Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hamburgs Polizeipräsident über G20: „Das hat doch etwas Faschis…
> Ralf Martin Meyer kritisiert die Haltung der Anwohner im Schanzenviertel
> und verteidigt den Einsatz von Gewalt bei den Demonstrationen gegen den
> G20-Gipfel.
Bild: Eigentlich versteht sich die Hamburger Polizei ganz gut mit der Roten Flo…
taz: Herr Meyer, es ist eine heiße Zeit für Hamburgs Polizei. Sowohl bei
der Messer-Attacke von Barmbek als auch bei G20 hatten die Behörden
Informationen, um entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Hat die Polizei
versagt?
Ralf Martin Meyer: G20 und die schreckliche Tat in Barmbek haben erst
einmal nichts miteinander zu tun – sind nicht vergleichbar. Die
Veröffentlichungen des Generalbundesanwalts besagen, dass sich der Täter
von Barmbek erst am Mittwoch, also zwei Tage vorher, zu der Tat
entschlossen hat.
Laut einem Bericht des Spiegels soll das LKA sogar versucht haben, den Mann
als Informanten anzuwerben. Das deutet ja darauf hin, dass man mehr über
den Mann wusste.
Das hat etwas mit verdeckter Anschlagsbekämpfung zu tun. Ich kann nur
sagen, dass es im Sommer 2016 einen Kontakt zu dem Mann gegeben hat. Dabei
hat sich uns ein völlig normaler, eher schüchterner Mann gezeigt. Die
Polizei versucht alles, um solche Anschläge zu verhindern. Aber wenn Sie an
andere Länder denken: Selbst dort, wo es Geheimdienstmethoden gibt, die uns
sehr fernliegen, gelingt es nicht, derartige Anschläge zu verhindern.
G20 und kurz darauf die Messer-Attacke in Barmbek haben am
Sicherheitsgefühl der Hamburger gekratzt. Kann die Polizei noch für
Sicherheit und Ordnung sorgen?
Da verknüpfen sich die beiden Fälle, weil sie auf das gleiche Thema
Auswirkungen haben: das Sicherheitsgefühl. Wir sind am Wochenende mit
uniformierten Kollegen über die CSD-Parade gegangen, die ihre sexuelle
Orientierung präsentiert haben, und sind bejubelt worden. Viele Leute haben
sich für den G20-Einsatz bedankt. Das Sicherheitsempfinden ist also
offensichtlich in unterschiedlichem Maße tangiert.
Im Vorfeld des G20-Gipfel betonten Sie, die Polizei erwarte Tausende
gewaltbereite Autonome in Hamburg, sie sei aber so gut vorbereitet wie noch
nie. Am Sonntag nach dem Gipfel hieß es, mit dieser Art der Gewalt habe die
Polizei nicht gerechnet. Was stimmt denn nun?
Es ist keine gute Zeit, um zu vereinfachen. Natürlich hatten wir
Erkenntnisse, was auf uns zukommt. Trotzdem kam es während des Einsatzes zu
Vorkommnissen, die im Vorfeld nicht beziehungsweise nicht in dem Ausmaß zu
prognostizieren waren. In einer Stadt kann man mehr kaputt machen als
anderswo – und die Polizei ist dazu da, das zu verhindern. Bereits im
Vorfeld haben wir Zwillen und Feuerlöscher mit brennbarer Flüssigkeit
sichergestellt. Auf die Nutzung derartiger Gegenstände waren wir also
vorbereitet. Aber es gibt auch Dinge, die den Rechtsstaat an Grenzen
geführt haben.
Wie meinen Sie das?
Wenn sich etwa Leute camouflageartig umziehen, also die schwarzen Klamotten
gegen bunte eintauschen, ist es für uns sehr schwer, ihnen Straftaten
zuzuordnen. Das wird hoffentlich jetzt durch die Soko „Schwarzer Block“
nachgeholt. Viele Leute haben Bilder gemacht, die sie uns jetzt zur
Verfügung stellen. Die Störungen und Ausschreitungen in der Schanze waren
deutlich massiver als angenommen. Es gab Hinweise, dass es Angriffe von den
Dächern geben wird. Einheiten haben gesagt, sie gehen da nicht rein, weil
es für sie zu gefährlich ist. Man darf nicht vergessen, es waren auch sehr
viele Unbeteiligte in diesem Viertel.
Haben sich die Beamten damit einer Anweisung von oben widersetzt?
Nein. Es war mit Blick auf die Ausschreitungen geplant, in die Schanze zu
gehen. Der Zeitpunkt wurde polizeitaktisch entschieden. Wir wollten auf
keinen Fall schwerwiegende Verletzungen von Polizeibeamten oder Bewohnern
der Schanze in Kauf nehmen.
Waren verdeckte Ermittler in den Camps im Einsatz?
So was soll es geben.
Es gibt viel Kritik am unverhältnismäßigen Einsatz während der
G20-Proteste. Zuletzt sprach die Linkspartei auf Basis eines Berichts der
Süddeutschen Zeitung von einer Falschaussage der Polizei über einen Einsatz
in der Straße Am Rondenbarg. Was sagen Sie?
Das Video zu diesem Einsatz zeigt einen Block von etwa 150 bis 200
Menschen, die komplett in Schwarz gekleidet und vermummt sind. Man sieht
Pyrotechnik und auch Steine, die auf die Kollegen der Bundespolizei
geworfen wurden. Bei der Festnahme haben wir Feuerlöscher,
Zimmermannshammer, Steine, pyrotechnische Gegenstände, Zwillen und
Drahtseile sichergestellt. Mir ist schleierhaft, wie man bei der
Betrachtung dieses Videos und dem Wissen der Gesamtumstände zu einer
anderen Bewertung kommen kann.
Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde sagte nach dem Gipfel, bei der
Gefährdungslage müsse man zukünftig regelmäßig mit dem Einsatz von
Spezialkräften bei Demonstrationen rechnen, die ja mit Sturmgewehren
bewaffnet sind. Ist das so?
Nein. Ich sehe im Moment keine Demonstration, bei der wir das SEK brauchen.
Ich schließe das allerdings auch nicht für alle Situationen aus. Aber ich
sehe darin keine Maßnahme, die zum Standard wird.
Wie weit sind Sie mit der internen Aufarbeitung der Vorwürfe am
G20-Einsatz?
Das Dezernat für interne Ermittlungen führt diese Ermittlungen. Es ist
außerhalb der Polizei in der Behörde für Inneres und Sport angesiedelt, so
dass wir gar nicht erfahren, wie weit sie sind. Es wurde dort eine kleine
Sondergruppe gebildet, die die 54 Verfahren gegen Polizisten überprüft.
Es gibt inzwischen etwa 160 Ermittlungsverfahren gegen Gipfelgegner, also
läuft etwa ein Viertel aller Verfahren gegen Polizisten. Ist das nicht eine
ungewöhnliche Bilanz?
Das finde ich in Anbetracht des Ausmaßes dieses Einsatzes nicht. Ich
glaube, dass der Reflex mit der Polizeigewalt, der ja schon fast ein
pawlowscher ist, nicht angesagt ist. Es war ein sehr konfliktbehafteter
Einsatz. In Relation dazu ist die Zahl der Ermittlungsverfahren nicht sehr
hoch, dafür, dass wir drei Tage lang mit 23.000 Polizisten im Einsatz
waren. Man kann die Ermittlungsverfahren gegen Gipfelgegner auch nicht in
Beziehung zu Verfahren gegen Polizisten setzen. Demonstranten haben keine
Befugnis, Gewalt auszuüben. Das ist bei der Polizei anders. Wir müssen
beziehungsweise dürfen Zwang ausüben. Hier stellt sich immer die Frage, ob
dieser Zwang rechtmäßig war oder möglicherweise auch überzogen. Ich finde
es in Anbetracht der hohen Zahl von Straftaten eher betrüblich, dass wir
viele Leute nicht erwischt haben. Ich hätte mir viel mehr Festnahmen
erhofft, gerade aus den Kreisen der Italiener, der Spanier, der
Skandinavier.
Waren es wirklich hauptsächlich Gewalttäter aus dem Ausland?
An den Festnahmen kann man das schlecht ablesen. Es scheint eine große
Mischung zu sein.
Wenn Sie mehr Leute festnehmen wollten, woran ist das gescheitert?
Nehmen wir das Schanzenviertel: Da war es schwierig, Leute festzunehmen,
weil man alle Hände voll zu tun hatte, die Situation zu bereinigen, etwa
die Straße zu räumen, die Plünderungen zu beenden und die Feuer zu löschen
– und zu verhindern, dass es zu weiteren Straftaten kommt.
Ist es für die sachliche Auseinandersetzung hilfreich, den Begriff
„Polizeigewalt“ von vornherein aus der Diskussion zu verbannen?
Tatsächlich gehört die Anwendung von Zwang und damit auch die Ausübung von
Gewalt zur Aufgabe der Polizei, zum Beispiel im Zuge der Gefahrenabwehr und
Strafverfolgung. Deswegen ist dieser Begriff zu pauschal und leitet in die
Irre. Intern haben wir aber auch kein Interesse daran, dass Polizeibeamte,
die ein Fehlverhalten an den Tag legen, damit durchkommen.
In der Debatte nach G20 kam das anders rüber.
Mir wird dabei zu sehr vereinfacht. Ich könnte mich genauso über die Denke
der Menschen auslassen, die im Bereich Sternschanze leben und sagen, der
Stadtteil würde ihnen gehören und jeder, der da nicht reinpasst, wird
vertrieben. Das hat doch etwas Faschistoides. Aber wenn man sachlich
diskutieren will, muss man versuchen, den Blickwinkel der anderen Seite
einzunehmen. Zu welchem Ergebnis man kommt, ist erst am Ende des Verfahrens
zu beurteilen. Bis dahin gilt doch die Unschuldsvermutung.
Entgegen der Unschuldsvermutung wurde die Diskussion nun auf die Rote Flora
als Schuldige gelenkt. Eine Vorfestlegung, ohne erkennbare Indizien …
Diese Vereinfachung ist eine mediale Vereinfachung und Zuspitzung. Dafür
muss ich mich nicht verantworten. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt auch noch
nicht sagen, welche Rolle die Flora gespielt hat. Dafür hat man ja einen
Sonderausschuss eingesetzt, der Ende August startet.
In Berlin setzt die Polizei seit Jahren auf Deeskalation, auch Vermummte
können protestieren. Bei der G20-Demo, die von der Roten Flora organisiert
wurde, war das aber der Grund für den Polizeieinsatz. Warum verfolgt
Hamburg immer noch eine Null-Toleranz-Strategie?
Wir orientieren uns am Versammlungsgesetz. Bei der Demo „Welcome to Hell“
ging es nicht darum, dass da ein paar Leute vermummt waren. Dort waren zwei
große schwarze Blöcke, die ich in Summe so auf circa 1.500 Personen
schätzen würde. Der ganz überwiegende Teil der Personen war vermummt. Dann
wurden von außen Zaunlatten in die Demo gegeben. Der Flora-Sprecher Andreas
Blechschmidt ist seit Jahren als Demonstrationsanmelder bekannt und man
kennt sich. Wenn man dem sagt, Vermummung geht nicht, dann kann man die
Hoffnung haben, sich darauf verlassen zu können. Aber auf den ausländischen
Teil der Demonstration hatte er offenkundig keinen Einfluss. Der
polizeiliche Leiter der Demonstration hatte das Gefühl, dass Herr
Blechschmidt komplett überfordert war.
Es hört sich so an, als hätten Sie ein durchaus kooperatives Verhältnis zur
Roten Flora und deren Sprecher Andreas Blechschmidt.
Bei Demonstrationen gilt das auch. Ich bin aber überhaupt nicht
einverstanden mit der Aussage, die Ausschreitungen wären in Ordnung, aber
hätten im falschen Viertel stattgefunden.
Die kam von Andreas Beuth, dem Anwalt der Roten Flora und wurde längst
zurückgenommen. Kann das ein Grund sein, die Rote Flora räumen zu wollen?
Gewalt fängt mit der Sprache an. Man muss sich sehr wohl überlegen, ob man
damit Gewalt befördert. Im Vorfeld wurde zum größten schwarzen Block aller
Zeiten aufgerufen. Man sei keine katholische Pfadfinderjugend, war da zu
hören. Zum Schluss hat man gemerkt, dass man die Geister, die man rief, so
schnell nicht wieder los wurde. Jetzt muss man wohl auch vonseiten der
Roten Flora im Viertel, in der Schanze, ein bisschen Aufräumarbeit leisten.
8 Aug 2017
## AUTOREN
Lena Kaiser
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
G20-Gipfel
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Polizei
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Rote Flora
Lesestück Interview
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Ausschuss
Rote Flora
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt G20 in Hamburg
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Rote Flora
Mobilfunk
Schwerpunkt G20 in Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte über G20 in Hamburg: Unklare Haltung zu Gewalt
Bei der Diskussion über das Aufräumen nach G20 gibt es in der Patriotischen
Gesellschaft wenig Fragen, ein interessantes Detail zu übergriffigen
Polizisten und eine Forderung
Aufklärung nach G20-Gipfel: Opposition stellt Rot-Grün Ultimatum
CDU und Die Linke werfen rot-grüner Koalition einen mangelnden Willen zur
Aufklärung vor. Gehe das so weiter, drohe ein echter
Untersuchungsausschuss.
Sonderausschuss zu G-20: Schwarzes Papier
Der G20-Ausschuss trifft sich in Hamburg zur ersten Arbeitssitzung. Die
Akten sind allerdings größtenteils geschwärzt
Äußerungen zu G20 Krawallen: Alles anders gemeint
Linken-Sprecher Andreas Beuth geht auf Distanz zu sich selbst. Er habe den
Druck der Presse nicht ausgehalten. Derweil fordert CDU Bürger-Abstimmung
über Rote Flora
Wegen Gewalt beim G20-Gipfel: Journalisten-Verband rügt Polizei
Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert eine schleppende Aufarbeitung
von Polizeigewalt gegen Journalisten beim G20-Gipfel.
Polizeitaktik bei G20-Protesten: Überall reizende Gase
Obwohl der Senat vorher das Gegenteil behauptet hat, wurde während der
G20-Proteste flächendeckend Reizgas versprüht. Die Linke wirft dem Senat
Täuschung vor
Erste Anklage nach G20-Krawallen: Feuerwerk und Reizgas im Rucksack
Ein 24-Jähriger soll während der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg
Feuerwerkskörper und Reizgas im Rucksack gehabt haben. Jetzt wurde Anklage
erhoben.
Eingesperrte nach dem G20-Gipfel: Knast wegen schwarzen Schals?
Bisher hat die Hamburger Justiz 51 Haftbefehle gegen mutmaßliche
Randalierer ausgestellt. Eine Anwältin spricht von politischen Motiven.
Nachwirkungen des G20-Gipfels: Grundrechte missachtet
Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung: Gegen 49 Polizisten laufen
Verfahren. Amnesty kritisiert Hamburgs Bürgermeister Scholz.
Hausprojekt in Hamburg: Rote Flora in Alarmbereitschaft
Nach den G20-Krawallen hatte die Hamburger Politik der „Roten Flora“
gedroht. Nun befürchten die Aktivist*innen eine Hausdurchsuchung.
Handyüberwachung bei G20: Demonstranten ausspioniert
Beim G20-Gipfel griff der Verfassungsschutz großflächig Daten aus dem
Mobilfunknetz ab. Die Methoden sind ungenau, Auskünfte für Betroffene gibt
es nicht.
Debatte Gipfelproteste: Von den Schweden lernen
Nicht nur bei G20: Auch beim EU-Gipfel in Göteborg 2001 gab es Krawalle. Es
folgte eine ernsthafte Aufarbeitung. Ob das auch in Hamburg möglich ist?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.