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# taz.de -- Politikberater über Flüchtlingspolitik: „Es gibt kein faires An…
> Gerald Knaus dachte sich den EU-Deal mit der Türkei aus. Die Idee, ein
> ähnliches Abkommen mit afrikanischen Transitstaaten zu schließen, lehnt
> er ab.
Bild: Ein Rettungsschiff im Hafen von Neapel
taz: Herr Knaus, Sie gelten als der geistige Vater des EU-Türkei-Abkommens.
Das wollen EU-Politiker nun auf afrikanische Staaten übertragen. Was ist
davon zu halten?
Gerald Knaus: Die Politiker, die das sogenannte Türkei-Statement auf andere
Länder übertragen wollen, haben oft nicht verstanden, was dessen Kern ist.
Die EU denkt vor allem an die Transitstaaten in Nordafrika. Das Abkommen
mit der Türkei hat aber nur funktioniert, weil auch die Türkei ein riesiges
Interesse an dieser Einigung hatte. Dieses Interesse hat aber kein Land in
Nordafrika. Sagen wir: Ein Nigerianer wird vor Libyen gerettet, nach
Italien gebracht und sein Antrag auf Asyl abgelehnt. Dass man nach Libyen
niemand zurückschicken kann, das versteht sich von selbst. Im Mai wurden
jeden Tag 750 Menschen gerettet. Warum soll Tunesien Nigerianer, die vor
Libyen gerettet werden, annehmen? Unser Vorschlag für das zentrale
Mittelmeer lautet: kein Abkommen mit Libyen, Ägypten, dem Niger oder
Tunesien – sondern mit den Herkunftsländern.
Die Türkei hat mehrere Milliarden Euro für das Abkommen bekommen. Warum
soll sich das Interesse so nicht auch bei, sagen wir, Ägypten, schaffen
lassen?
Es geht nicht nur ums Geld. Der Kern des Abkommens war, dass die Türkei nur
die Flüchtlinge zurücknehmen muss, die ab einem bestimmten Stichtag
ankommen – dem 18. März. Die Annahme war, dass dann der Zustrom nachlässt.
So ist es gekommen. Der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoğlu, mit
dem verhandelt wurde, hätte niemals zugestimmt, wenn er, sagen wir, ein
Jahr lang 10.000 Leute im Monat hätte zurücknehmen müssen. Die Türkei
bekommt als Gegenleistung zweimal 3 Milliarden Euro. Das ist bei einem der
größten sozialen Probleme, der Hilfe für 3 Millionen Syrer im Land, ein
wichtiger Beitrag. Aber nur die Stichtagsregelung in Verbindung mit
Finanzhilfen konnte die Türkei zur Zustimmung bewegen.
Die Visafrage spielte also keine Rolle?
Doch, aber auch ohne Visaliberalisierung ist das Ergebnis des Abkommens gut
für die Türkei. Als die EU im letzten Oktober das vereinbarte Datum für
Visafreiheit verstreichen ließ, geschah nichts. Für viele türkische Bürger
spielt Visafreiheit eine große Rolle. Ob sie Erdoğan ebenso wichtig ist, da
bin ich allerdings nicht sicher. Er kann die sogenannten grünen Pässe
vergeben, mit denen Reiseprivilegien verbunden sind. Über zwei Millionen
davon gibt es, und Erdoğan kontrolliert so, wer leicht in die EU kommt. Die
Schuld dafür geben die allermeisten Türken der EU. Sie sehen, dass Albaner,
Ukrainer, Georgier und Moldauer visafrei reisen dürfen. Das dürfte Erdoğan
gelegen kommen.
Die Verhandlungen mit der Türkei dauerten sechs Monate. Mit den
afrikanischen Staaten ziehen sie sich seit 17 Monaten hin – ohne
Fortschritt. Warum?
Es gibt da ein hochmütiges Denken: Wir ziehen die über den Tisch, die
machen das dann schon. Es gibt kein faires Angebot. Das führt dazu, dass es
überhaupt keine Bewegung gibt. 39.000 Menschen etwa kamen 2016 aus Nigeria
in Italien an, ganze 165 wurden aus Italien zurückgenommen. Schengen gerät
unter Druck, Dublin funktioniert nicht, es ertrinken und kommen immer mehr
Menschen, und die EU versucht es mit schmutzigen Abkommen mit
Transitländern.
Was wäre die Alternative?
Es ist ein leeres Versprechen vieler Innenminister, dass man große Zahlen
von Menschen zurückschicken kann. Das gelingt keinem Land in Europa. Es
sollte bei Verhandlungen, neben Extremisten und Verbrechern, strategisch um
die gehen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt ankommen – und nicht um alle,
die schon hier sind. Man müsste Nigeria einen Stichtag anbieten. Und nicht
ein ohnehin utopisches Versprechen verlangen, jeden Nigerianer ohne
Aufenthaltsrecht in Europa zurückzunehmen – also auch alle, die heute Geld
in ihre Heimat schicken. Da macht keiner mit.
Ein Stichtag ist noch keine Gegenleistung.
Das wichtigste ist: Wir brauchen sichere und legale Wege für Migration. Und
das in nennenswertem Umfang. Bei den Verhandlungen zu den
Migrationspartnerschaften ab 2015 wurde das angesprochen, aber in den
Fortschrittsberichten steht heute kein Wort mehr von sicheren Wegen.
Legale Wege anbieten können aber ohnehin nur die Mitgliedsstaaten.
Ja. Genau genommen kann die EU nicht mal Geld anbieten: Die Milliarden, die
auf dem Tisch liegen, stammen durchgängig aus Entwicklungshilfetöpfen, die
ohnehin für Afrika vorgesehen sind. Das durchschauen die Länder natürlich.
Und überhaupt: Nigeria ist ein Ölstaat, vergleichsweise wohlhabend. Selbst
eine Verdopplung der Entwicklungshilfe fällt kaum ins Gewicht. Was Nigeria
interessiert, sind sichere und legale Wege der Migration.
Was würde das bedeuten?
Für ein großes Land wie Nigeria könnten das Tausende Studierenden- und
vielleicht 10.000 Arbeitsvisa sein, jedes Jahr, für 10 Jahre. Dann hätte
Nigeria ein eigenes Interesse an einer Zusammenarbeit. Gleichzeitig könnte
man Geld auf den Tisch legen, um im Fall Nigerias etwa die von Boko Haram
Vertriebenen im Norden des Landes zu versorgen.
Im Fall der Türkei fiel das Abkommen mit Europa mit einer Abriegelung der
Grenzen zusammen. Was ist mit den Flüchtlingen?
Zum einen müsste es mehr Resettlement, also Aufnahmeplätze durch den UNHCR
nach Europa geben. Zum anderen ist selbstverständlich, dass jeder, der in
die EU kommt, einen Asylantrag stellen darf, der geprüft wird. Und zwar
hier und nicht in irgendwelchen unsicheren Transitzonen.
28 Jun 2017
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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Flüchtlinge
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