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# taz.de -- Ugandischer Politiker über Flüchtlinge: „Unsere Grenzen bleiben…
> In Uganda werde niemand abgewiesen, sagt Musa Ecweru, Minister für
> Flüchtlingsangelegenheiten. Denn man habe aus der Geschichte gelernt.
Bild: Es sind mittlerweile rund 1,2 Millionen Flüchtlinge in Uganda – so vie…
taz: Herr Ecweru, in Uganda [1][stehen die größten Flüchtlingslager der
Welt]. Warum?
Musa Ecweru: Wir haben eine der liberalsten Flüchtlingspolitiken der Welt.
Wir betrachten Flüchtlinge als Menschen, nicht als Menschen zweiter Klasse.
Wir Ugander haben sehr viel Empathie für Menschen in Not. Dreiviertel der
Mitglieder unserer derzeitigen Regierung haben selbst Erfahrungen im Exil
gemacht. Wir kamen nach dem Krieg vor 30 Jahren alle nach Hause und haben
unsere Erfahrungen geteilt.
Was folgte daraus?
Bei uns hat sich das Gefühl entwickelt, dass wir Menschen, die heute auf
der Flucht sind, gut behandeln wollen. Sie sind unsere Brüder. Als wir vor
30 Jahren unsere erste Regierung aufgebaut haben, schlitterte die Region in
eine wirklich turbulente Zeit. Staaten wie Ruanda, Kongo oder Somalia und
Sudan kollabierten. Uganda war urplötzlich eine Insel des Friedens. Das ist
bis heute so.
Wer sind die Menschen, die in Uganda Schutz suchen?
Es sind mittlerweile rund 1,2 Millionen – so viele waren es noch nie. Die
ersten Flüchtlinge, die wir aufnahmen, waren polnische Juden, die während
des Zweiten Weltkrieges aus Europa flohen. Derzeit sind die größte
Flüchtlingsgruppen Südsudanesen und Kongolesen. Doch wir beherbergen auch
Burundier, Somalier, Eritreer, Menschen aus dem Jemen und verfolgte
Minderheiten aus Pakistan, sogar aus Liberia, also Westafrika. Vor wenigen
Jahren stürmte eine ganze Fußballmannschaft aus Eritrea mein Büro, nachdem
sie gegen Uganda gespielt hatten – ich habe ihnen sofort Asyl gewährt. Ich
bin gerade im Nordosten des Landes gewesen, dort sind aufgrund der Dürre
kenianische Hirten mit über 70.000 Rindern einmarschiert, weil sie keine
Wasserstellen mehr finden. Diese Kühe kommen ohne Visum, wir haben auch
ihnen Asyl gewährt (lacht).
Ist es nicht schwierig, diesen Ansturm zu bewältigen?
Trotz all unserer Willkommenskultur, stehen wir vor großen
Herausforderungen. Wir haben an der Grenze zu Südsudan einfach nicht mehr
genug Platz. Da wir keine Lager bauen, sondern Siedlungen, wo jede Familie
auch einen Acker bekommt, um Lebensmittel anzubauen, ist der Bedarf an Land
enorm.
Wie steht es um die Sicherheit?
Das ist ein weiteres Problem, wir müssen sicherstellen, dass die
Flüchtlinge keine Waffen und Munition mitbringen. Und weil die
Gesundheitsversorgung in den Heimatländern zusammengebrochen ist, sind
Kinder nicht geimpft oder haben Folgen von Mangelernährung. Im Kongo ist
Ebola ausgebrochen, zwar weit von unserer Grenze, aber bei Fluchtbewegungen
weiß man nie. Wir dürfen uns hier keine Schlupflöcher erlauben, sonst wird
es gefährlich.
Wie klappt es mit der Versorgung der Flüchtlinge?
Negative Folgen hat der enorme Energiebedarf der Flüchtlingslager. Die
Frauen kochen mit Holzkohle. Ein einziges Lager kann in wenigen Tagen einen
ganzen Wald verheizen. Für unsere Sozialdienste und die dort lebenden
Ugander ist der Druck jetzt enorm: Die Klassenzimmer sind überfüllt, die
Gesundheitszentren ebenfalls. Das hat Nachteile für die lokale Bevölkerung.
Wir müssen aufpassen, dass dort nicht bald mehr Flüchtlinge als
Einheimische wohnen.
Haben Sie in Betracht gezogen, die Grenze zu schließen?
Niemals, unsere Grenzen bleiben offen! Dass Europa jetzt seine Grenzen
dichtmacht, halten wir für falsch, sehr falsch! Flüchtlinge sind Opfer
eines gescheiterten internationalen Systems der Friedenssicherung. Die
internationale Gemeinschaft sollte dafür sorgen, dass solche Konflikte wie
im Südsudan gar nicht erst ausbrechen, oder dass solche Regime wie in
Eritrea erst gar nicht entstehen. Die Grenzen zu schließen, würde bedeuten,
den Opfern auch noch ins Gesicht zu schlagen. Das ist moralisch einfach
grundsätzlich falsch.
Sagen Sie das auch Politikern in Europa so deutlich?
Ich war vor wenigen Wochen in Dänemark und habe das dort den Abgeordneten
genauso gesagt, denn die EU und die USA haben als Großmächte eine wichtige
friedenssichernde Rolle in der Welt. Sie sind also mit verantwortlich. Die
Dänen saßen alle stocksteif da. Sie waren schockiert, dass ein Afrikaner
ihnen so etwas ins Gesicht sagt.
In Europa sagen manche, dass die vielen Flüchtlinge Unsicherheit bringen …
Ich habe in Dänemark auch klipp und klar gesagt: Der Begriff „Flüchtling“
ist kein Synonym für Kriminelle oder Terroristen. Klar, gibt es immer ein,
zwei, drei Fälle, in welchen sich Kriminelle zwischen Hunderttausenden
Flüchtlingen verstecken. Aber das ist noch lange kein Grund für
Fremdenhass, so wie er jetzt in Europa aufkeimt.
Haben Sie keine Angst vor Terror?
Wir hatten in Uganda 2010 auch Terroranschläge und verdächtigten somalische
Attentäter. Doch ich bin jeden Tag vor die Kameras getreten und habe an die
Ugander als auch an die Somalier appelliert und erklärt: Wir werden die
Täter fassen, egal welcher Nationalität sie angehören, es sind Einzeltäter
und wir werden keine Gruppen von Menschen unter Verdacht nehmen. Kein Land
sollte fremdenfeindliche Tendenzen erlauben, um Terrorismus zu bekämpfen.
Wir Afrikaner erwarten das von Europa, denn Europa ist die Wiege der
Menschenrechte.
Andere Länder, die unter Anschlägen leiden, werden jetzt hochgerüstet an
Flughäfen und Grenzen. Kenia will sogar eine Mauer nach Somalia bauen.
Spielt Uganda auch mit diesen Gedanken?
Nein, wir würden das niemals akzeptieren, denn selbst die beste
Sicherheitstechnologie und Überwachungskameras an jeder Ecke wird die Täter
nicht aufhalten. Das haben wir bereits beim 9/11-Anschlag in New York
gesehen. Wir müssen die Ursachen der Radikalisierung dieser Täter angehen.
Eine Mauer – das würde uns nie in den Sinn kommen, denn wir sind
Panafrikanisten. Wir sind überzeugt: Grenzen haben keine Zukunft. Es ist
schockierend, dass auch die Deutschen jetzt wieder Mauern bauen in Afrika.
Hat die deutsche Geschichte mit der Berliner Mauer euch keinen Denkzettel
verpasst? Es scheint, als hätte all der Komfort und die Sicherheit in
Europa eure Erinnerungen ausgelöscht, wie es war, als eure Großeltern noch
Flüchtlinge waren.
Was sollte stattdessen getan werden?
Wir müssen alles investieren, die Ursachen der Konflikte zu lösen. Dazu
brauchen wir Hilfe von der internationalen Gemeinschaft, die Krise in
Südsudan beizulegen, den Kongo zu stabilisieren, damit dort nicht erneut
Krieg ausbricht, und dass Burundi nicht noch explodiert. In all diesen
Ländern stehen UN-Missionen mit Tausenden von Blauhelmen. Wie kann es sein,
dass diese Länder vor den Augen dieser Blauhelme einfach so in Gewalt
versinken? Da läuft doch etwas schief, oder?
Sie haben zum Flüchtlings-Solidaritätsgipfel nach Uganda eingeladen. Was
ist das Ziel?
Viele kommen mit hohen Delegationen aus der EU und den USA, von der UN und
anderen Organisationen. Wir werden sie in die Lager fliegen und die
Flüchtlinge sprechen lassen, sie sollen ihre Geschichten erzählen.
UN-Generalsekretär António Guterres wird anreisen, er ist ein Botschafter
Ugandas und unserer Politik für die ganze Welt. Wir wollen die Welt
ermutigen, Lösungen für die Konflikte unserer Nachbarländer zu suchen.
In Südsudan und Kongo gibt es enorm viele Binnenvertriebene. Die Zahl der
Flüchtlinge, die die Grenzen überqueren, wird wohl steigen. Wird Uganda an
den Punkt gelangen, wo Politiker sagen: Das Maß ist voll – so wie in
Europa?
Wir können und werden niemals sagen, es ist jetzt genug. Wir sprechen hier
nicht von einer Party, zu welcher man Gäste einlädt und wenn zu viele vor
der Tür stehen, dann entschuldigt man sich, dass man nicht alle empfangen
kann. Diese Menschen rennen um ihr Leben, und wenn wir ihnen die Tür nicht
aufmachen, sterben sie. Wir können nicht sagen: „Sorry, geh und stirb!“,
wie es derzeit im Mittelmeer mit den ertrinkenden Migranten passiert. Das
ist nicht akzeptabel. Als Unterzeichnerstaat der Genfer
Flüchtlingskonvention haben wir noch nie jemanden deportiert oder nicht
anerkannt. Für Menschen, die Schutz bedürfen, gibt es nur einen einzigen
Weg, Uganda wieder zu verlassen: nämlich freiwillig und in Würde.
Wieviel gibt Uganda für die Flüchtlinge aus?
Das versuchen wir gerade zu ermitteln, denn die Geberländer verlangen das
von uns. Doch das ist nicht einfach. Für die Schulen ist der Bildungsetat
zuständig, die Impfungen werden aus dem Gesundheitsetat bezahlt. Die
schweren Lastwagen, die Hilfsgüter zu den Lagern bringen, haben die Straßen
zerstört, sie werden mit Mitteln des Transportministeriums repariert, die
Polizisten vom Innenministerium bezahlt. Wir müssen jetzt sehr viel Land
mieten, um Lager zu unterhalten, das ist sehr teuer. Zum Gipfel werden wir
eine Zahl parat haben, wieviel ein Flüchtling uns pro Jahr kostet. Denn es
gibt gerade eine generelle Müdigkeit der Geber, vor allem aus Europa. Die
neuen Regierungen in Europa handeln nach dem Motto: „Europe First“, wie
jetzt auch die USA mit Trumps „America First“. Ich mache mir wirklich
Sorgen, dass wir bald von der Welt alleine gelassen werden. Das macht mir
Angst, ehrlich gesagt.
21 Jun 2017
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## AUTOREN
Simone Schlindwein
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