| # taz.de -- Flüchtlingspolitik und Finanzierung: Ugandas Politik des Willkomme… | |
| > Täglich fliehen über 1.000 Menschen nach Uganda. Das Land erhält wenig | |
| > finanzielle Unterstützung. Der Grund: seine geografische Lage. | |
| Bild: Bidibidi ist groß, die verschiedenen Siedlungen sind unterschiedlich gut… | |
| Bidibidi/Kampala taz | Das neue Leben in Bidibidi beginnt mit ein paar | |
| Latten und einer Plane. Unbarmherzig knallt die Nachmittagssonne auf die | |
| Dächer, viele von ihnen aus weißer Folie. Die sengende Hitze, das gleißende | |
| Licht hier im Norden Ugandas – wenigstens etwas, das Angelo Khamis an sein | |
| Zuhause erinnert. | |
| Zu Hause, das war die Stadt Yei im Südsudan, nur etwas über 100 Kilometer | |
| von hier, aber doch eine halbe Ewigkeit entfernt. Von der Hauptstraße der | |
| Flüchtlingssiedlung trottet der fast zwei Meter große junge Mann im | |
| Arsenal-Trikot jetzt langsam zu seinem neuen Haus: eine wenige Quadratmeter | |
| große Hütte, umspannt von Plastik auf dem das blaue Logo der | |
| UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR prangt. | |
| Obwohl Bidibidi erst im August 2016 mitten in der Savanne errichtet wurde, | |
| ist es bereits eine Siedlung für rund 270.000 Menschen und damit das größte | |
| Flüchtlingslager der Welt. Der Südsudan ist von hier nur 20 Kilometer | |
| entfernt. Täglich fliehen über tausend Menschen vor dem Krieg durch | |
| Gestrüpp und über Gestein nach Uganda. Manche tragen ein Bündel mit sich, | |
| Kleidung, Kochgeschirr. Manche haben nicht einmal das. Die meisten sind | |
| Kinder und Frauen, geflohen vor Kämpfen, ethnischen Massakern und sexueller | |
| Gewalt. | |
| Für den Internatsschüler Angelo Khamis nahm das Leben im Spätsommer 2016 | |
| eine jähe Wendung. Angelo war damals im Internat in Yei. Als die Kämpfe | |
| zwischen den Rebellen und der Regierungsarmee das Internat erreichten, fand | |
| sich Angelo mit elf Mitschülern im Waisenheim des Internats plötzlich | |
| allein wieder, erzählt er. Ohne Essen. „Alles geplündert.“ Weil er | |
| offiziell 19 Jahre alt war – wahrscheinlich aber jünger –, wurde er als | |
| Ältester zum Pflegevater seiner Mitschüler bestimmt. Für nicht weniger als | |
| drei Mädchen und acht Jungen zwischen 6 und 17 Jahren, die alle wie er zur | |
| Volksgruppe der Mundari gehören, ist Angelo seitdem Familienoberhaupt. Von | |
| dort machten sie sich auf den Weg nach Uganda. Seit September leben sie in | |
| Bidibidi. | |
| ## Vorbildlicher Umgang mit Flüchtlingen | |
| Mehr als 1,9 Millionen Südsudanesen sind vor dem Bürgerkrieg ins Ausland | |
| geflohen, etwa die Hälfte davon nach Uganda. Ihre Erlebnisse von Gewalt | |
| geprägt: Die Frau, die zusehen musste, wie bewaffnete Männer ihrer | |
| Schwester erst die Geschlechtsteile aufschlitzten und dann ermordeten. Die | |
| Mütter, die mit ihrem Baby auf dem Rücken kurz vor der Grenzüberquerung | |
| beschossen wurden. | |
| Um sich zu schützen, meiden die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Uganda | |
| mittlerweile die Straßen. Deswegen liegt der Grenzübergang in Oraba heute | |
| verlassen. Ein quer über die Straße gespanntes Seil trennt Uganda von | |
| Südsudan – es trennt die gut ausgebauter Straße von einer Huckelpiste aus | |
| roter Erde. „Stop! Check Point“ warnt ein Schild. Aber die beiden | |
| ugandischen Soldaten haben sich in den Schatten verzogen. Hier, wo im | |
| Herbst 2016 noch Hunderte darauf warteten, mit Bussen in Auffanglager | |
| gebracht zu werden, schlurft jetzt nur ein Kind in Flip-Flops nach Uganda | |
| herüber. | |
| Was den Umgang mit Geflüchteten angeht, ist Uganda, verglichen mit vielen | |
| anderen Staaten, vorbildlich. Flüchtlinge dürfen arbeiten, können sich frei | |
| bewegen und sie bekommen Land zugewiesen, um sich zu ernähren. Doch mit den | |
| vielen Flüchtenden aus dem Südsudan stößt diese Politik an ihre | |
| Machbarkeit. | |
| Bidibidi mit seinen 270.000 Bewohnern erstreckt sich, unterteilt in mehrere | |
| Einzelsiedlungen, über ein Gebiet von insgesamt 250 Quadratkilometern. Ein | |
| Fremder würde sich in diesem Labyrinth aus Hütten, aus Feuerstellen und | |
| staubigen Pfaden sofort verirren. Löchrige Kleidung trocknet auf | |
| Wäscheleinen. Der rötliche Staub setzt sich in Kleidung und Haaren fest. | |
| Frauen und Kinder warten auf Trinkwasser, gelbe Kanister stehen in endlosen | |
| Reihen. | |
| ## Latten, Planen, eine Lampe | |
| Im Auffang- und Transitlager Imvepi, wenige Kilometer von Bidibidi | |
| entfernt, werden zur gleichen Zeit 1.600 Neuankömmlinge aus Südsudan | |
| registriert. Sie werden medizinisch untersucht, bekommen Latten für eine | |
| Hütte, Planen, eine Solarlampe. Dann werden sie zu einem Stück Land | |
| gebracht, wo sie sich niederlassen dürfen. Weil die Kapazitäten in Bidibidi | |
| nicht mehr ausreichen werden sie nun oft in andere Siedlungen gebracht. Mit | |
| aufgerollten Decken und Matratzen warten Grüppchen vor den Lkws. | |
| Im Zelt für die Registrierung riecht es nach ermüdeten Körpern. Ein Junge | |
| sitzt allein auf einer Bank. Er heißt Isaac Bida, 17 Jahre alt. Seit drei | |
| Tagen ist er hier, sagt er. Schweiß läuft ihm an der Schläfe unter der | |
| Brille herunter. Sein schwarzes Poloshirt hat er bis zum Hals zugeknöpft. | |
| „Ich bete zu Gott, dass du wiederkommst“, habe ihm der Vater, der im | |
| Südsudan blieb, gesagt, als Isaac aus seinem Heimatdorf Marakonye aufbrach. | |
| Isaac reiste der Mutter nach, die irgendwo in Bidibidi leben soll. | |
| Uganda zählt rund 40 Millionen Einwohner, durch den Bevölkerungszuwachs | |
| werden es jedes Jahr über eine Million mehr. Viele Menschen leben in | |
| absoluter Armut. Bei der Versorgung der Flüchtlinge ist das Land auf | |
| internationale Organisationen angewiesen. Der UNHCR spricht von der | |
| höchsten Flüchtlingsanzahl „seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“ und lobt | |
| Uganda für sein Engagement. Doch Europa macht sich rar. Seitdem die EU | |
| selbst ein größeres Flüchtlingsaufkommen hat, fehlt in Uganda Geld. | |
| Das Land steht mit den Flüchtlingen fast alleine da. Während | |
| Herkunftsländer wie Sudan, Nigeria oder Eritrea Hilfen bis zu 200 Millionen | |
| Euro in Aussicht gestellt bekommen, sagte die EU 2016 Uganda gerade einmal | |
| rund 20 Millionen zu. Für 2017 hat sie knapp 45 Millionen Euro in Aussicht | |
| gestellt. Weitere 20 Millionen Euro erhält Ugandas Norden aus dem | |
| EU-Nothilfefonds Afrika – verteilt auf vier Jahre. Nach Angaben des UNHCR | |
| benötigt Uganda 2017 allerdings rund 510 Millionen Euro. | |
| Fragt man EU-Akteure nach den Gründen dafür, dass Uganda so viel weniger | |
| erhält, wird hinter vorgehaltener Hand die geographische Lage Ugandas | |
| erwähnt. Die EU-Migrationspolitik konzentriere sich auf die direkten | |
| Nachbarn der EU im Norden Afrikas. Uganda am Äquator sei einfach zu weit | |
| weg. | |
| ## Ein Beispiel für Europa | |
| Weit weg – zumindest von Bidibidi – in Ugandas Hauptstadt treffen sich | |
| Delegierte aus Afrika, der EU und der UNO im noblen Ressort am Ufer des | |
| Victoriasees zum dritten „Panafrikanische Migrationsforum“. Begrüßt werden | |
| sie von Präsident Yoweri Museveni. Ugandas Flüchtlingspolitik stärkt den | |
| Präsidenten, der seit über 30 Jahren an der Macht ist. | |
| Ziel des Forums sei eine gemeinsame afrikanische Position zur Migration, | |
| sagt Museveni bei der Eröffnung. Die EU will die Migration aus Afrika | |
| abwehren und setzt auf die Schließung der afrikanischen Grenzen. Museveni | |
| dagegen ist für sichere EInwanderungswege in die EU. „Unsere Leute sollten | |
| nicht auf gefährlichen Reisen über das Mittelmeer sterben, in der Hoffnung | |
| auf ein besseres Leben.“ Die meisten Migranten und Flüchtlinge seien jung | |
| und arbeitsfähig, betont er. Diese Arbeitskräfte ließen sich doch gut | |
| nutzen, auch in der EU. Wie das funktioniere, zeige Uganda. | |
| Aber funktioniert es auch? Der Bezirk Yumbe, in dem Bidibidi liegt, zählt | |
| zu den ärmsten Ugandas. Geld für Schulen, Straßen, Verwaltung kommt selten | |
| an. Die Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet, das Brennholz geht aus, | |
| sauberes Wasser ist knapp. Hinzu kommt die Dürre. Kaum ein Grashalm wächst | |
| mehr, die Rinder, Ziegen und Hühner sind abgemagert. Nicht nur die | |
| Südsudanesen, auch die Ugander sind mangelernährt. | |
| Und so sehr auch die Bauern den Regen ersehnen – viele Flüchtlinge würden | |
| dann abermals ihr Dach über dem Kopf verlieren. Die Planen würden dem Regen | |
| nicht lange standhalten. Die Neuankömmlinge hatten bisher weder Zeit noch | |
| Material, um feste Unterkünfte zu bauen. Angelo Khamis, der junge | |
| Pflegevater in Bidibidi, hat jedoch schon begonnen. Neben seinem | |
| Schlaflager stehen vier Ziegelwände, die mal ein Häuschen ergeben sollen. | |
| Er will bleiben. Wo soll er auch hin? Wo seine Eltern sind, weiß er nicht. | |
| Und hier fühlt er sich sicher. „Man hört keine Schüsse.“ | |
| 20 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Oer | |
| Simone Schlindwein | |
| ## TAGS | |
| Migration | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Uganda | |
| Vereinte Nationen | |
| EU-Flüchtlingspolitik | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Südsudan | |
| Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
| Uganda | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Flüchtlinge aus dem Südsudan: Uganda braucht dringend Hilfe | |
| Das afrikanische Land hat mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen, | |
| doch deren Lage ist prekär. Das UN-Hilfswerk fordert jetzt konkrete | |
| Maßnahmen. | |
| Die G20 und Afrika: Ganz allein | |
| Zu den großen Themen des Hamburger Gipfels zählt Afrika. Doch vom gesamten | |
| Kontinent ist nur ein Land in Hamburg vertreten: Südafrika. | |
| Flüchtlinge in Uganda: Viel Applaus, wenig Geld | |
| Uganda ist vorbildlich, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Doch | |
| es fehlt an Geld. Nun wurde gesammelt. | |
| Ugandischer Politiker über Flüchtlinge: „Unsere Grenzen bleiben offen!“ | |
| In Uganda werde niemand abgewiesen, sagt Musa Ecweru, Minister für | |
| Flüchtlingsangelegenheiten. Denn man habe aus der Geschichte gelernt. | |
| Kommentar Flüchtlingspolitik: Europa muss von Uganda lernen | |
| Nie mussten mehr Menschen fliehen als heute. Das macht vor allem Europa | |
| nervös. Ein Blick auf den Süden der Welt würde, wie so oft, helfen. | |
| Europäische Entwicklungspolitik: Ein Start-up namens Afrika | |
| Diplomaten und Politiker preisen Investoren ihre Länder wie Firmen an und | |
| locken mit Steuerdumping. Das passt ganz in den Zeitgeist der EU. |