# taz.de -- Pflegebranche unter Druck: Convivo meldet Insolvenz an | |
> Die Bremer Convivo-Gruppe betreibt Pflegeeinrichtungen an über 100 | |
> Standorten. Die Insolvenz des Unternehmens ist kein Einzelfall in der | |
> Branche. | |
Bild: Hier muss nun eine Lösung für die Zukunft gefunden werden: Der Convivo-… | |
OSNABRÜCK taz | Selbstdarstellungen sind oft Rohrkrepierer. „Zufriedenheit“ | |
sei „das, was wir erreichen möchten“, sagt der in Bremen ansässige Wohn- | |
und Pflegeheimbetreiber Convivo auf seiner Website. Er stuft sich als | |
„einen der größten Pflegebetreiber in Deutschland“ ein; rund 4.800 | |
Mitarbeiter arbeiten für ihn. | |
Aber die 18.000 Menschen, deren Betreuung die „Dienstleisterin des Lebens“ | |
an mehr als 100 Standorten sicherstellt, stationär wie ambulant, leben | |
derzeit in Unruhe. Denn die Unternehmensgruppe, primär im Nordwesten | |
Deutschlands aktiv, hat Ende Januar Insolvenz angemeldet. Es gehe um eine | |
„Restrukturierung unter dem Schutz des Insolvenzrechts“, hat Convivo Anfang | |
vergangener Woche dazu mitgeteilt. Die pflegerische Versorgung sei | |
„vollumfänglich“ gesichert. Löhne und Gehälter der Mitarbeiter:innen | |
seien es auch, bis März. | |
Ihre „finanzielle Schieflage“ erklärt Convivo mit einer „Strukturkrise�… | |
Branche. Der [1][Fachkräftemangel] sei für Convivo ein Problem. Niedrige | |
Belegungszahlen durch verdoppelte [2][Krankenstände in der Belegschaft], | |
pandemiebedingt. „Überproportionale“ Kosten durch den Einsatz von | |
Zeitarbeitsdiensten. [3][Steigende Energie- und Sachkosten], steigende | |
Kosten durch die [4][Pflegereform der Bundesregierung]. Man habe Standorte | |
verkauft, Eigenmittel nachgeschossen, „Gespräche mit der Politik“ geführt, | |
um Beteiligungen geworben. Geholfen hat das nicht. | |
Der Konkurs sei „mit großer Verunsicherung verbunden, für Bewohnerinnen und | |
Bewohner, für Angehörige und für die Beschäftigten“, sagt Bernd Schneider, | |
Sprecher bei der Bremer Senatorin für Soziales, der taz. „Es ist jetzt | |
Aufgabe der Insolvenzverwalter, die Unternehmensgruppe neu aufzustellen | |
und, sofern erforderlich, für einen geregelten Übergang der Einrichtungen | |
zu anderen Trägern zu sorgen.“ | |
Die Gründe der Insolvenz liegen nicht auf Landesebene; viele | |
Convivo-Einrichtungen befinden sich in anderen Bundesländern. Und Convivo | |
ist kein Einzelfall: In Braunschweig traf es Ende 2022 die Pflegeheim Baars | |
GmbH, in Bremen Ende 2022 auch das gemeinnützige Senioren- und Pflegeheim | |
„Leben im Alter“, Mitglied des Diakonischen Werkes. „Generell befinden si… | |
nach unserer Wahrnehmung auch andere Träger in einer angespannten Lage“, | |
sagt Schneider. | |
Kerstin Bringmann, Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di | |
Bremen-Nordniedersachsen, vermutet bei Convivo allerdings auch hausgemachte | |
Probleme. Das Unternehmen habe sich in letzter Zeit stark erweitert, das | |
habe ihm womöglich „das Genick gebrochen“. Zudem fehle es sowohl an einem | |
Betriebsrat als auch an einem Tarifvertrag. „Außerdem scheint es keinerlei | |
Fachkräftepuffer gegeben zu haben.“ | |
Die Probleme bei Convivo seien nicht neu. „Ich habe meine | |
Gewerkschaftsmitglieder abtelefoniert“, sagt Bringmann, „und die haben in | |
den letzten Jahren fast alle das Unternehmen verlassen.“ | |
Aber auch gemeinnützige Unternehmen seien in Schwierigkeiten, räumt | |
Bringmann ein. Sie fordert finanzielle Hilfen für alle Pflegeheime, sonst | |
stürze man „sehenden Auges in eine Katastrophe“. Zudem regt sie eine Reform | |
der Branche an: „Die Pflege muss [5][wieder in die öffentliche oder | |
gemeinnützige Hand]“, sagt sie der taz. „Man darf nicht hoffen, mit Pflege | |
Rendite zu machen.“ | |
Privatunternehmen wie Convivo tun genau das. „Und dann wird eben oft am | |
Personal gespart, das ist ja einer der größten Kostenfaktoren“, vermutet | |
Bringmann. „Und je schlechter die Arbeitsbedingungen, desto mehr Personal | |
wandert ab.“ | |
## Marktwirtschaft in der Pflege | |
Seit der Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 1990er ist die Pflege | |
Teil der Marktwirtschaft. Private Träger machen seither den karitativen | |
Verbänden und Kommunen Konkurrenz, oft überregional tätig, vielfach | |
multinational. | |
Das bringt nicht immer Gutes mit sich. Die Große Anfrage | |
„Kommerzialisierung des Pflegesektors: Auswirkungen, Strukturen, Qualität“ | |
von Die Linke, der SPD und den Grünen an den Bremer Senat vom August 2022 | |
zeigt das deutlich. | |
Für den stationären Bereich sei „die Anzahl der Beschwerden und die Anzahl | |
der Mängelfeststellungen bei privaten überregional tätigen Trägern deutlich | |
höher“, verglichen mit Einrichtungen in gemeinnütziger Trägerschaft, heißt | |
es im Fazit des Senats. „Ganz besonders eklatant wird dies bei der | |
personellen Ausstattung, den Unterstützungsleistungen und der | |
hauswirtschaftlichen Versorgung.“ Für die ambulanten Pflegedienste gelte: | |
„90 Prozent der anlassbezogenen Qualitätsprüfungen wurden in solcher mit | |
privater Trägerschaft durchgeführt.“ | |
Wie es zu der Convivo-Pleite kommen konnte und was politisch geschehen | |
müsste, um der Probleme der Branche Herr zu werden? Convivo, von der taz um | |
Kommentierung gebeten, schweigt. | |
31 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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