Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zusammenleben mit Flüchtlingen: „In die Pampa schicken bringt ni…
> Migrationsforscher fordern, Flüchtlinge dezentral unterzubringen. Jannis
> Panagiotidis über die Rolle des Staates, Erwartungen an Geflüchtete und
> das Ankommen.
Bild: Warten vor dem Lageso in Berlin
taz.am wochenende: Herr Panagiotidis, viele Migrationsforscher fordern,
Flüchtlinge dezentral unterzubringen. Wie stehen Sie dazu?
Jannis Panagiotidis: Längerfristige Unterbringung in Durchgangslagern ist
für alle Beteiligten unbefriedigend, das ist ganz klar. Integration ist da
gar nicht möglich. Wenn dezentral aber bedeutet, dass man die Leute
irgendwo in die Pampa schickt, wo schon die einheimische Bevölkerung keinen
Job hat, bringt das auch niemandem etwas.
Wie weit soll der Staat diese Bewegungen lenken?
Das ist die große Frage. Wie weit kann er das überhaupt? Das neue
Integrationsgesetz enthält eine Wohnortzuweisung. Das gab es auch schon in
den 1990er Jahren, als die Russlanddeutschen kamen. Die durften allerdings
Präferenzen angeben. Viele Jahre später stellte man fest: Ein Großteil der
Leute kam letztlich dahin, wo er auch hin wollte. Wenn man die Migranten
machen lässt, ziehen sie zu ihren Freunden und Verwandten.
Und dann?
Dann kommt es zu bestimmten Konzentrationen, die man, wenn sie sozial
marginalisiert sind, als Ghetto bezeichnet. Wenn sich innerhalb dieser
Konzentrationen aber eine positive Dynamik entwickelt, kann man sie auch
als Kolonien betrachten – ein Zusammenschluss von Menschen ähnlicher
Herkunft, die sich gegenseitig helfen. Der deutsche Staat wäre hier ganz
gut beraten, etwas mehr auf solche zivilgesellschaftlichen Prozesse zu
vertrauen.
Parallelgesellschaften werden gemeinhin als etwas Schlechtes dargestellt.
Ja, das muss aber nicht sein. Diese Kolonien haben große
Integrationspotenziale, die man verschwendet, wenn man die Leute
auseinanderreißt.
Wie viel Integrationswillen darf man von ihnen erwarten?
Im Grunde müssen alle Seiten mitziehen. Es kann nicht alles von den
Migranten kommen, aber auch nicht von der deutschen Zivilgesellschaft oder
dem Staat. Ich glaube, man sollte die Erwartungen erst mal niedriger hängen
und einsehen, dass die Integration von Hunderttausenden Menschen nicht
reibungslos verlaufen kann und wird.
Was sind typische Erwartungen an Geflüchtete?
Zum Beispiel, dass wir es mit armen und hilflosen Menschen zu tun haben,
die auf uns angewiesen sind. Aber was passiert, wenn es anders ist? Da
hilft es, durchzuatmen und sich von Klischees zu verabschieden. Wenn man
helfen will, sollte man nicht nur denen helfen, die der eigenen Vorstellung
entsprechen.
Wie entstehen solche Erwartungen?
Erwartungen entstehen, wenn man Menschen in eine Schublade packt und denkt,
sie müssten sich entsprechend verhalten. Wenn unsere Erwartungshaltung ist,
dass Flüchtlinge dankbar und demütig sein sollen, kann es schnell zu
Missverständnissen kommen. Wenn man Flüchtlinge zum Beispiel als Nachbarn
hat, sollte man ihnen begegnen wie jedem anderen Nachbarn auch. Am Ende hat
das alles gar nicht so viel mit den großen Fragen der Migration zu tun,
sondern mit individuellen Einstellungen.
Mit den meisten anderen Nachbarn teilt man aber die Sprache.
Sprache kann natürlich ein Hindernis sein. Es gibt aber auch Menschen, die
sich schnell mit fünf Worten und Händen und Füßen verständlich machen
können.
Wie lange dauert es, bis Flüchtlinge in Deutschland wirklich ankommen?
Integration passiert über mehrere Generationen. Die erste Generation, die
Erwachsenen, können sich nur bedingt hier einfinden. Wie gut sie das
schaffen, hängt dabei vor allem von ihrem Status ab: Migranten müssen eine
Chance haben, Arbeit zu finden, vor allem brauchen sie eine
Bleibeperspektive. Man sollte nicht den Fehler machen, diese Menschen auf
Dauer mit einem prekären Status zu versehen.
Weil es dann zu einer Konkurrenzsituation zwischen sozial schwachen Bürgern
und Flüchtlingen kommt?
Für diese Konkurrenzsituation wurden über Jahrzehnte hinweg die Weichen
gestellt. Und jetzt heißt es wieder, wir müssen Wohnraum schaffen. Das hat
man in den letzten Jahren aber vernachlässigt. Ich fände es richtig, jetzt
zu sagen: Wir belassen es nicht dabei, diese Krise, die als kurzfristiges
dramatisches Ereignis gesehen wird, lösen zu wollen. Sondern wir denken und
handeln nachhaltig, investieren in den sozialen Wohnungsbau. Dafür muss es
erst den politischen Willen geben, eine aktivere Sozialpolitik zu
betreiben. Da bin ich allerdings skeptisch.
Den Leuten wird immer noch suggeriert: Das mit den Flüchtlingen geht
wieder vorbei.
Und darin liegt auch das Problem. Migration darf nicht mehr als ein
punktuelles Ereignis verstanden werden, sondern als längerfristige
Bewegung. Darauf müssen sich sowohl die Politik als auch die Bürger
einstellen.
16 Jul 2016
## AUTOREN
Martina Kollross
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Migration
Integration
Integration
Bayerischer Landtag
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Flucht
Hass
Subsidiärer Schutz
EU-Türkei-Deal
St. Pauli
## ARTIKEL ZUM THEMA
Integrationspolitik in Bayern: Zu fleißig für die CSU
Laut Integrationsgesetz soll Babacar Cisse Arbeit finden. Cisses Chef
möchte ihn ausbilden. Doch die Asylbehörde will lieber warten.
Integrationsgesetz in Bayern: Die wollen nur reden
Bayerns Opposition wehrt sich mit einem Filibuster gegen das umstrittene
Integrationsgesetz. Heute entscheidet der Landtag trotzdem.
Ökonom über demografische Entwicklung: „Deutschland muss sich neu erfinden�…
Die Flüchtlinge werden unsere Gesellschaft kaum verändern, meint Thomas
Straubhaar. Eine schrumpfende Gesellschaft sei auch eine Chance.
Bürokratieabbau für Flüchtlinge: Der Sisyphos aus Kirchentellinsfurt
Einen Antrag auf Kindergeld stellen, obwohl er aussichtslos ist? Wolfgang
Werner hat dem Papierkrieg von Flüchtlingen den Kampf angesagt.
Kommentar Hass-Postings im Netz: Ein spätes Erschrecken
Allein mit juristischen Mitteln ist der Hetze im Netz oft nicht
beizukommen. Es gilt, zivilisatorische Standards zu verteidigen.
Nach der Asylrechtsverschärfung: Syrer sind oft keine Flüchtlinge mehr
46 Prozent aller Syrer in Deutschland erhalten nur noch subsidiären Schutz
und können ihre Familie nicht nachholen. Laut Pro Asyl hat sich die SPD
verschätzt.
Flüchtlinge in Griechenland: Frau Gazis blieb
Mit dem EU-Türkei-Deal sanken die Flüchtlingszahlen. Als tausende Helfer
abreisen, gründet eine junge Griechin ihre eigene NGO.
Die Zukunft St. Paulis: Nachbarn wollen mitgestalten
Anwohner entwickeln ein Konzept für das letzte große Gebäude, das der Stadt
gehört: In der Gewerbeschule Werft und Hafen sollen Flüchtlinge und
Benachteiligte wohnen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.