# taz.de -- Ausbildung während Corona: SOS bei den Pflege-Azubis | |
> Die Pandemie hat Pflegekräfte besonders gefordert, viele überlegen, den | |
> Beruf zu verlassen. Doch wie geht es denen, die noch in der Ausbildung | |
> sind? | |
Bild: Verbinden will gelernt sein: Eine Pflegeschülerin übt am Beim einer Mit… | |
Carla Meyerbach hatte gerade wieder ein paar Wochen Theorieunterricht. | |
Wie bei vielen anderen Schüler:innen heißt das derzeit immer noch: | |
Onlineunterricht am Computer zu Hause. Und wie bei vielen anderen | |
funktioniert nicht immer alles reibungslos. „Neulich war die Niere Thema, | |
aber die Seite zum Lernen hat bis zum Schluss nicht funktioniert“, erzählt | |
sie. Die Auszubildenden müssen das Thema nun eigenverantwortlich nachholen. | |
Meyerbach ist in ihrem zweiten Ausbildungsjahr zur Gesundheits- und | |
Krankenpflegerin. Sie lernt in einer Klinik in Norddeutschland und heißt | |
eigentlich anders, möchte ihren richtigen Namen aber lieber nicht | |
veröffentlicht wissen. Die [1][Pandemie] hat für sie vieles verändert. | |
Wichtige praktische Übungen, wie rückenschonendes Arbeiten oder | |
Blutentnahme an Puppen, die die Auszubildenden sonst in der Schule machen, | |
sind in den letzten Monaten ausgefallen. | |
Sie habe manchmal das Gefühl, weniger Erfahrungen sammeln zu können, sagt | |
Meyerbach. Der normale Krankenhausalltag hat in den vergangenen Monaten | |
kaum stattgefunden. Monatelang arbeitete sie auf einer Coronastation. Die | |
Abteilung, in der sie eigentlich für einen Ausbildungseinsatz eingeplant | |
war, war kurzerhand dazu umfunktioniert worden. Das Arbeitsklima in der | |
Klinik habe sich verändert, sagt sie. „Viele sind gestresst, nicht nur die | |
examinierten Pflegekräfte.“ | |
Auch der Tod spiele eine größere Rolle. „Es passieren so viele schlimme | |
Sachen, so viele Todesfälle“, sagt Meyerbach. „Man müsste eigentlich auf | |
die Auszubildenden eingehen, sie fragen, ob sie darüber reden möchten, aber | |
dafür ist keine Zeit.“ Ein Seminar zum Thema Tod und Sterben konnte nur | |
online stattfinden. Normalerweise wären Kerzen angemacht worden, jetzt | |
seien die Kameras aus gewesen und niemand habe sich getraut, etwas zu | |
sagen, berichtet Meyerbach. | |
## 8,2 Prozent mehr als im Vorjahr | |
Sie hat ihre Ausbildung im November 2019 begonnen, bis zum Beginn der | |
Pandemie blieben ihr nur ein paar Monate. Rund 71.300 Menschen starteten im | |
selben Jahr die Ausbildung in der Altenpflege, der Kranken- oder der | |
Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Das waren 8,2 Prozent mehr als im | |
Vorjahr. | |
Das klingt nach guten Nachrichten. Der Fachkräftemangel in dem Bereich ist | |
enorm, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt von Jahr zu Jahr. | |
Die Bundesregierung hat auch deshalb unter anderem eine | |
Ausbildungsoffensive gestartet. Der Pflegeberuf soll aufgewertet werden, es | |
soll mehr Auszubildende in diesem Bereich geben. Die Arbeitsbedingungen | |
und die Bezahlung von Pflegekräften sollen sich verbessern. | |
Das ist auch nötig, schließlich ist nicht nur wichtig, dass viele einen | |
Pflegeberuf lernen. Die Auszubildenden sollen die Ausbildung möglichst auch | |
abschließen und lange im Beruf bleiben. Beides ist nicht | |
selbstverständlich. | |
Umfragen zeigen immer wieder, [2][dass Pflegekräfte darüber nachdenken, den | |
Beruf zu verlassen]. Aktuelles Beispiel ist eine [3][Umfrage der Deutschen | |
Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin] unter | |
Mitarbeiter:innen der Intensivstationen, Notaufnahmen und | |
Rettungsdienste aus dem April. Knapp ein Drittel der Befragten gab an, den | |
Beruf in den nächsten zwölf Monaten aufgeben zu wollen – drei Viertel | |
davon aufgrund der Belastungen durch die Coronapandemie. | |
## Viele berichten von Überforderung | |
Die zusätzlich verschlechterten Arbeitsbedingungen betreffen auch die | |
Auszubildenden. Die Bundespflegekammer und der Pflegebevollmächtigte der | |
Bundesregierung warnten in den vergangenen Monaten, dass seit Beginn der | |
Pandemie mehr Auszubildende die Ausbildung abbrechen. Viele Auszubildende | |
berichten von Überforderung. | |
Auch Nico Baumann sagt, dass die Auszubildenden oft genauso anpacken müssen | |
wie examinierte Fachkräfte. Dass die Auszubildenden dieselbe Qualität der | |
Ausbildung genießen wie vor der Pandemie, glaubt er nicht. Der 24-Jährige | |
hat im August 2019 sein Examen zum Gesundheits- und Krankenpfleger gemacht | |
und ist Vorsitzender der Konzern- Jugend-und-Auszubildenden-Vertretung der | |
Helios-Kliniken. | |
Zu Beginn der Pandemie erreichten ihn viele Anrufe von Auszubildenden. | |
Manche hätten sich gemeldet, weil ihre Ausbildungspläne ohne Mitbestimmung | |
verändert wurden, andere hätten moralische Unterstützung gebraucht, erzählt | |
er. | |
Einige Auszubildende seien in einem Krankenhaus auch abgestellt worden, um | |
die Besucher:innen der Klinik auf Erkältungssymptome hin zu | |
kontrollieren. Zu der Zeit gab es noch kein Besuchsverbot. Er habe sich | |
dann dafür eingesetzt, dass das nicht mehr passiert. „Auszubildende haben | |
schon genug dazu beigetragen, das alles läuft“, sagt er. „Allein schon, | |
weil die praktischen Teile der Ausbildung verlängert wurden und sie damit | |
als billige Arbeitskraft zur Verfügung standen.“ | |
## Auch das Examen wohl anders | |
Es werde durchaus versucht, die Ausbildung, so gut es geht, | |
aufrechtzuerhalten, sagt er. Dennoch bleibe die Praxisanleitung auf der | |
Strecke. Praxisanleiter:innen zeigen Auszubildenden während ihrer | |
praktischen Einsätze beispielsweise, wie sie korrekt einen bestimmten | |
Verband wechseln oder Katheter legen können. Mit dem neuen | |
Pflegeberufegesetz von 2020 wurde festgelegt, dass 10 Prozent der | |
Ausbildung Anleitungszeit sein soll. Dass diese Zahl immer eingehalten | |
werden kann, scheint aber unwahrscheinlich. | |
Und auch das Examen ist für viele wohl anders als sonst. Manche | |
Auszubildende konnten ihr praktisches Examen nicht wie normalerweise mit | |
echten Patient:innen machen, sondern mussten auf Puppen ausweichen. Bei | |
anderen waren die Patient:innen, mit denen sie eigentlich das Examen machen | |
sollten, am nächsten Tag nicht mehr da, weil ihre Examensstation zur | |
Coronastation wurde. | |
Eine Analyse der Professorin für Pflegewissenschaft, Uta Gaidys, von der | |
Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften, lässt darauf schließen, | |
dass viele Auszubildende solche Erfahrungen gemacht haben. Gaidys und ihre | |
Kolleginnen haben in verschiedenen Phasen der Coronapandemie Pflegekräfte | |
zu ihren Erfahrungen befragt und die darin enthaltenen Angaben von rund 200 | |
Auszubildenden und Studierenden der Pflege, die diese während der zweiten | |
Welle gemacht haben, gesondert betrachtet. | |
In ihrer Untersuchung, die noch von unabhängigen Wissenschaftler:innen | |
begutachtet wird, beschreiben die Autorinnen, dass die Auszubildenden die | |
Auswirkungen der Pandemie, wie den Personalmangel, nicht nur spüren, | |
sondern diesen auch aktiv kompensieren müssen. „Die meisten | |
Studienteilnehmenden erleben Ausbildungsdefizite und wenig Anleitung, | |
müssen Verantwortung übernehmen, auch über die eigenen Kompetenzen hinaus, | |
und fühlen sich davon überfordert“, sagt Gaidys. | |
## Die Qualität leidet | |
Die Pflegewissenschaftlerin betont, dass in den Antworten durchaus auch | |
positive Gefühle zu lesen sind, beispielsweise der Stolz, dazu beizutragen, | |
die Krise der Pandemie bewältigen zu können und Dankbarkeit zu erfahren. | |
Die [4][Erfahrungen von examinierten Pflegekräften] und Auszubildenden sind | |
laut Gaidys sehr ähnlich. „Die Auszubildenden haben aber weniger | |
Ressourcen, mit der Belastung und den Ängsten umzugehen“, sagt sie. „Sie | |
sind noch jung und haben weniger Erfahrung.“ | |
Die Entwicklung seit der Pandemie besorgt sie sehr, denn genau wie viele | |
Pflegende befürchtet sie eine Deprofessionalisierung des Berufs, weil die | |
Qualität der pflegerischen Versorgung leidet. Und als Lehrende an der | |
Fachhochschule sehe sie, dass die Qualität der Leistungen der Studierenden | |
schlechter geworden sei. „Die Pandemie bedeutet, dass die Auszubildenden | |
schlechter vorbereitet in den Beruf gehen“, sagt Ute Gaidys. „Deswegen ist | |
unsere Schlussfolgerung, dass wir auch während der Berufstätigkeit | |
Schulungen und Fortbildungen brauchen.“ | |
Carla Meyerbach hat keine Angst, schlechter ausgebildet zu sein. Sie will | |
den Stoff nachholen, auch wenn das stressig wird. Sie sei sich aber auch | |
bewusst, dass das für manche schwierig werden könnte. Um ihr Examen sorgt | |
sie sich noch nicht, das steht erst Ende 2022 an. „Ich bin immer noch guter | |
Hoffnung, dass Corona dann vorbei ist“, sagt sie. | |
4 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[2] /Prekaere-Situation-der-Krankenpflege/!5765325 | |
[3] https://www.dgiin.de/allgemeines/pressemitteilungen/pm-leser/online-umfrage… | |
[4] https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1024/1012-5302/a000744 | |
## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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