# taz.de -- Missstand in der Pflege: So sieht Fachkräftemangel aus | |
> In mehreren Altenheimen gibt es derzeit Belegungsstopps. Weil Personal | |
> fehlt, kommt es in Pflegeeinrichtungen zu Missständen. | |
Bild: Viel zu wenig Leute wollen sich professionell um demente Menschen wie die… | |
BREMEN taz | In der Pflege nimmt der Fachkräftemangel in Bremen konkrete | |
Formen an. Die Wohn- und Betreuungsaufsicht hat in gleich mehreren | |
Pflegeheimen Belegungsstopps erzwungen. Die drängendsten Probleme: | |
unzureichende Ausstattung mit Fachkräften. Die Heimaufsicht stellte Mängel | |
infolge von zu wenig Personal fest. | |
Die Heimaufsicht bestätigt taz-Informationen, nach denen es derzeit | |
Belegungsstopps in gleich drei Einrichtungen gibt. Die Qualität leidet | |
unter Personalmangel. Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde, sagt: | |
„Es gibt derzeit sieben Einrichtungen, wo durch Personalmangel die Qualität | |
spürbar beeinträchtigt ist. Dabei muss nicht die Qualität der Pflege | |
schlecht sein, teils sind nur Abläufe und Dokumentationen nicht | |
zufriedenstellend.“ Die Heimaufsicht sei in allen Einrichtungen, berate | |
oder erteile Auflagen zum Abstellen der Mängel. | |
Zwei der Einrichtungen mit Problemen sind etwa das Pflegezentrum | |
Marcusallee am Rhododendronpark und das Haus O’Land der Convivo-Gruppe in | |
Oberviehland. | |
In der Marcusalle gab es laut Heimaufsicht über einen mehrmonatigen | |
Zeitraum keine Leitung, ein deswegen ausgesprochener Belegungsstopp ist | |
inzwischen wieder aufgehoben. Angehörige berichteten über teilweise | |
unhaltbare Zustände in der Pflegeeinrichtung. Inzwischen besitzt die | |
Einrichtung wieder eine kommissarische Leitung. Bernd Schneider, Sprecher | |
der Sozialbehörde, sagt: „Aber das heißt nicht, dass alle Mängel behoben | |
sind. Die Wohn- und Betreuungsaufsicht begleite die Aufarbeitung weiterhin | |
eng.“ | |
Noch aktuell ist der Belegungsstopp im Demenzzentrum Haus O’Land in | |
Obervieland. Bei einer unangekündigten Prüfung der Heimaufsicht stellte | |
diese fest, dass die Fachkraftquote nicht ausreichend war: Es fehlten | |
zweieinhalb Stellen. Die Einrichtung legte sich infolgedessen selbst einen | |
Belegungsstopp auf. Schneider sagt: „Wenn sie ihn nicht selber auferlegt | |
hätten, hätten wir ihn verhängt. Aber wenn es um Personalunterhänge geht, | |
gibt es ein objektives Problem: Der Markt ist leer.“ Er sagt: „Der Träger | |
ist kooperativ und hat Interesse, die Mängel in den Griff zu kriegen.“ | |
Vor Ort bestätigt sich dieser Eindruck. Beim Haus O’Land handelt sich um | |
ein Pflegeheim, das nur demente BewohnerInnen hat. Es hat 82 Betten, davon | |
sind derzeit wegen der unzureichenden Fachkräftequote nur 64 belegt. | |
Stephanie Thiele, die Heimleitung, sagt: „Die Fachkräfte sind einfach nicht | |
da. Es wird immer gesagt, dass wir die Quote erfüllen sollen, aber wie wir | |
das machen sollen, sagt keiner.“ Durch Krankheiten, Schwangerschaften, aber | |
auch Sterbefälle könne es passieren, dass man kurzfristig unter die | |
Fachkraftquote rutsche. | |
Andere Länder lösen das Problem, indem sie einfach ihre Fachkräfteschlüssel | |
für Pflegeeinrichtungen verändern oder auch andere Berufe als | |
Pflegefachkräfte anerkennen. Niedersachsen etwa erkennt | |
Heilerziehungspfleger als Fachkräfte an, in Bremen gelten diese jedoch nur | |
als Hilfskräfte. Thiele sagt: „Wir haben immer genug Mitarbeiter da, aber | |
zeitweise einfach nicht genug Fachkräfte.“ Im Haus seien in der Regel | |
sieben MitarbeiterInnen, Pflegehilfskräfte und Auszubildende eingerechnet, | |
aber auf Stelleninserate reagiere kaum jemand. Thiele sagt: „Ich habe sogar | |
schon überlegt, in Stellenanzeigen reinzuschreiben, dass es beim | |
Bewerbungsgespräch eine Pizza gratis gibt.“ | |
In der Einrichtung wird das grundlegende Problem des Fachkräftemangels | |
plastisch: Timm Klöpper, stellvertretender Geschäftsführer des | |
Einrichtungsträgers Convivo, sagt: „Wir wollen nicht immer nur jammern, | |
sondern dass der Pflegeberuf die Anerkennung bekommt, die er verdient. Alle | |
hier arbeiten mit viel Herzblut.“ Das öffentliche Bild von der Pflege sei | |
indes sehr negativ, ständig werde bei Missständen in einigen Heimen auf den | |
gesamten Bereich geschlossen: „Das schadet dem Ansehen des Pflegeberufs und | |
sorgt so wieder dafür, dass zu wenig junge Menschen sich für den sicheren | |
und schönen Beruf in der Pflege begeistern.“ | |
## Unbesetzte Stellen | |
72 Auszubildende hat Convivo derzeit, fünf davon sind im Haus O’Land. Gern | |
würden sie mehr ausbilden. Thiele sagt: „Aber zwei Stellen bleiben | |
verlässlich unbesetzt.“ Immerhin werde man im Sommer voraussichtlich eine | |
Auszubildende übernehmen. Eine wertvolle Fachkraft mehr. | |
Das Grundproblem besteht jedoch weiter. Convivo hat sogar bereits begonnen, | |
im Ausland Arbeitskräfte anzuwerben, etwa in Bosnien. Man sorge mit viel | |
Aufwand für einen Wohnort und Sprachkurse. Aber auch die in Bosnien bereits | |
ausgebildeten Pflegekräfte gelten in Deutschland nicht als Fachkraft. „Sie | |
müssen hier erst ein Anerkennungsjahr machen“, so Thiele. Sie wünscht sich | |
beim Fachkräftemangel ein staatliches Programm: „Wir müssen anerkennen, | |
dass wir ein Einwanderungsland sind und auf ausgebildete Menschen aus dem | |
Ausland angewiesen sind.“ | |
Der Senat ist um Nachschub bemüht. Schneider sagt: „Wir haben dreimal so | |
viele Schulplätze in Berufsschulen wie noch vor drei, vier Jahren, aber das | |
reicht noch nicht.“ Arbeitslosigkeit gebe es im Pflegebereich nicht, sagt | |
Schneider – „Die Fachkräfte können sich aussuchen, wo sie hingehen.“ | |
9 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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