# taz.de -- Die Wahrheit: Von Adenauer bis Schulz | |
> Gert Kind ist der große Unbekannte im Politgeschäft. Seit Anbeginn der | |
> BRD hat er die Wahlplakate aller Parteien entworfen. | |
Bild: Muss auch zerrissen noch Wirkung haben: ein von Gert Kind entworfenes Wah… | |
„Das Wichtigste“, sagt Gert Kind und nimmt einen Schluck Wicküler Bier, | |
„das Wichtigste ist, dass die Message des Plakats auch noch rüberkommt, | |
wenn es zerrissen an einer Ampel hängt. Zwischen Rot- und Grünphase müssen | |
die Verkehrsteilnehmer begreifen, mit welcher Partei sie es zu tun haben.“ | |
Kind kramt in einer großen Kiste, es dauert nicht lange, bis der hagere | |
Leiter und gleichzeitig einzige Mitarbeiter des PR-Büros „Schluss mit | |
spruchlos“ fündig wird. „Hier sehen Sie – Chris Lindner, da braucht es n… | |
nicht mal einen Spruch. Da reicht die Hälfte seines Stecherblicks in | |
Schwarzweiß, und jeder an der Ampel weiß: „Denken wir neu. Bedenken | |
second.“ | |
Kind klatscht in seine vor Alter ganz fleckigen Hände. Seit 60 Jahren nun | |
schon liefert der Doyen der Polit-PR sämtlich alle Wahlslogans für sämtlich | |
alle Parteien im jeweiligen Bundestagswahlkampf. Manche davon, so etwa die | |
SPD, steigen wie der HSV, nie wirklich mit einem großen Knall ab, sondern | |
dümpeln die meiste Zeit lustlos apathisch vor sich hin. Andere wiederum | |
kommen und gehen, so wie die Republikaner (Motto: „Welchen A… wählen Sie | |
nächstes Mal?“). „Die wenigste Arbeit hat mir über all die Jahre die CSU | |
gemacht“, erinnert sich Gert Kind. „Dort will man nur einen Spruch: ‚Baye… | |
zuerst‘.“ Gezahlt wird der agile Krefelder für dieses „Motto à point“… | |
vier Jahre mit „großzügig“ Bier- und Wiesnhendlcoupons. | |
Seit 1957 steuert der gelernte Werkzeugmacher, der als 15-Jähriger noch an | |
der Flak im Krieg diente, aus einer geräumigen Garage im Krefelder | |
Stadtteil Hüls heraus, „die Tonalität der Claims der politischen Macher“, | |
wie es in Kinds handschriftlichem Prospekt in eigener Sache heißt. Gleich | |
zu Tätigkeitsbeginn landete er mit „Hör auf Deine Frau – wähl SPD“ ein… | |
veritablen PR-Coup. Der damalige SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer war | |
derart begeistert, dass er Kind per Depesche an sein CDU-Pendant Konrad | |
Adenauer weiterempfahl. „Ich riet dann Adenauer zu dem recht kurzen Slogan | |
‚Keine Experimente‘, der ihm und wenig später den meisten Wählern sofort | |
einleuchtete.“ | |
Kind, der „seit 1948“ nur auf kommunalpolitischer Ebene wählen geht und | |
dabei ausschließlich für kleine Interessenvereinigungen stimmt („da weiß | |
ich, was drin ist“), hat kein Problem damit, im „Kampeining“ der Parteien | |
nicht genannt zu werden. „Im Gegenteil, so kann ich noch immer ohne | |
Beschimpfungen auf der Straße zum Rewe einholen fahren.“ | |
## Anruf statt „Pitsching“ | |
Der passionierte Zigarilloraucher hat vollstes Verständnis dafür, dass die | |
Parteien schon lange „so tun“, als würden sie große Agenturen für ihr | |
„Kampeining“ beschäftigen. „Ich weiß doch, wie’s läuft“, zwinkert … | |
dritten Wicküler Bier. Für „Werbeklitschen“ wie die angebliche FDP-Agentur | |
„Heimat“ sei das, ohne „schöpferisch“ zu werden oder gar Geld dran zu | |
verdienen, eine „Riesenwerbung“. Und für die Öffentlichkeitsarbeiter in d… | |
Parteien sei es eben vor der Wahl viel einfacher, ein-, zweimal bei ihm | |
durchzurufen, statt unzählige „Pitschings“ zu machen. Er, Kind, schicke | |
ihnen dann – „schwupps“ – die Plakatsprüche per Post zu. | |
Sahra Wagenknecht von der Linken radele jedoch schon mal bis Krefeld-Hüls, | |
um sich von ihm seinen „niveauvollen“ Linken-Claim „Rente mit Niveau“ | |
erklären zu lassen. Auch der Satirepartei „Die Partei“ konnte Kind | |
weiterhelfen: Ihr schickte er per Einschreiben ein ç für das Plakat mit | |
„Kançler!“. | |
Bei der AfD hat Kind auch dieses Mal wieder keinerlei Berührungsängste | |
gehabt. „Ein einfacher Kunde, unaufwendig. Ich habe das SPD-Motto von 1972 | |
‚Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land‘ schlicht variiert – als… | |
‚Trau dich, Deutschland!‘ oder ‚Deutsche? Machen wir lieber selbst!‘“… | |
Gert Kinds abgeblättertem Sekretär scheppert eine Eieruhr. Cem Özdemir von | |
den Grünen persönlich ist dran, er bedankt sich noch mal „ganz lieb“ bei | |
Kind wegen „der Hammersprüche ‚Für Umwelt und Gerechtigkeit‘ und ‚Die… | |
ist noch nicht entschieden‘“. | |
Angela Merkel wollte dieses Mal, so Kind, „auch was mit Deutschland – und | |
dem Wort gut“. Er habe dann nach zwei Wicküler Bier die Zeile, „Für ein | |
Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ gebastelt. Generalsekretär | |
Tauber habe ihm wenig später ein „gekauft!“ durchtelefoniert. Allein Martin | |
Schulz, der „nicht allen bekannte“ SPD-Kanzlerkandidat, hätte ihm | |
„Trinkerkopfschmerzen“ bereitet. Schwer sei es gewesen, ihm den „freshen�… | |
Wahlslogan „SPD – Das moderne Deutschland“ zu verkaufen. „War dem Marti… | |
gewagt, der hätte lieber noch mal so was Ähnliches wie 1957 gehabt. Was war | |
das bloß?“ Wir sind schon im Gehen aus der geräumigen Garage des PR-Profis | |
begriffen, da fällt es Gert Kind wieder ein: „Hör auf meine Frau – wähl | |
SPD“. | |
22 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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