| # taz.de -- Rettungsboote im Mittelmeer: Flüchtlinge von Italien ausgebootet | |
| > Italien droht, Häfen für Rettungsschiffe zu sperren. Denn die Kommunen | |
| > sind zunehmend unwillig, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. | |
| Bild: Die Küste in Sichtweite: Den Booten von Hilfsorganisationen könnte die … | |
| Rom taz | In Spanien oder Frankreich statt in Italien sollen die vor Libyen | |
| geretteten Flüchtlinge in Zukunft von Bord gehen – zumindest [1][wenn es | |
| nach der Regierung in Rom geht]. Sie kündigte an, in Zukunft die Häfen des | |
| Landes für NGO-Schiffe unter fremder Flagge zu sperren, da die Situation im | |
| Land angesichts des hohen Aufkommens von Flüchtlingen und Migranten | |
| „untragbar“ sei. | |
| Allein zwischen Montag und Mittwoch seien mehr als 12.000 Menschen in den | |
| Häfen Süditaliens und Siziliens eingetroffen, rechnet das Innenministerium | |
| vor, bis Ende Juni habe Italien schon knapp 80.000 Menschen, die von Libyen | |
| aus in See gestochen waren, aufgenommen. | |
| „Italien könnte sich gezwungen sehen, aus Gründen der nationalen Sicherheit | |
| die Häfen für NGO-Schiffe zu blockieren“, erklärte der Botschafter des | |
| Landes bei der EU, Maurizio Massari, in einem Gespräch mit dem zuständigen | |
| EU-Kommissar Dimitri Avramopoulos. | |
| Und Ministerpräsident Paolo Gentiloni legte mit Kritik an anderen Staaten | |
| der Europäischen Union nach: „Einige Länder müssen damit aufhören, bei | |
| diesem Problem wegzuschauen.“ Eine Position, die sich in zwei Worten | |
| zusammenfassen lässt. „Alleingelassen“ fühlt sich das Land, und deshalb | |
| stehe es nunmehr vor einer „untragbaren“ Situation. | |
| ## 73.000 Ankünfte | |
| In der Tat steuert Italien auf ein neues Rekordjahr bei den Ankünften von | |
| Flüchtlingen und Migranten zu. 2016 waren 180.000 Menschen auf dem Seeweg | |
| von Libyen aus eingetroffen, der höchste je erreichte Wert. Dieses Jahr | |
| könnte er noch übertroffen werden. Bis zum 27. Juni zählte das | |
| Innenministerium 73.000 Ankünfte – 14 Prozent mehr als im Vorjahr. In den | |
| letzten Tagen sind noch mal einige Tausend hinzugekommen. Neben Nigeria | |
| sind mittlerweile Bangladesch, Guinea, die Elfenbeinküste, Gambia und | |
| Senegal die Hauptherkunftsländer. | |
| Realistische Schätzungen laufen darauf hinaus, dass bis Jahresende bis zu | |
| 250.000 gezählt werden könnten – Flüchtlinge, die unterzubringen, zu | |
| verpflegen, zu betreuen wären. Ebendies ist der große Unterschied zur Lage | |
| noch vor zwei oder drei Jahren. Auch 2014 trafen 170.000 Personen ein – | |
| doch nur 53.000 von ihnen stellten in Italien selbst den Antrag auf Asyl | |
| oder humanitären Schutz. Der große Rest zog, einigermaßen unbehelligt von | |
| den Behörden, Richtung Norden weiter – nach Deutschland, Schweden, | |
| Österreich oder in die Niederlande. | |
| Das entsprach zwar nicht den „Dublin-Regeln“, die die Erfassung und das | |
| Asylverfahren im europäischen Erstankunftsland vorsehen, doch Italien | |
| praktizierte seinerzeit unter der Hand die De-facto-Europäisierung seiner | |
| Flüchtlingspolitik. | |
| ## Aufruf an die Pfarrgemeinden | |
| Damit war es im Sommer 2015 vorbei, als Angela Merkel die Grenzen öffnete, | |
| mit dem Effekt, dass sie sich am Ende für viele schlossen – auch für die | |
| über die Italien-Route Kommenden. Die EU diskutierte seinerzeit ihre | |
| Flüchtlingspolitik neu. Griechenland und Italien wurde angeboten, dass | |
| ihnen an die 100.000 Flüchtlinge von anderen EU-Staaten abgenommen würden. | |
| Im Gegenzug mussten sich die beiden Länder zur lückenlosen Erfassung der | |
| bei ihnen Eintreffenden in den neu geschaffenen „Hotspots“, sprich in | |
| geschlossenen Erstaufnahmelagern, verpflichten. Tatsächlich nahmen andere | |
| Staaten Italien bisher aber nur gut 7.000 Flüchtlinge ab. | |
| Zugleich ging die Zahl derer, die auf eigene Hand nach Norden weiterzogen, | |
| drastisch zurück, auch weil seit 2015 die Grenzkontrollen in Europa | |
| deutlich verstärkt wurden. Zu spüren bekommen das etwa die Flüchtlinge, die | |
| vom norditalienischen Städtchen Ventimiglia rüber wollen ins französische | |
| Menton. Vor einigen Tagen erst probierten es an die 100; die meisten von | |
| ihnen wurden von französischen Polizisten zurück über die Grenze geschafft. | |
| Damit bleibt Italien anders als früher auf „seinen“ Flüchtlingen sitzen. | |
| Die Kommunen sind zunehmend unwillig, weitere Kontingente aufzunehmen. | |
| Schon bisher beteiligen sich nur 2.800 der etwa 8.000 Gemeinden an der | |
| Flüchtlingsunterbringung. Auch der Aufruf des Papstes an die Pfarrgemeinden | |
| des Landes, jeweils einige Menschen aufzunehmen, verhallte weitgehend | |
| ungehört. | |
| Nicht nur Italiens Rechte, sondern auch die von Beppe Grillo gegründete | |
| Fünf-Sterne-Bewegung macht deshalb kommunal wie national Front gegen die | |
| weitere Aufnahme. Wie sehr sich der Wind im Land gedreht hat, bekamen die | |
| NGOs bei den Anhörungen im Verteidigungsausschuss des Senats zu spüren. Ob | |
| Moas, Sea-Watch, Jugend rettet, Ärzte ohne Grenzen, SOS Méditerranée: Sie | |
| alle saßen auf der Anklagebank. | |
| ## NGOs wird die Arbeit erschwert | |
| Zwar blieb am Ende nichts übrig von den Vorwürfen, sie unterhielten direkte | |
| Kontakte zu libyschen Schleppern, zwar haben auch Ermittlungen diverser | |
| italienischer Staatsanwaltschaften gegen die Retter nichts | |
| Gerichtsverwertbares zutage gefördert – doch wochenlang hatten die | |
| Anschuldigungen in der Presse gestanden. | |
| Die jetzt von der Regierung in den Raum gestellte Sperrung der | |
| italienischen Häfen hätte wiederum ebendiesen Effekt: den NGOs ihre Arbeit | |
| zu erschweren. Denn kaum eines ihrer Schiffe läuft unter italienischer | |
| Flagge. Und jede einzelne Rettungsfahrt würde in Zukunft, wenn ihr Ziel | |
| denn Marseille oder Barcelona wäre, locker mehr als eine Woche dauern. | |
| 29 Jun 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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