrechte verletzt. Die
Katalanen dagegen gehören zu den reichsten Bürgern ihres Landes, sie haben
die gleichen Rechte wie alle Spanier. Die weit überwiegende Mehrheit der
Katalanen hat in einem Plebiszit 1978 für die spanische Verfassung
gestimmt.
Über das Gesetz und Minderheitenrechte haben sich allerdings die
katalanischen Separatisten gestellt. Sie brachten das Gesetz über das
Referendum und die Unabhängigkeit mit einfacher Mehrheit durchs Parlament –
obwohl das Regionalstatut für so grundlegende Entscheidungen eine
Zweidrittelmehrheit verlangt. So viel zur Demokratie.
von Jost Maurin
4 Oct 2017
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