# taz.de -- Meistgeklickt auf taz.de 2017: Krawall und Remmidemmi | |
> Welche Texte wurden 2017 auf taz.de am meisten angeklickt? Wir haben die | |
> Top 5 zusammengestellt und die Autor*innen dazu befragt. | |
Bild: Ziemliche Schnupsis: Die Typ*innen der Partei „Die PARTEI“ | |
Der Text: [1][Elitär, bourgeois und amoralisch], Martin Kaul, 14.09.2017 | |
Darum ging es: Vor der Bundestagswahl im September zogen einige Linke in | |
Erwägung, aus Protest die PARTEI zu wählen. Um aber Parteien wie FDP und | |
AfD politisch etwas entgegenzusetzen, ist das Wählen einer Satirepartei | |
kein geeignetes Mittel, befand unser Reporter Martin Kaul. | |
Der Anstoß: Die PARTEI wollte die Fünf-Prozent-Hürde knacken. Jemand musste | |
das verhindern. | |
Die Resonanz: Phänomenal. Vor allem die PARTEI bedankte sich bei mir. | |
Parteifunktionäre hängten vor der taz Parteiplakate auf. Darauf stand: | |
„Elitär, bourgeois und amoralisch“ und „Schnupsis wählen die PARTEI“.… | |
haben Sie T-Shirts mit meinen Slogans gedruckt. Hat aber nichts genützt. | |
Das Nachspiel: Die PARTEI hat die Bundestagswahl verloren. Heute berate ich | |
frustrierte PARTEI-Mitglieder, wie sie Mitglied in der SPD werden können. | |
*** | |
Die Texte: [2][„Dolchstoß für das Grundgesetz“], Patricia Hecht, | |
07.07.2017; [3][Schwere Krawalle im Schanzenviertel], taz-Liveblog, | |
07.07.2017 | |
Darum ging es: Während der G20-Konferenz in Hamburg gab es viel Protest – | |
und auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und | |
Polizei. Unser taz-Team vor Ort hat über die Geschehnisse berichtet. | |
taz-Reporterin Patricia Hecht interviewte einen Rechtsanwalt zum Vorgehen | |
der Polizei. | |
Der Anstoß: Beim G20-Gipfel in Hamburg ging es rund. Und das schon Tage | |
vorher. Eine Demonstration reihte sich an die andere, ein Polizeieinsatz | |
folgte dem nächsten und dann kamen ja auch noch diese Regierungsschefs | |
vorbei. Ständig veränderte sich die Nachrichtenlage. Da lag es auf der | |
Hand, einen Liveblog zu machen. Wir haben damit am Mittwochmorgen begonnen | |
und bis Samstagabend durchberichtet, täglich bis Mitternacht. | |
Grund für das Interview war die Donnerstagsdemo zum G20-Gipfel im Juli, die | |
nicht loslaufen durfte, weil einige wenige Leute ihr Tuch vor dem Gesicht | |
nicht abgenommen hatten. Ich habe jemanden gesucht, der das spezifisch | |
deutsche Vermummungsverbot erklären und in den aktuellen Zusammenhang | |
einordnen kann. | |
Die Resonanz: Für viele war der Liveblog ein gefundenes Fressen. Teils um | |
über unsere Berichterstattung zu schimpfen, teils um sich über die | |
Polizeieinsätze aufzuregen – oder über die Demonstranten. Oder die | |
Regierungschefs oder über alle. Ab und an gab es dann sogar auch mal ein | |
Lob. | |
Das Interview kam sehr gut an – ich glaube, vor allem auf Twitter. Es war | |
eines der wenigen interviews, die das Verbot der Demo fachlich eingeordnet | |
haben. Der Anwalt, mit dem ich sprach, ist selbst auf Twitter und kann eine | |
große Zahl an Follower*innen aufweisen, das hat die Verbreitung | |
wahrscheinlich gefördert. | |
Das Nachspiel: Die Aufarbeitung der Geschehnisse in Hamburg ist noch lange | |
nicht abgeschlossen. Auch die Frage, wieso das Bundspresseamt zahlreichen | |
Jorunalisten vor Ort die Akkreditierung für den G20-Gipfel entzogen hat, | |
ist immer noch nicht endgültig geklärt. Die taz bleibt dran am Thema. | |
In Sachen Vermummungsverbot hat sich leider gar nichts getan. Die | |
Berichterstattung zum G20-Gipfel hat sich nach dem Freitag und den | |
Krawallen im Schanzenviertel überregional total von den anfangs leicht | |
polizeikritischen Tönen wegbewegt. Das ging bis zu den Razzien im Dezember. | |
*** | |
Der Text: [4][Klagt mich endlich an], Doris Akrap, 10.11.2017 | |
Darum ging es: Der Welt-Korrespondent und frühere taz-Kollege Deniz Yücel | |
ist seit Februar 2017 in der Türkei in Haft. Persönliche Interviews waren | |
bisher nicht möglich. Also führte unsere Redakteurin ein schriftliches | |
Interview mit ihm. | |
Der Anstoß: Bis zum 28. November 2017 saß Deniz Yücel neun ganze Monate | |
allein in Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri. Mal | |
abgesehen davon, dass ich ihn neun Monate lang nicht sprechen konnte und | |
ein großes Verlangen hatte, mit ihm zu reden, war es einfach Zeit, dass er | |
sein erstes Interview als Gefangener gibt. Was eigentlich nicht möglich | |
ist, da ihn außer seinen Anwälten und seiner Familie niemand besuchen kann, | |
schon gar keine Journalisten. Und so schickte ich meine Fragen an seinen | |
Anwalt, der sie ihm vorlegte, und Deniz gab seine Antworten dem Anwalt mit, | |
der sie mir schickte. | |
Die Resonanz: Ich habe so viele herzliche und anteilnehmende Dankeschöns | |
wie noch nie für ein Interview bekommen. Die Leser freuten sich, endlich | |
Deniz' Stimme wieder zu hören beziehungsweise zu lesen und sich so ein | |
genaueres Bild von seiner Situation machen zu können. Ich hatte das Gefühl, | |
dass die meisten so darauf reagierten wie Eltern, die endlich eine | |
Nachricht von ihrem lange verschollenen Sohn erhalten. | |
Das Nachspiel: Ich bin an dem „Thema“ seit dem 17. Februar dran – dem Tag, | |
an dem bekannt wurde, dass Deniz sich in Polizeigewahrsam in Istanbul | |
befindet. Und ich werde so lange dran bleiben, bis er seine Freiheit wieder | |
hat. | |
*** | |
Der Text: [5][„Männern geht es sexuell so schlecht“], Heide Oestreich, | |
15.10.2017 | |
Darum ging es: Ilan Stephani hat zwei Jahre lang in einem Berliner Bordell | |
gearbeitet. Ihre Erfahrungen beschreibt sie in ihrem Buch „Lieb und teuer: | |
Was ich im Puff über das Leben gelernt habe“. Sie sprach mit uns über | |
Prostitution und Sex. | |
Der Anstoß: Mich hat an Ilan Stephani interessiert, dass sie sich nicht | |
einfach in die Front der Prostitutionsbefürworter*innen oder | |
-kritiker*innen einreihen lässt. Sie hat die Herrschaftsverhältnisse in der | |
Prostitution befragt und insbesondere die angebliche Macht der Freier | |
verneint und deren ärmliche Vorstellung von Sex benannt. Sie hat aber auch | |
thematisiert, warum viele Frauen in der Prostitution etwas machen, das für | |
sie nicht gut ist: eigene Bedürfnisse ignorieren, die anderer voranstellen | |
und dazu schauspielern, dass sie happy sind. Prostitution ist hier keine | |
Win-Win-, sondern eine Lose-Lose-Situation. | |
Die Resonanz: Die Lesenden, soweit sie sich geäußert haben, waren | |
überwiegend beeindruckt. Viele haben das Interview als Bereicherung | |
empfunden, insbesondere, weil es auch thematisiert, wie Männer und Frauen | |
heute mit ihrer Sexualität umgehen. Dass beide vielleicht noch etwas ganz | |
anderes finden können, als einen schnellen Orgasmus, das bringt uns alle | |
natürlich zum Träumen. Andere Schreibende aber fanden, dass Stephani, die | |
ja in einem sehr guten Bordell sehr selbstbestimmt gearbeitet hat, von der | |
sehr viel schlechteren Realität vieler anderer Prostituierter keine Ahnung | |
habe und zitierten etwa abfällige und entmenschlichende Äußerungen über | |
Prostituierte aus Freierforen. | |
Das Nachspiel: Ich arbeite schon lange an dem Thema und verfolge es ohnehin | |
weiter. Ich nehme auch den Verdacht durchaus ernst, dass wir lieber die | |
psychologischen und anthropologischen Feinheiten einer erotischen Beziehung | |
gegen Geld von gesunden, resilienten Frauen beleuchten als das Elend von | |
weniger Privilegierten, die in ihrer Arbeit ausgebeutet und psychisch und | |
körperlich angegriffen werden. Beides muss in der Zeitung stehen – wenn | |
auch nicht immer gleichzeitig. | |
*** | |
Der Text: [6][„An der Wand hingen Salzteig-Runen“], Sabine am Orde und | |
Konrad Litschko, 07.10.2017 | |
Darum ging es: Heidi Benneckenstein wuchs in Bayern in einer Nazi-Familie | |
auf. Sie stieg mit 19 aus der Szene aus, gemeinsam mit ihrem Mann. Am 14. | |
Oktober erschien ihre Geschichte „Ein deutsches Mädchen“, wir sprachen | |
vorab mit ihr über ihre Erlebnisse. | |
Der Anstoß: Die taz schaut seit jeher ganz genau hin, was sich rechtsaußen | |
im politischen Spektrum tut: auf Kameradschaftler und Neonazi-Parteien, | |
alte und neue Rechte. Seltener gewähren (frühere) Rechtsextreme selbst | |
Einblicke in die Szene. Heidi Benneckenstein gehört dazu – und legte ihre | |
Erfahrungen in einer besonders verschlossenen Gruppierung offen: der | |
Heimattreuen Deutschen Jugend, eine Art rechtsextreme Pfadfinderjugend und | |
Kaderschmiede. Als wir erfuhren, dass Heidi Benneckenstein ein Buch über | |
ihre 19 Jahre in der rechtsextremen Szene schreibt, baten wir darum, mit | |
ihr zu sprechen. Wir waren die ersten, die ein Interview mit ihr darüber | |
veröffentlichten. | |
Die Resonanz: Das Interview wurde viel gelesen und vielfach geteilt. | |
Etliche Leser bedankten sich für die „eindrücklichen“ Schilderungen | |
Benneckensteins. Auch zahlreiche andere Medien berichteten in der Folge | |
über Heidi Benneckensteins Werdegang und ihr Buch, selbst international. | |
Das Echo war enorm. | |
Das Nachspiel: Heidi Benneckenstein hatte sich schon vor ihrer | |
Buchveröffentlichung vorsichtig im öffentlichen Raum bewegt, aus Angst vor | |
der Rache früherer Szenefreunde. Sie tut es nun weiter – und steht dennoch | |
zu ihrem Gang in die Öffentlichkeit. Auch als Warnung, „wie tief die | |
Ausläufer rechten Denkens in die bürgerliche Gesellschaft hineinreichen“, | |
wie sie sagt. Und die taz wird selbstverständlich weiter ihren Blick auf | |
den rechten Rand richten. Insbesondere auch auf frühere Kader der | |
Heimattreuen Deutschen Jugend, die heute bei Pegida oder den Identitären | |
auftauchen – und zu neuen Tonangebern der Szene werden. | |
27 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Belinda Grasnick | |
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