# taz.de -- PARTEI wählen ist das Letzte: Elitär, bourgeois und amoralisch | |
> Sie machen auf aufgeklärt, sind zynisch und wählen die PARTEI. Sie | |
> denken, das sei Protest. Mit diesen Schnupsis ist kein Staat zu machen. | |
Bild: „Was hast du getan, als 2017 die AfD ins Parlament kam?“ | |
Klar, kann ich einen Luftballon aufblasen und dann sagen, ich hätte die | |
Welt verändert. Ich kann auch die PARTEI wählen und mir einreden, damit | |
etwas Kluges zu tun. Das kann ich alles machen. Ich bin dann eben: ein | |
dekadenter Witzbold, der sich selbst dafür feiert, keinen Unterschied | |
machen zu wollen. | |
Es ist gespenstisch: Als gäbe es nichts zu bereden, scheint die PARTEI | |
derzeit im – nennen wir es abschätzig – „linksalternativen Milieu“ imm… | |
neue Freunde zu finden. Die Straßen sind gepflastert mit Wahlwerbung von | |
Komödianten, und selbst in der taz [1][erklärt am 12. September ein | |
anonymer Redakteur], warum er in diesem Jahr die PARTEI wählen will. | |
Überschrift: „Ganz im Ernst“. | |
Es ist auch ernst zu nehmen, denn die ernsthafte Zugewandtheit zur PARTEI | |
steht für die Verlorenheit einer gesellschaftlichen Linken, die sich aufs | |
Resignieren versteht und die eine fehlende Machtperspektive damit | |
verwechselt, irrelevant zu sein. | |
In dieser Welt ist nur gut, wer genau für mich spricht. | |
In dieser Welt ist nur gut, wer tut, was ich mag. | |
In dieser Welt ist nur gut, wer mich lesen kann. | |
## Joviale Pose der Besserwisser | |
Das ist eine zu verachtende Haltung. Sie ist snobistisch und dekadent und | |
zu bekämpfen. Es ist die Welt unsympathischer Leute, die an einer Käsetheke | |
so lange nach dem Lactosegehalt eines Schnittkäses fragen, bis der | |
Kassiererin gekündigt wird. Es ist die Welt der Verdrossenen. Aber das | |
Parlament ist keine Käsetheke. Man darf da mitmachen; und wenn man schon | |
nicht mitmacht, dann sollte man einer Partei eine Stimme geben, die für | |
irgendetwas steht. | |
Zum Beispiel einer der großen Parteien, die Kompromisse macht, weil das | |
Politik ist; oder einer der kleinen Parteien, die niemals Kompromisse | |
machen würden, aber für etwas kämpfen. In all diesen Parteien arbeiten | |
Menschen, die mehr Anerkennung verdienen als die joviale Pose der | |
Besserwisser, deren einzige Erfüllung es ist, sich über andere zu erheben. | |
## In ihrem Kern verachtenswerter als die AfD | |
Diese Pose elitärer Politikverdrossenheit ist gerade deshalb so bourgeois, | |
weil sie sich nicht dafür in Anspruch nehmen lässt, relevant zu sein. Sie | |
ist weder links noch rechts, noch unten, weil es ihr um nichts geht. Sie | |
ist oben. In ihrem moralischen Gestus ist sie letztlich amoralisch. Und das | |
Interessante an ihr ist: Je mächtiger sie wird, desto antiaufklärerischer | |
ist sie. Und damit ist sie in ihrem Kern verachtenswerter als diejenigen in | |
der Politik, die – sei es bei der FDP oder der AfD – für etwas kämpfen. | |
Die FDP ist die Partei, deren [2][Entwicklungsminister mit Militärmütze | |
rumlief] und heute mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall eine Panzerfabrik | |
in der Türkei baut. Die AfD ist die Partei, deren Unterstützer neulich noch | |
von niemandem Gehör fanden und sich nun anschickt, Rechtsextremisten ins | |
Parlament zu entsenden, auf dass diese gegen Frauen und Fremde hetzen und | |
die freie Presse bedrohen. Das gilt es zu bekämpfen. | |
## Alles ist ehrenwerter | |
Die PARTEI bindet also Menschen, die eigentlich etwas Wichtiges tun | |
sollten. Es mangelt ihr nicht an den Kapazitäten, überall im Land Plakate | |
aufzuhängen und Zeit zu investieren für intellektuelle Psychowitze und | |
Politklamauk. Und so macht sich also eine Riege von Männern eine Freude | |
daraus, in einer Zeit für sich zur Wahl rufen, in der täglich | |
Flüchtlingsheime und Flüchtlinge attackiert werden. Während der rechte | |
Flügel sich im Parlament, inklusive völkischer Neonazis, organisiert und | |
die Identitäre Bewegung mehr und mehr Zulauf erhält, fällt vielen | |
vermeintlich linksintellektuellen Spaßböldchen nichts Besseres ein, als | |
eine Spaßpartei zu wählen oder so zu tun, als ob. | |
Damit sie niemand für eine Spaßpartei hält, nennt sie sich Satirepartei. | |
Gekauft! Sich noch selbst dafür zu feiern, es sich möglichst leicht zu | |
machen, das ist Dekadenz der höchsten Stufe. Denn im Kern steht hinter der | |
jovialen Widerständigkeitspose ja eine Verachtung für diejenigen | |
AktivistInnen und Parlamentarier, die tatsächlich etwas verändern wollen. | |
Das sind zum Beispiel die, die ohne irgendeine Aussicht auf Erfolg für ihre | |
Partei einen der hinteren Listenplätze belegen; das sind auch all jene | |
politischen Streiter, die für welche Position auch immer in einer | |
Kleinstpartei um etwas kämpfen. Das ist alles ehrenwerter, als sich für die | |
PARTEI einzusetzen. | |
## Wo Politik wirkmächtig wird, muss sie sich befragen lassen | |
Die Ironie, wo sie zum Programm wird und in Zynismus endet, kämpft für | |
nichts; sie bekämpft alles. Es ist eine Pose, die mit sich zufrieden ist | |
und alles andere belächelt. Als elitäres Humorprojekt ist das feines | |
Gulasch. Als Politprojekt ist das Mumpitz. Mit solchen Schnupsis ist kein | |
Staat zu machen. Diese Schurken sind selbstverliebte Gesellen. | |
Ja, darf man in der Politik nicht lachen? Nun, es ist ja nicht so, als ob | |
ich nicht Freude hätte an den Späßen des Außerparlamentarischen. Damals, | |
als es noch Kleinscheiß war, war das doch alles ganz lustig. Die PARTEI zog | |
über die Lande und brachte Farbe und Witz in die politische Landschaft. | |
Die Ausgeprägtheit und Vielfalt von Satire, so weit stimmt das ja, spricht | |
in der Regel für und selten gegen den Zustand in einer Gesellschaft. Das | |
ist gute Unterhaltung, und es ist, natürlich, auch Politik. Wo Politik | |
wirkmächtig wird, muss sie sich befragen lassen. | |
Mit der PARTEI, in der inzwischen die halbe deutsche Comedy-Industrie | |
([3][Somuncu], der Psychotyp mit der Kapuzenmütze, der Fliegenerklärer | |
Benecke etc. – übrigens, klar, alles Männer) in Kandidatenämter antreten, | |
verhält es sich so auch. Sie ist zu einem überproduzierten Produkt jener | |
Kulturproduktion geworden, die sich widerständig gibt und letztlich kein | |
Hauch davon ist. Damit gehört sie zu den Vereinfachern. | |
## „Was hast du getan, als die AfD ins Parlament kam?“ | |
Es ist richtig, gut und schön sie zu verachten. Und deshalb werde ich nun | |
„Jochen Rödder“ suchen gehen, jenen anonymen Autor, der sich vor zwei Tagen | |
in der taz feige zur PARTEI bekannte. Ich fordere ihn zum Duell. In seinem | |
Text steht, ganz am Ende, sinngemäß: Irgendwann dann in ein paar Jahren, | |
wenn (also, er meint: falls!) vorher noch dies und das und jenes geschieht, | |
„kann man auch wieder etwas Richtiges wählen“. | |
Nein, lieber Kollege. Nicht irgendwann. Man kann einfach jetzt etwas | |
Richtiges wählen, auch wenn es sich falsch anfühlt. Das ist sinnvoller, als | |
sich einen Spaß daraus zu machen oder nur frustriert darüber zu sein, dass | |
die Demokratie im Arsch ist und die Rechten im Anmarsch sind. Es geht um | |
deine Wahl, „Jochen Rödder“, der du deinen Namen nicht nennen magst, und um | |
deine Verantwortung, und dann, irgendwann, also falls, werde ich dich | |
einmal fragen: „Was hast du getan, als 2017 die AfD ins Parlament kam?“ Und | |
du wirst mir antworten müssen: „Ich habe eine Spaßpartei gewählt.“ | |
14 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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