| # taz.de -- Integrationspolitik in Bayern: Zu fleißig für die CSU | |
| > Laut Integrationsgesetz soll Babacar Cisse Arbeit finden. Cisses Chef | |
| > möchte ihn ausbilden. Doch die Asylbehörde will lieber warten. | |
| Bild: Der eine sucht eine Ausbildung, der andere einen Auszubildenden: Babacar … | |
| MÜNCHEN taz | Als Babacar Cisse zum Feierabendbier in die Schreinerei | |
| kommt, schmäht ihn sein Meister: „Immer noch dieser Rucksack, besorge dir | |
| mal einen anderen!“ Denn auf dem Rucksack prangt das Emblem des FC Bayern, | |
| Cisses Meister aber fiebert für 1860 München. „Eigentlich bin ich | |
| Barcelona-Fan!“, antwortet Cisse und lacht. Ein gewöhnlicher bayerischer | |
| Dialog – dabei ist Cisse gar kein Bayer, sondern Senegalese. Er ist 35 | |
| Jahre alt, Praktikant in der Schreinerei Holzkollektiv im Zentrum Münchens, | |
| seine Kolleg*innen trinken an diesem heißen Juniabend ein Bier, Cisse | |
| nichts, weil Ramadan ist und er fastet. Aber wen stört das schon. | |
| Cisse wiederum stört, dass er bislang keine Ausbildung in der Werkstatt | |
| machen darf. Dabei möchte ihn das Holzkollektiv einstellen und er möchte | |
| den Arbeitsplatz. Doch das alleine reicht nicht. Denn Babacar Cisse ist | |
| erst vor drei Jahren nach Deutschland gekommen, sein Asylverfahren läuft | |
| noch. Die bayerische Flüchtlingspolitik macht es einem wie ihm besonders | |
| schwer. | |
| Vergangenes Jahr hat die Bundesregierung ein Integrationsgesetz | |
| verabschiedet, das Flüchtlinge zu Sprachkursen verpflichtet, sie mit | |
| Sanktionen bedroht – ihnen aber auch das Recht gewährt, zu arbeiten oder | |
| sich ausbilden zu lassen. Sie verkaufte es als Meilenstein der | |
| Flüchtlingspolitik. Deshalb kann Babacar Cisse eine Berufsschule besuchen, | |
| obwohl er noch kein anerkannter Flüchtling ist. Im zweiten Schuljahr muss | |
| er dort allerdings einen Ausbildungsplatz vorweisen. Die Zusage vom | |
| Holzkollektiv hat er bereits. Die der zuständigen Ausländerbehörde in | |
| Dachau nicht. | |
| „Senegal? Der bekommt niemals eine Ausbildungserlaubnis“, so hatten sie | |
| Cisses Meister zunächst geantwortet, als der nach einer Prognose fragte. | |
| Später haben sie ihm diese Einschätzung sogar schriftlich gegeben. Einen | |
| Antrag haben Cisse und das Holzkollektiv trotzdem gestellt und ein | |
| anwaltliches Beschwerdeschreiben geschickt. Darin reihen sich die Argumente | |
| aneinander, weshalb Cisse ein Ausbildungsplatz zustünde: Er lernt und | |
| spricht Deutsch, er besucht eine Schule, hat einen Ausbildungsvertrag. Nun | |
| warten sie auf die Antwort. Die Zeit rennt aber davon, im September ist | |
| Ausbildungsbeginn. | |
| ## Der bayerische Sonderweg | |
| Bei einer Fachtagung des Flüchtlingsrates in einem Münchner Kulturzentrum | |
| sitzen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer*innen, Sozialarbeiter*innen, | |
| Unternehmer*innen dichtgedrängt. Eine Frau meldet sich und fragt: „Wenn | |
| wir den Personen einen Ausbildungsvertrag aushändigen, reicht das als Grund | |
| für die Erteilung einer Erlaubnis bei der Ausländerbehörde?“ „Ja“, | |
| antwortet ihr ein Teilnehmer, „das sollte reichen.“ „Nein“, widerspricht | |
| eine Teilnehmerin, „das kommt auf die Behörde an.“ Stephan Dünnwald | |
| versucht, die Diskussion zusammen zuhalten. Er arbeitet für den | |
| Flüchtlingsrat. Schon länger treibt ihn der „bayerische Sonderweg“ um, so | |
| nennt er das Problem. | |
| Ursprünglich hatte das Integrationsgesetz unter anderem verfügt, dass | |
| Geflüchtete unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus schneller und | |
| unkomplizierter eine Ausbildung beginnen können. Wer nach seinem Abschluss | |
| übernommen wird, darf weitere zwei Jahre in Deutschland bleiben – auch wenn | |
| er formal keinen Flüchtlingsschutz erhält, sondern nur ein begrenztes | |
| Bleiberecht hat oder geduldet ist. So wie Geflüchtete aus sogenannten | |
| sicheren Herkunftsländern wie Senegal. Während dies in anderen | |
| Bundesländern einigermaßen funktioniert, schießt Bayern quer, erzählt | |
| Dünnwald. Menschen, die bleiben werden, bekämen trotzdem keine | |
| Arbeitserlaubnis. | |
| Was Bayern von anderen Bundesländern unterscheidet: Arbeitserlaubnisse | |
| erteilen die Ämter hier nicht nur anhand eines Antrags, vielmehr leiten sie | |
| „migrationspolitische Erwägungen“, so nennt es die CSU. Ihre Idee: je | |
| schwieriger es den Geflüchteten gemacht wird, in Bayern Fuß zu fassen, dest | |
| kleiner der Anreiz, überhaupt nach Bayern zu kommen. Dazu passt die | |
| Beschreibung des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer: „Das Schlimmste ist | |
| ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da | |
| ist. Weil den wirst du nie wieder abschieben.“ | |
| Seit September 2016 hat die bayerische Innenbehörde drei sogenannte | |
| „Innenministerielle Schreiben“ an Landratsämter ausgestellt, in denen sie | |
| Empfehlungen zum Integrationsgesetz abgeben. Vor Kurzem folgte ein | |
| Senatsbeschluss. Sie widersprechen einander: Mal wird die Bleibeperspektive | |
| als wichtigstes Kriterium für eine Ausbildungserlaubnis angeführt, dann | |
| wieder nur als ein Kriterium von vielen, wie Sprachkenntnisse oder | |
| Schulbesuche. | |
| Stephan Dünnwald kann diese Praxis nicht verstehen. „Es gibt Druck von | |
| Unternehmen, die unter Fachkräftemangel leiden“, sagt er. Sogar die | |
| Bayerische Industrie- und Handelskammer kritisiert inzwischen die | |
| Intransparenz: Regionalen Unternehmen fehlt die Planungssicherheit. | |
| Schließlich lässt sich für sie nur erahnen, ob sie ihren Wunschmitarbeiter | |
| beschäftigen können – oder nicht. „Wie soll man die motivieren, Geflücht… | |
| auszubilden?“, fragt Dünnwald. | |
| Wer bleibt muss arbeiten. Und wer nicht bleibt? | |
| Von Babacar Cisse und dem Holzkollektiv sind es nur zwei Kilometer bis zur | |
| Prinzregentenstraße 24, und doch scheinen ihre Probleme fern. Gegenüber | |
| liegt der Englische Garten, hier hat die CSU-Landtagsabgeordnete Kerstin | |
| Schreyer ihr Büro. Sie ist auch die Integrationsbeauftragte der Bayerischen | |
| Staatsregierung. Und die einzige der angefragten CSU-Politiker*innen, die | |
| Zeit für ein Gespräch mit der taz hat. Trotzdem betont sie: Sie berät die | |
| bayerische Landesregierung lediglich. Ihr Wort wird gehört, ist aber nicht | |
| verbindlich. | |
| „Kein Bundesland ist in der Integrationspolitik so erfolgreich wie Bayern“, | |
| sagt Schreyer. Nicht nur ein Mal. Man habe in Bayern in dieser Hinsicht | |
| sehr schnell sehr viel vorangebracht. Runde Tische mit | |
| Wirtschaftsvertretern, einen Integrationspakt. Während vor 2015 kaum jemand | |
| arbeiten konnte, sagt sie, gelte jetzt: Wer bleibt, muss arbeiten. Und: | |
| „Arbeit ist eine Integrationsmaßnahme.“ Sie spricht über den | |
| Integrationspakt, den die Landesregierung mit Unternehmen geschlossen hat. | |
| Die Idee: Bis 2019 sollen 90.000 Geflüchtete in den Arbeitsmarkt integriert | |
| werden. 20.000 hätten das schon geschafft. | |
| Bayern sei erfolgreich, sagt Schreyer, das zeige die Tatsache, dass es hier | |
| keine No-go-Areas gebe wie in Nordrhein-Westfalen. Und eine Umfrage der | |
| Seidel-Stiftung beweise, dass sich Migranten in Bayern wohlfühlten. | |
| Schreyers Linie ist CSU-Linie. Sie setzt sich auch für die Obergrenze ein. | |
| Wieso bekommen dann Personen, die faktisch bleiben werden, trotzdem keine | |
| Arbeitserlaubnis? Die Antwort Schreyers: Entscheidend sei die | |
| Bleibeperspektive, obwohl andere Kriterien, Schreyer nennt sie | |
| „Integrationsleistungen“, auch wichtig seien. Was Stephan Dünnwald vom | |
| Flüchtlingsrat „willkürliche Praxen“ nennt, ist für Schreyer der | |
| Ermessensspielraum der Behörden. | |
| Und so manifestiert sich die Unsicherheit deutscher Integrationspolitik in | |
| einer Integrationsbeauftragten. Einerseits, sagt sie, ist das Bleiberecht | |
| ein anderes als die Arbeitserlaubnis. Nur weil jemand eine Ausbildung | |
| mache, dürfe er nicht automatisch denken, dass das einen positiven | |
| Asylbescheid ersetze. Andererseits vermischt sie sie selbst, wenn sie die | |
| Bleibeperspektive als entscheidendes Kriterium für eine Arbeitserlaubnis | |
| benennt. Und aus purer Angst, bei einem integrierten Geflüchteten könnten | |
| sich Kolleg*innen und Fußballfreund*innen in die Abschiebung einmischen, | |
| sagen CSU-Vertreter wie Schreyer: „Im Zweifel hat die Rückführung Vorrang | |
| vor Ausbildung.“ Warum? „Weil wir nicht ganz Afrika aufnehmen können.“ | |
| Unsicherheit macht den Kopf kaputt | |
| Babacar Cisse ist einer dieser gut integrierten Geflüchteten, vor denen | |
| sich die CSU fürchtet. Er macht Sport, spricht fließend Deutsch und hat | |
| Kolleg*innen, die er Familie nennt. Über seine Flucht will er nicht reden. | |
| Von seiner Zeit in Senegal erzählt er nur, dass er schon dort Schreiner | |
| war. Er erzählt von seinen ersten Monaten in Bayern, von der | |
| Sammelunterkunft in Dachau, einer blauen Baracke, deren Fenster er | |
| gemeinsam mit dem Hausmeister reparierte. Für einen Euro die Stunde. „Für | |
| nichts“, sagt Cisse. | |
| Cisse möchte arbeiten, ein festes Einkommen, nicht mehr rumsitzen. „Das | |
| macht meinen Kopf kaputt“, sagt er. Beim Reden klopft er mit den Fingern | |
| auf den Holztisch der Biergarnitur. | |
| „Alle in meiner Klasse haben eine Ausbildung gefunden. Ich auch. Aber ich | |
| darf nicht anfangen“, sagt er mehrmals. Beim dritten Mal hat er Tränen in | |
| den Augen. Die Klopfer werden fester. Was, wenn er wirklich keine | |
| Ausbildungserlaubnis bekommt? „Ich muss anfangen, ich weiß nicht, was ich | |
| sonst tun soll“, sagt Cisse. Drei Mal. | |
| 12 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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