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# taz.de -- Pflegereform kommt: Ein bisschen mehr als nur Applaus
> Pflegeberufe sollen attraktiver, Heimplätze günstiger werden. Doch
> Gewerkschaften kritisieren das Gesetz. Die wichtigsten Fragen und
> Antworten.
Bild: Viel zu häufig mussten sie protestieren: Pfleger*innen in Berlin
Bislang werden viele der rund 1,2 Millionen Pflegekräfte in Deutschland
sehr unterschiedlich bezahlt. Ihre Entlohnung ist oft schlecht, die Arbeit
hart. [1][In der Folge fehlen im ganzen Land Fachkräfte, zeitgleich steigt
die Zahl der Pflegebedürftigen aber immer weiter an.] Die Bundesregierung
will den Beruf nun attraktiver machen und hat am Mittwoch Gesetzespläne für
eine Pflegereform auf den Weg gebracht. Das Vorhaben hat zwei Ziele:
Pflegekräfte sollen mehr Lohn erhalten, außerdem sollen Menschen in Heimen
weniger bezahlen müssen.
Aber was bringt die Reform den Pflegebedürftigen wirklich?
Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Geplant ist ein Zuschlag auf
die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung: Im ersten Jahr bekommen
Heimbewohner 5 Prozent der Pflegekosten erlassen, im zweiten Jahr 25
Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und anschließend 70 Prozent.
Profitieren könnten zu pflegende Menschen außerdem von einem einheitlichen
Personalschlüssel, der in Pflegeheimen gelten soll.
Was sagen die Kritiker?
[2][Die Deutsche Stiftung Patientenschutz] stellt den finanziellen Nutzen
für die Heimbewohner in Frage. Demnach kostet die Pflege in den
Einrichtungen im Durchschnitt 831 Euro im Monat. Das sei aber nur ein Teil
der tatsächlichen Aufwendungen. Denn etwa für Unterkunft und Verpflegung
müssen die Bewohner auch aufkommen, hier sieht das Gesetz keine
Entlastungen für Heimbewohner vor. Die Preise der Heime sind je nach
Anbieter und Ausstattung sehr unterschiedlich.
Zusammengenommen kommen mehr als 2.000 Euro monatlich schnell zusammen.
Deshalb werfen Patientenschützer Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine
Mogelpackung vor. Der Zuschlag werde nicht ausreichen, um die durch
steigende Löhne verursachten Mehrkosten auszugleichen, kritisieren sie
außerdem. Schon im zweiten Jahr müssten die Bewohner 100 Euro mehr
monatlich selbst bezahlen.
Werden Pflegekräfte künftig besser bezahlt?
[3][Das Hauptanliegen der Reform ist eine bessere Bezahlung des
Pflegepersonals.] Einen bundesweiten Tarifvertrag gibt es nicht. Ein Anlauf
dazu ist am Widerstand der Caritas gescheitert, die einer der größten
Träger von Heimen ist. Mehr als jedes zweite Heim wird von gemeinnützigen
Trägern betrieben. Auf private Unternehmen entfallen nach Angaben des
Statistischen Bundesamts 43 Prozent. Die Reform schreibt nun vor, dass die
Pflegekräfte nach Tarif oder nach den kirchenrechtlichen Regeln bezahlt
werden müssen. Nichttarifgebundenen Betrieben werden die höheren Löhne bis
zu einem Deckel ausgeglichen.
Umstritten ist der Maßstab für den regionalen Tariflohn. Die Gewerkschaft
Verdi befürchtet, dass Scheingewerkschaften Minilöhne aushandeln, die dann
das Tarifniveau bilden. Spahn geht davon aus, dass der Fachkräftemangel den
Beschäftigten zu anhaltenden Lohnsteigerungen verhilft.
Was kostet die Reform und wie wird sie finanziert?
Die Bundesregierung rechnet mit Mehrkosten von 1,4 Milliarden Euro im
kommenden Jahr. Eine Milliarde Euro will Spahn als Bundeszuschuss in die
Pflegekasse geben. Weitere 400 Millionen Euro bringt eine Erhöhung des
Beitrags zur Pflegeversicherung für Kinderlose. Er steigt von derzeit 3,3
Prozent auf 3,4 Prozent. Die Krankenkassen hegen allerdings Zweifel an der
Rechnung des Ministers. „Der vorgesehene Bundeszuschuss für die
Pflegeversicherung fällt viel zu gering aus“, befürchtet AOK-Chef Martin
Litsch. Schon in diesem Jahr erwartet er ein Defizit von einer Milliarde
Euro. 2023 seien dann die Reserven der Pflegekasse aufgebraucht.
Werden nun wirklich Kinderlose für die Pflege zu Kasse gebeten?
Schon jetzt bezahlen Kinderlose mehr Beitrag für die Pflegeversicherung.
Auch in den anderen Sozialversicherungen werden sie schlechter gestellt als
Eltern. Sie finanzieren bei der Rente die Ansprüche aus Erziehungszeiten
und in der Krankenversicherung die kostenlose Mitversicherung von Kindern
und Ehepartnern mit. Damit soll der finanzielle Nachteil der Eltern durch
das Großziehen von Kindern ausgeglichen werden.
Werden private Pflegeanbieter mit der Reform nun aus dem Geschäft
verdrängt?
Diese These vertritt der Arbeitgeberverband der privaten Heimanbieter. Die
geforderte Tariftreue riskiere zusammen mit Vorgaben beim Personaleinsatz
und bei den Preisen die Existenz der Unternehmen. Der Verband beziffert den
Durchschnittslohn für Fachkräfte auf 3.350 Euro und will gegen die Reform
klagen.
Ist das Finanzierungsproblem der Pflege damit langfristig gelöst?
Das wird kaum der Fall sein. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt mit der
zunehmenden Alterung der Gesellschaft voraussichtlich weiter an. Das
Statistische Bundesamt verzeichnete Ende 2019 insgesamt 4,13 Millionen
Pflegebedürftige. Gegenüber der letzten Erhebung aus dem Jahr 2017 war das
ein Zuwachs um 20,9 Prozent. Der größte Teil der Betroffenen lebt weiter in
den eigenen vier Wänden. 80 Prozent der Pflege findet zu Hause statt. In
Heimen lebten Ende 2019 818.000 Pflegebedürftige. Bei einem weiteren
Zuwachs werden auch die finanziellen Probleme der Pflegeversicherung wieder
in den Fokus rücken.
2 Jun 2021
## LINKS
[1] /Protest-der-Pflegebranche-in-Berlin/!5765930
[2] https://www.stiftung-patientenschutz.de/publikationen/stellungnahmen
[3] /Pflegerin-ueber-Pflegenotstand-und-Corona/!5765838
## AUTOREN
Wolfgang Mulke
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