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# taz.de -- Rechtsanwalt über Polizeieinsatz: „Dolchstoß für das Grundgese…
> Die Polizei hat bei der G20-Demo am Donnerstag jedes Maß verloren und die
> Verfassung missachtet, sagt Law-Blog-Autor Udo Vetter.
Bild: Wasserwerfereinsatz bei der Welcome-to-hell-Demonstration am Donnerstag
Herr Vetter, Sie kritisieren den Hamburger Polizeieinsatz als unzulässig.
Wieso?
Udo Vetter: Die Polizei hat am Donnerstagabend offenbar eine große,
friedliche Demonstration mit der bloßen Begründung verhindert, dass einige
Leute vermummt waren. Wenn das rechtens wäre, müsste man jeden Samstag in
jedem deutschen Fußballstadion das Spiel absagen und das Stadion räumen.
Und wenn die Polizei bei jeder Demo sagen würde, da laufen ein paar
Vermummte mit, deshalb dürfen die restlichen 12.000 Leute auch nicht mehr
demonstrieren – dann wäre die Konsequenz, dass es in Deutschland künftig
keine Demos mehr gibt.
Auf welches Recht beruft sich die Polizei?
Auf das Vermummungsverbot, das 1985 unter Helmut Kohl eingeführt wurde.
Schon damals gab es große Debatten darüber – weil befürchtet wurde, dass
passieren könnte, was jetzt passiert ist. Damals wurde beschlossen, einen
Verstoß gegen dieses Vermummungsverbot nicht als Ordnungswidrigkeit zu
werten, was ja nahegelegen hätte. Schließlich tut jemand, der sein Gesicht
nicht zeigt, niemandem weh. Es ist aber direkt zur Straftat gemacht worden,
damit das sogenannte Legalitätsprinzip gilt.
Was genau bedeutet das?
Nach dem Legalitätsprinzip ist die Polizei verpflichtet, jede Straftat
sowohl zu verhindern als auch aufzuklären. Gestern hat man nun zum ersten
Mal in der Geschichte des Vermummungsverbots gesehen, wozu das genutzt
werden kann. Die Polizei argumentiert zwar, sie habe Straftaten verhindern
müssen. Aber sie verliert dabei jedes Augenmaß. Die Verhinderung von
Straftaten muss immer gegen die Versammlungsfreiheit abgewogen werden, die
sich aus dem Grundgesetz ergibt. Und die Auslegung des Vermummungsverbots
durch die Hamburger Polizei ist ein Dolchstoß in den Rücken des
Grundgesetzes.
Das Vermummungsverbot ist also falsch angewendet worden?
Hier wird ein Gesetz, dass ohnehin extrem fragwürdig ist, zum Selbstzweck.
Letztlich geht es immer um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Die
Versammlungsfreiheit ist eines der wichtigsten Rechte, die man als Bürger
hat, sie ist konstituierend für unsere Demokratie. Wer das
Versammlungsrecht so instrumentalisiert, wie es jetzt hier passiert ist,
stellt unsere Rechtsordnung ins Zwielicht.
Hat die Polizei die Verfassung missachtet?
Ja. Spätestens das Bundesverfassungsgericht, bei dem dieser Einsatz
irgendwann landen wird, wird sagen, dass hier Rechte miteinander
kollidieren. Verstöße gegen das Vermummungsverbot sind Bagatellstraftaten,
für jede Beleidigung kann man länger ins Gefängnis wandern. Gleichzeitig
aber ist eben ein hochrangiges Grundrecht sehr vieler Menschen betroffen,
die friedlich demonstrieren wollten, in dieser Entscheidung aber völlig
ausgeblendet werden. Wie viele Leute waren denn da überhaupt vermummt? Das
muss man abwägen, und das macht die Hamburger Polizei offenbar überhaupt
nicht. Auch und gerade für die Polizei muss unsere Verfassung das oberste
Maß der Dinge sein. Das Bundesverfassungsgericht wird also sagen, dass ein
solch unverhältnismäßiger Eingriff nicht gerechtfertigt ist. Noch dazu
besteht der Verdacht, dass die Argumentation der Polizei nur vorgeschoben
ist, um die Demo insgesamt zu verhindern.
Gibt es denn auch gute Gründe, sich unkenntlich zu machen?
Ja, und das müsste man spätestens jetzt auch wieder diskutieren. Das
Demonstrationsrecht ist in Deutschland daran gekoppelt, dass man sein
Gesicht zeigt. Aber ein Vermummungsverbot ist natürlich ein Element, das
einen repressiven Staat kennzeichnet, keinen freiheitlichen Staat. Es ist
eines der Elemente, die dazu geführt haben, dass das Grundgesetz stetig
ausgehöhlt wurde und immer weiter ausgehöhlt wird. Immer heißt es, die
Bürger hier könnten auf die Straße gehen, sich wehren und friedlich
demonstrieren. Aber wie ist das denn, wenn man das Vermummungsverbot im
Lichte von Ägypten oder Nordkorea sieht? Da kann man natürlich sagen, ich
will nicht, dass Polizeikameras mich aufnehmen, ich will nicht in
Datenbanken gespeichert werden.
Was folgt aus diesem Einsatz für Hamburg?
Hamburg hat ja eine sehr schmerzliche Geschichte, was den Einsatz von
verdeckten Ermittlern der Polizei angeht. Ich will keine Prognose wagen.
Aber wenn sich herausstellen sollte, dass innerhalb dieses schwarzen Blocks
wieder verdeckte Ermittler anwesend waren oder darin sogar eine aktive
Rolle gespielt haben – dann wird der Aufschrei nicht lange auf sich warten
lassen. Das wäre ein absoluter GAU für unseren Rechtsstaat.
7 Jul 2017
## AUTOREN
Patricia Hecht
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