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# taz.de -- Stimmung nach Katalonien-Abstimmung: Traurig und ratlos
> Am Tag nach dem Referendum fragen sich die Katalanen, wie es weitergehen
> soll. Viele hoffen, dass sich die EU jetzt einschaltet.
Bild: Demonstranten halten die Flagge Kataloniens in den Händen
Badalona taz | Vicente Bueso ist „traurig, sehr traurig“. Der 45-jährige
Wirt der kleinen Kneipe Can Joan in der Altstadt von Badalona „versteht die
Welt nicht mehr“. „Wie konnte es soweit kommen?“, fragt er angesichts
[1][der brutalen Polizeieinsätze bei der Volksabstimmung zur Unabhängigkeit
am Sonntag]. „Die Regierung in Madrid hatte das Referendum für illegal
erklären lassen, es war doch nicht nötig auch noch alle
zusammenzuknüppeln“, sagt Bueso.
Die Tafel an der Eingangstür, auf die Bueso jeden Tag einen Satz zum
Nachdenken schreibt, bleibt heute schwarz. Denn „Mir fällt einfach nichts
ein.“ Am Tag vor dem Referendum stand da ein Satz von Machiavelli: „Das
gegebene Versprechen war ein Bedürfnis der Vergangenheit; das gebrochene
Wort ist ein Bedürfnis der Gegenwart.“
Bueso war letztendlich nicht einmal wählen, „und das obwohl ich das immer
gefordert habe“. Als er mit seiner Frau zum Wahllokal in Badalona, einer
200.000-Einwohner-Stadt vor den Toren Barcelonas ging, hatte die Polizei
bereits in mehreren Städten gewaltsam Präsenz gezeigt.
In Badalona kam die Polizei nicht. Doch vor dem Wahllokal kam es zu
Diskussionen zwischen Menschen mit der spanischen und anderen mit der
katalanischen Fahne. Das habe seiner Frau Angst gemacht: „Wir sind
gegangen.“ Für Bueso haben am Sonntag beide Regierungen ihre Legitimität
verloren: „Madrid wegen der Gewalt, und die katalanische Regierung weil sie
weiter zum Wählen aufgerufen hat, obwohl sie wusste, dass die Polizei mit
Gewalt reagiert und die Menschen gefährdet wurden.“ 893 Menschen wurden
nach Angaben des katalanischen Gesundheitsministeriums verletzt.
„Es hätte einfach nicht soweit kommen dürfen. Wir leben doch im 21.
Jahrhundert“, sagt Bueso und schüttelt den Kopf nachdenklich. „Wir haben
ein richtig dickes Problem. Ich hoffe nur, dass die katalanische Regierung
nicht einseitig die Unabhängigkeit ausruft, das führt doch nirgends hin.“
Margarita Cartagena sitzt an der Theke. „Mich würde es nicht stören, wenn
die katalanische Regierung die Unabhängigkeit ausruft, aber ob das
strategisch geschickt wäre? Da habe ich meine Zweifel“, sagt die 64-jährige
Rentnerin, die wie ihre ganze Familie für die Unabhängigkeit gestimmt hat.
„Meine Mutter ist 94. Sie ist zu Zeiten der Republik aufgewachsen und hat
keinen sehnlicheren Wunsch, als erst dann zu sterben, wenn wir erneut eine
Republik haben“, erzählt Cartagena und meint damit natürlich die
unabhängige Republik Katalonien.
Für sie zeigt die Gewalt am Wahltag, dass „die Regierung in Madrid absolut
machtlos angesichts der breiten und friedlichen Mobilisierung der
Katalanen“ gewesen sei. Cartagena erwähnt ganz besonders diejenigen, die an
die Urnen gingen, um gegen die Unabhängigkeit zu stimmen. „Die haben
bewiesen, dass sie echte Demokraten sind, anders als die Regierung in
Madrid“, sagt sie. Die Zukunft? Auch sie ist ratlos. Nach einer kurzen
Pause sagt sie dann: „Egal was die katalanische Regierung macht, meine
Unterstützung ist ihr gewiss.“
Draußen auf der Terrasse sitzt Jordi Pujol. „Nicht verwandt mit dem
gleichnamigen ehemaligen katalanischen Regierungschef“, distanziert er sich
ungefragt von seinem Namensvetter gegen den wegen Korruption ermittelt
wird. Der 21-Jährige studiert Internationale Beziehungen in Barcelona. Er
wählte – mit Ja versteht sich – in seinem Heimatdorf ViladeCavalls. Er hat
in der Nacht vor der Abstimmung mit anderen in der Schule übernachtet, um
zu verhindern, dass die Polizei die Räumlichkeiten versiegelt. Und am
Wahltag selbst war er mit anderen den ganzen Tag vor dem Wahllokal um die
Urnen zu schützen. „Wir sind nur 7.000 Einwohner. Egal ob für oder gegen
die Unabhängigkeit, wir standen gemeinsam vor dem Lokal, denn das Recht
abzustimmen ist uns allen wichtig“, sagt er. Die Polizei kam nicht.
„Gestern haben wir Katalanen uns endgültig von Spanien verabschiedet. Es
gibt keinen Weg zurück“, sagt er. Eine einseitige Erklärung der
Unabhängigkeit hält der junger Mann dennoch zum jetzigen Zeitpunkt für
strategisch falsch. „Was den Diskurs betrifft, haben wir gewonnen“, sagt
Pujol und hofft, dass sich die internationale Gemeinschaft des
Katalonienproblems annimmt. „Vor allem die Europäische Union ist gefragt.
Sie kann nicht mehr länger wegschauen.“
2 Oct 2017
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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