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# taz.de -- Nach dem Referendum in Katalonien: Zehntausende streiken gegen Madr…
> Die Polizeigewalt vom Sonntag wollen die Katalanen nicht hinnehmen. Am
> Dienstag blieben Schulen und Geschäfte vielerorts geschlossen.
Bild: Friedlicher Streik: In Barcelona protestieren Menschen gegen die Polizeig…
Barecelona taz | Aus den Lautsprechern vor der Schule Pia Sant Antoni in
der Innenstadt von Barcelona klingt „Imagine“ von John Lennon. Hunderte
haben sich versammelt. „Wir sind Leute des Friedens“, steht auf den
Aufklebern die viele tragen. Sie heben ihre Arme, schwenken Nelken, viele
mit Tränen in den Augen.
Auf dem Boden stehen vier Urnen, wie diejenigen, an denen am Sonntag über
zwei Millionen Katalanen [1][trotz Verbot durch die Regierung in Madrid
über ihre Unabhängigkeit abgestimmt] haben.
„Es sind nicht die Originale“, sagt Itziar Santiago. Die 45-jährige
Direktorin eines Altersheimes war die Verantwortliche für einen der vier
Wahltische in der Sant-Antoni-Schule und erklärt warum: „So um ein Uhr
kamen mehrere Dutzend Mannschaftswagen der spanischen Nationalpolizei.“ Die
Straße wurde abgeriegelt. Die mit Knüppeln und Gummigeschossgewehren
bewaffnete Sondereinsatzkräfte prügelten sich den Weg zu den Urnen frei und
beschlagnahmten sie.
„Im Wahllokale befanden sich auch alte Menschen, Kinder, selbst
Behinderte“, erzählt Santiago mit traurigem Gesicht. Mehrere Verletzte
mussten sich ärztlich behandeln lassen. Knapp 900 waren es am Ende des
Wahltags am Sonntag in ganz Katalonien. Der Bilder der maßloser Gewalt
gingen um die Welt.
## Geschäfte, Schulen, Behörden geschlossen
Gedenkveranstaltungen, wie die von Sant Antoni, fanden am Dienstag vor
allen von Polizeieinsätzen betroffenen Schulen statt. Sie bildeten den
Auftakt zum „Stillstand des Landes“ aus Protest gegen die Polizeigewalt.
Die öffentlichen Verkehrsmittel fuhren nur mit Notfahrplan. Geschäfte,
Schulen, Unis und Behörden blieben geschlossen. In vielen Unternehmen ruht
die Arbeit zumindest für die Dauer der Kundgebungen. In Barcelona zogen den
ganzen Tag über Zehntausende durch die Straßen.
Zum Streik hatten die wichtigsten Gewerkschaften und auch die
Autonomieregierung unter Carles Puigdemont aufgerufen, die auch das
Referendum gegen den Willen der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy
in Madrid organisiert hatte. Dessen Regierung betrachtet wie die spanische
Justiz das Referendum als Illegal. Die Schuld an der Gewalteskalation am
Sonntag, so Madrid, liege allein bei der katalanischen Regierung.
Wie es jetzt weitergeht, fragen sich hier in Barcelona alle. „Mein Bauch
sagt, wir sollten sofort einseitig die Unabhängigkeit erklären“, antwortet
Wahlhelferin Santiago. „Doch mein Kopf weiß, dass dies unsere Anliegen
nicht dienlich wäre. Wir haben so lange gearbeitet, dass wir jetzt
vielleicht besser noch etwas Geduld üben.“ Santiago hofft auf mehr
internationale Unterstützung und Vermittlung und auch darauf, dass sich
weitere Menschen der Sache anschließen.
## Enttäuscht nicht nur von Rajoy
Montse Torra, die zwei Kinder auf der Schule hat, sieht das anders. „Madrid
wird uns nie zuhören oder gar verhandeln“, ist sich die 50-jährige
Sekretärin sicher. Sie ist nicht nur von der regierenden Partido Popular
(PP) enttäuscht, sondern auch von der sozialistischen Opposition, die sich
beim Thema Katalonien weitgehend hinter Rajoys Politik gestellt hat.
Nur die linksalternative Podemos nimmt sie aus. Aber die hätte nicht die
Kraft, einen Wandel herbeizuführen. Torra will deshalb „eine schnelle
Unabhängigkeitserklärung.“ Selbst auf die Gefahr hin, dass Madrid dann die
Autonomie außer Kraft setzt, und versuchen könnte die Regierung der Region
zu übernehmen, wie dies im Artikel 155 der Verfassung vorgesehen ist.
Die Zweifel von Santiago und Torra spiegeln wider, was auch die
katalanische Politik beschäftigt. Während die antikapitalistische
Kandidatur der Volkseinheit (CUP), die die Minderheitsregierung von
Puigdemont unterstützt, eine schnelle Unabhängigkeitserklärung will, setzt
der Autonomiepräsident eher auf Zeitgewinn.
Er sucht nach internationaler Unterstützung und nach internationalen
Vermittlern, damit die Abspaltung Kataloniens mit der spanischen Regierung
gütlich ausgehandelt werden kann. Seine Demokratisch Europäisch
Katalanische Partei (PDeCat) stellt den konservativen Flügel im
Regierungsbündnis „Gemeinsam für das Ja“ (JxSí). Der andere Partner, die
Republikanische Linke Kataloniens (ERC) um Vizepräsident Oriol Junqueras,
neigt eher der CUP zu.
Schnelle Unabhängigkeit unwahrscheinlich
Eine Unabhängigkeitserklärung binnen 48 Stunden nach dem noch ausstehenden
Endergebnis der Volksabstimmung vom Sonntag – knapp über 90 Prozent
stimmten für die Unabhängigkeit – gilt deshalb eher für unwahrscheinlich.
Gegen Ende dieser Woche soll erstmals wieder das Autonomieparlament
zusammentreten und über das Ergebnis und die Folgen beraten.
Diejenigen, die eine schnelle Unabhängigkeit wollen, hätten diese am
liebsten schon am Freitag, denn dann jährt sich zum 83. Mal die Ausrufung
der katalanischen Republik 1934. Damals schickte Madrid Truppen und setzte
die katalanische Regierung fest.
Währenddessen gehen die Mobilisierungen weiter. Nach dem Generalstreik von
Dienstag sollen weitere Aktionen stattfinden. „Es geht längst nicht mehr
nur um Unabhängigkeit, es geht um Demokratie oder Diktatur“, sagt Erika
Montalván. Die 34-Jährige besuchte einst die Sant Antoni-Schule. Die
Rechtsanwältin und Spezialistin für Verfassungsrecht hatte sich erst im
letzten Augenblick dafür entschieden, beim Referendum für die
Unabhängigkeit zu stimmen.
Hoffen auf Dialog
Lange glaubte sie an eine Reform der Beziehungen Kataloniens mit dem
restlichen Spanien. „Doch als die Polizei hier eine Woche vor dem
Referendum 14 hohe Regierungsbeamte verhaftete, Druckereien und Zeitngen
nach Material für die Abstimmung durchsuchte, war für mich der Punkt
gekommen“, erklärt sie.
Sie hofft jetzt, dass es doch noch zum Dialog kommt. „Was wir brauchen, ist
ein Referendum in beiderseitigem Einvernehmen, mit allen rechtlichen
Garantien, um dann zu entscheiden“.
NaN NaN
## LINKS
[1] /Referendum-in-Katalonien/!5450449/
## AUTOREN
Reiner Wandler
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