# taz.de -- Goldene Bettpfanne: „Geredet wurde genug“ | |
> Die Gewerkschaft mobilisiert Pflegende für den Kampf um mehr Personal. | |
> Ver.di- Sekretär Jörn Bracker hat die Demo zur | |
> Gesundheitsministerkonferenz organisiert | |
Bild: Wurde von Gesundheitsminister Gröhe (CDU) abgelehnt: Die goldene Bettpfa… | |
taz: Herr Bracker, Sie sind vorletzte Woche mit KollegInnen aus ganz | |
Deutschland in Bremen auf die Straße gegangen – um was ging’s da? | |
Jörn Bracker: Um die Forderung nach mehr Personal. Seit einigen Monaten | |
schon treiben wir die „Bewegung für mehr Personal im Krankenhaus“ voran. | |
Das Saarland ist da schon sehr weit – die haben sehr viele KollegInnen | |
gewonnen, die dann auch bei Ver.di eingetreten sind. Die „Erfinder“ sind | |
die Berliner KollegInnen von der Charité: Die haben den Tarifvertrag zum | |
Gesundheitsschutz quasi „erfunden“. Auch da ging es vor allem um | |
Forderungen fester Personalschlüssel in den Kliniken. | |
Und was haben Sie erreicht? | |
Die Politik ist dort bereits bewegt worden, tätig zu werden. Und wir haben | |
dann auch bundesweit angesetzt, für mehr Personal zu streiten. Es gab | |
deutschlandweit die „Appelle für mehr Personal“, auch einen Bremer Appell, | |
und anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz in Bremen haben wir uns | |
gedacht: Machen wir dort eine Demo und übergeben die Appelle an Herrn | |
Gröhe. Das waren über 200.000 Unterschriften. Die haben wir in Kartons | |
gepackt und wollten sie überreichen, zusammen mit der „goldenen Bettpfanne“ | |
als Auszeichnung für Versäumnisse in der Altenpflege. Aber das ging leider | |
nicht problemlos. | |
Was ist denn passiert? | |
Wir sind mit unseren Länderdelegierten zu dem Hotel, wo sich die | |
MinisterInnen getroffen haben – und die Presse durfte nicht rein. Das fand | |
ich unmöglich. Nicht einmal unser Fotograf durfte mit rein! Und die | |
Bettpfanne wollte Herr Gröhe nicht haben. Da wurde ganz deutlich gesagt, | |
wenn wir damit das Hotel betreten, wird es kein Treffen geben. | |
Und dann gab es die Demo „Rabbatz für gute Pflege“ … | |
Ja: Hauptthema war die Personalbesetzung im Krankenhaus und in der | |
Altenpflege. Unsere Forderungen sind hier vor allem verbindliche | |
Personalschlüssel. In Bremen wurde ja gerade erst mit der Novellierung des | |
Wohn- und Betreuungsgesetzes beschlossen, dass in der Altenpflege eine | |
Nachtwache für bis zu 50 PatientInnen ausreicht – da haben wir interveniert | |
und deutlich gesagt, dass wir dieses Gesetz so für falsch halten. | |
Allerdings erfolglos, oder? | |
Ja, es wurde leider nicht auf uns gehört. Die Politik hat kurz geschwankt, | |
aber dann ist das Gesetz doch so verabschiedet worden, leider. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Während in Bremen das Einkommen in der Krankenpflege im Bundesvergleich gar | |
nicht so schlecht ist, ist es in der Altenpflege umso schlechter. Die | |
Krankenpflege wird über Kassenbeiträge refinanziert und in der Altenpflege | |
kommt nur ein festgeschriebener Satz von der Pflegekasse – der Rest muss | |
häufig von der Kommune aufgebracht werden. Dass da also eine Stadt wie | |
Bremen besonders geizig ist, ist klar. | |
Wie ist das mit dem Personalschlüssel in der Krankenpflege geregelt? | |
In wenigen Bereichen, zum Beispiel in der Frühchenstation, gibt es | |
verbindliche Pflegeschlüssel, ansonsten macht es im Prinzip jede Klinik, | |
wie sie will. Und hier tun sich die privaten Konzerne wie Helios, Ameos und | |
Co., die ja Gewinn machen wollen, besonders negativ hervor. Durch die | |
Fallpauschalen gibt es eine gewisse Summe pro Krankheit, pro Behandlung – | |
und davon haben die natürlich umso mehr, je weniger Personal sie dafür | |
einsetzen. | |
Welche Folgen hat das? | |
Die KollegInnen merken schon seit Jahren, dass sie immer weniger werden und | |
die Arbeit immer mehr. Das hat zur Folge, dass viele in Teilzeit flüchten, | |
weil es gar nicht mehr geht und auch, dass viele angehende PflegerInnen | |
direkt schon nach der Ausbildung den Beruf wechseln. | |
Was läuft denn in der Ausbildung schief? | |
Die Auszubildenden bekommen zu wenig Praxisanleitung. Ihre AnleiterInnen | |
müssen dauernd irgendwo einspringen, die Auszubildenden werden nicht | |
vernünftig angeleitet, sondern müssen ebenfalls in diese Bresche springen | |
und „mal eben“ die normale Arbeit mitmachen. Das ist frustrierend und | |
belastet extrem. Deswegen auch unsere Forderung nach einem Sofortprogramm. | |
Wie soll das aussehen? | |
Wir fordern, dass sofort nach der Bundestagswahl mindestens 20.000 Stellen | |
bundesweit geschaffen werden. Unter dem Schlagwort „keine Nacht alleine“ | |
muss die Nachtbesetzung erhöht werden: Jetzt ist es so, dass ein Kollege | |
für eine riesige Station allein verantwortlich ist – da muss ständig eine | |
Risikoabwägung stattfinden, die für Patienten gefährlich ist und für die | |
Pflegenden eine enorme psychische Belastung darstellt. Und wir fordern, | |
dass von den 20.000 Stellen mindestens 1.000 für eine vernünftige | |
Praxisanleitung bereitgestellt werden. | |
Stimmt es, dass sich Pflegende sogar freiwillig über Leiharbeitsfirmen | |
anstellen lassen? | |
Ja. Leiharbeit bedeutet nicht in jedem Sektor schlechtere Bedingungen – und | |
in der Krankenpflege kann man teilweise genauso gut für Leiharbeitsfirmen | |
arbeiten. Die Bezahlung ist nicht schlechter und die Pflegenden können | |
teilweise zu ihren Bedingungen arbeiten. | |
Aber Leiharbeit ist doch teuer für die Krankenhäuser, oder? | |
Ja, für sie sind Leiharbeiter die schlechteste Lösung, weil sie viel mehr | |
Geld kosten als festangestellte KollegInnen. Es will ja immer noch jemand | |
mitverdienen. | |
Warum sind angesichts dieser Zustände am 21. Juni nur ungefähr 300 | |
KollegInnen auf die Straße gegangen? | |
Der Organisationsgrad unter den Pflegenden steigt zwar in den letzten | |
Monaten, ist aber immer noch nicht sehr hoch. Viele sagen, dass Ver.di „was | |
tun muss“, aber dass sie selbst die Gewerkschaft sind, wird zu wenig | |
wahrgenommen. Das ist schon etwas anders als zum Beispiel bei | |
Metallarbeitern. | |
Wo liegt der Unterschied? | |
Gewerkschaften wie die IG Metall haben viele Mitglieder, weil die Leute | |
wissen, dass die Stärke von den Mitgliedern abhängt. Im sozialen Bereich | |
und im Pflegebereich wird außerdem noch immer die Sozialpartnerschaft | |
hochgehalten, da scheut man die richtigen Arbeitskämpfe. Und dann hat das | |
natürlich auch mit der Arbeit an sich zu tun: Man kann ein Werk so | |
bestreiken, dass wirklich alle Bänder stillstehen. In einem Krankenhaus | |
oder Altenheim geht das nicht so einfach. | |
Hat die schwache Mobilisierung in Bremen nicht auch mit der Existenz der | |
Arbeitnehmerkammer zu tun? | |
Nein. Bestes Beispiel ist das Saarland, wo es ebenfalls eine | |
Arbeitnehmerkammer gibt und die Pflegenden trotzdem immer mehr in die | |
Gewerkschaft eintreten. Ein großer Teil der Bremer KollegInnen pendelt ja | |
auch aus Niedersachsen ein: Die sind nicht in der Kammer – aber auch keine | |
Ver.di-Mitglieder. | |
Die Arbeitnehmerkammer ist also keine Konkurrenz? | |
Nein, sie macht sehr gute politische Lobby-Arbeit für Arbeitnehmer. Und die | |
wissen wiederum genau, dass die Kammer kein Gewerkschafts-Ersatz ist, weil | |
sie keine Tarifverhandlungen führen darf. | |
Und wie stehen Sie zur Forderung vieler Pflegenden nach einer Pflegekammer? | |
Das ist eine Reaktion auf diesen diffusen Eindruck, dass Ver.di ja nichts | |
tut. „Also gründen wir eine Pflegekammer, dann sind wir selbst verwaltet“, | |
wird dann gesagt. Dabei wird aber übersehen, dass Selbstverwaltung und | |
Selbstbestimmung zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. In der Pflege | |
läuft es nicht deswegen schlecht, weil wir schlecht verwaltet werden, | |
sondern weil zum Beispiel Gesetze nicht so sind, wie wir uns das | |
vorstellen! Eine Pflegekammer ist nicht mehr als ein Verwaltungs- und | |
Überwachungsorgan. | |
Trotzdem hat sich ein großer Pflegekammer-Befürworter, nämlich der Deutsche | |
Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK), Ihrer Demo angeschlossen – das ist | |
doch erfreulich, oder? | |
Theoretisch ja. In der Praxis allerdings haben sich ein paar Leute vom DBFK | |
mit blauen Klamotten und Transparenten hinzugesellt für „Mehr | |
Mitspracherechte für Pflegende“ – und im Nachhinein veröffentlicht, dies | |
sei das Motto der Aktion gewesen, die überdies „gemeinsam mit Ver.di“ | |
stattgefunden habe. Fakt ist: Der DBFK hat diese Aktion nicht mit uns | |
geplant – und das Motto war ebenfalls ein anderes. Geredet wurde genug, wir | |
fordern endlich Taten, ganz konkret: Mehr Personal und gesetzliche Vorgaben | |
für Personalbemessung! | |
3 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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