# taz.de -- Zwei vorbei: „Wir können nicht zaubern“ | |
> Seit Juli 2015 ist Carsten Sieling (SPD) Bremens Bürgermeister.Im | |
> Interview erklärt er, wie er sein Amt in zwei Jahren verteidigen will – | |
> trotz sinkender Umfragewerte | |
Bild: Das Staatsschiff Bremen durch schwierige Zeit gesteuert: Havarierte Kogge… | |
taz: Herr Sieling, beneiden Sie diejenigen, die ab 2019 Bremen regieren? | |
Carsten Sieling: Nein, ich beneide mich doch nicht selbst! Ich freue mich | |
darauf. | |
Woraus ziehen Sie die Zuversicht, gewählt zu werden? | |
Daraus, dass wir als rot-grüne Regierung das Staatsschiff Bremen durch | |
diese schwierige Zeit ganz gut gesteuert haben. Gerade im Laufe des | |
vergangenen Jahres haben wir gute Perspektiven entwickelt und bei den | |
Bund-Länder-Finanzverhandlungen für die Zeit ab 2020 eine sehr gute | |
Grundlage gelegt. | |
Bis der Erfolg sichtbar wird, kostet die Konsolidierung Stimmen. | |
Die Umfragen [1][gingen zuletzt etwas zurück]. Aber bis zur Wahl 2019 | |
fließt noch viel Wasser die Weser hinunter. Entscheidend ist für mich, dass | |
wir die Herkules-Aufgaben, die den Leuten unter den Nägeln brennen, in den | |
letzten beiden Jahren in den Griff bekommen haben, beziehungsweise mit | |
Hochdruck bearbeiten. Es gibt nicht mehr die langen Schlangen vor dem | |
Stadtamt, und die jüngsten Zahlen zeigen, dass im Sommer nicht wieder | |
Hunderte Kindergartenplätze fehlen. Die Arbeitsplatzzahlen gehen nach oben, | |
und wir sind mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung die Nummer Eins | |
im Norden: Kein norddeutsches Bundesland hatte zuletzt mehr Wachstum pro | |
Kopf. | |
Weil Bremen am wenigsten investiert? | |
Nein, es ist vielmehr so, dass wir jetzt die Früchte der getätigten | |
Investitionen ernten: Es war richtig, sich als attraktiver Standort für | |
Luft- und Raumfahrt zu profilieren. Und es war richtig, stark auf den | |
Wissenschaftsbereich zu setzen und den Hafenausbau voranzutreiben. Es wird | |
aber notwendig sein, dass wir nach der finanzpolitisch gebotenen | |
Zurückhaltung bei der Investitionstätigkeit wieder zulegen. | |
Aber nicht mehr in Bremerhaven beim Offshore-Terminal OTB, der [2][jetzt | |
tot ist]? | |
Der ist nicht tot … | |
… stimmt, er hat ja nie gelebt! | |
Es gibt viele, die erneuerbare Energien für richtig halten. Ich zähle dazu. | |
Für die benötigen wir aber auch eine vernünftige Infrastruktur. Darauf | |
setzen wir in Bremerhaven. Der OTB wäre ein nächstes Element, und es gibt | |
keinen Grund davon Abstand zu nehmen. | |
Außer, dass die Förderkulisse wegbricht und gleich nebenan schon so ein | |
Ding fertig ist. | |
Cuxhaven ist doch der beste Beweis dafür, dass man ein Offshore-Terminal | |
braucht! | |
Also halten Sie die rund 70 Millionen bisher für den OTB ausgegebenen | |
Planungsmittel nicht für in den Sand gesetzt? | |
Ich weiß nicht, woher Sie die Zahl nehmen. Aber das, was bisher dort | |
reingesteckt worden ist, ist berechtigt. Ich hätte es natürlich lieber, | |
wenn der OTB schon fertig wäre – aber im demokratischen Rechtsstaat haben | |
die unterschiedlichen Interessen die Möglichkeit sich zu artikulieren. Das | |
führt hier und da zu Verzögerungen. | |
Manche verursacht auch die Regierung. Sie wollen zum Beispiel bei Inklusion | |
‚auf die Bremse treten‘. Sollten wir an den Menschenrechten sparen? | |
Inklusion ist eine Verpflichtung, der wir uns in Bremen besonders gestellt | |
haben: Auch da sind wir im Bundesvergleich die Nummer eins. Aber es gibt | |
eine Reihe von Schwierigkeiten in unseren Schulen. Die können wir nicht | |
einfach ignorieren. Deshalb sage ich: Bevor wir weitere Schritte | |
unternehmen, müssen wir ganz genau überlegen, wie wir die in der | |
notwendigen Qualität hinkriegen. | |
Aber ich kann doch nicht sagen: Wir sind klamm, sparen wir mal an den | |
Menschenrechten! | |
Es geht nicht nur um Geld. Wir brauchen vor allem auch das notwendige | |
Personal und wir müssen mit der Qualifizierung der Lehrkräfte nachkommen. | |
Daran ließe sich mit Geld vielleicht etwas ändern? | |
Ja, aber leider nicht so schnell, wie es nötig wäre. Ich verstehe die | |
Ungeduld. Trotzdem ist Bremen in dieser Frage Vorreiter in Deutschland: | |
Nirgends ist die Zielstellung konsequenter verfolgt worden, als hier. Die | |
Inklusion zu verwirklichen bleibt weiterhin das erklärte Ziel des Senats. | |
Bloß löst Verlangsamen keine Probleme, sondern staut sie, wie die | |
überfälligen Sanierungsmaßnahmen. Die schaffen Unzufriedene – und stellen | |
[3][laut Landesrechnungshof ein den Schulden vergleichbares Haushaltsrisiko | |
dar]. Wie wollen Sie das beseitigen? | |
Das zeigt nur, wie notwendig es ist, dass wir ab 2020 etwas mehr Luft | |
bekommen: Zurzeit können wir nur umsetzen, was sich mit den Vorgaben des | |
Konsolidierungspfades verträgt. Deshalb haben wir beispielsweise einen | |
Schwerpunkt auf den Kita-Bereich gesetzt. Denn die größte und | |
verständlichste Unzufriedenheit entsteht, wenn die Möglichkeiten für die | |
Kinder gar nicht geboten werden, sprich: keine Kita-Plätze vorhanden sind. | |
Wir planen darüber hinaus auch mit erweiterten Schulkapazitäten. Ich bin | |
sicher, die Bürgerinnen und Bürger sehen, welche großen Veränderungen es | |
hier gegeben hat, verstehen, welche Herausforderungen das bedeutet – und | |
wissen: Wir können ordentlich regieren, aber nicht zaubern. | |
Muss man das, um rauszufinden, dass mehr Geburten den Kita-Platzbedarf | |
erhöhen? | |
Es liegt nicht an den Geburtenraten allein, auch die Zuwanderung hat eine | |
große Rolle gespielt und zumindest im Kindergartenbereich auch ein | |
Bewusstseinswandel. Den begrüße ich ausdrücklich: Immer mehr Eltern sind | |
davon überzeugt, dass es für die Kinder gut ist, früh in den Kindergarten | |
zu kommen. Dass der Bedarf so schnell ansteigt, ist in der Tat unterschätzt | |
worden, aber nicht nur in Bremen: Wir haben leider in allen Großstädten | |
[4][die gleiche Situation]. | |
Aber nicht dasselbe Problem. | |
In fast allen. Aber ich gebe Ihnen Recht: Es war wichtig, dass wir beim | |
Kita-Ausbau das Tempo verschärft haben. Auch dafür haben wir zu Beginn der | |
Legislaturperiode die Ressorts Kita und Bildung zusammengelegt. | |
Das werten Sie als Erfolg? | |
Das sehe ich als richtige Entscheidung, die es uns jetzt ermöglicht, die | |
Ausbauplanung aus einer Hand zu machen und auch für einen besseren Übergang | |
von der Kita in die Grundschule zu sorgen. | |
21 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/bremen.htm | |
[2] http://www.oberverwaltungsgericht.bremen.de/aktuelles/pressemitteilungen-10… | |
[3] http://www.rechnungshof.bremen.de/berichte_presse/jahresberichte_2016-1592 | |
[4] https://www.iwd.de/artikel/bund-muss-kita-luecken-schliessen-319262/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Carsten Sieling | |
Finanzen | |
Schulden | |
Bildung | |
Senat Bremen | |
Wahl in Bremen | |
Carsten Sieling | |
Wahlrechtsreform | |
Inklusion | |
Haushalt | |
Universität | |
Länderfinanzausgleich | |
Länderfinanzausgleich | |
Energiewende | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Landesvater zur Legislaturhalbzeit: Habemus Papi! | |
Jens Böhrnsen war stets präsidial. Aber dann hat er nach der Bremen-Wahl in | |
den Sack gehauen. Geblieben ist die Frage: Wie landesväterlich ist Carsten | |
Sieling? | |
Pro und Contra Legislatur-Verlängerung: Vier oder fünf Jahre? | |
Die Mehrheit der Bremer Abgeordneten will die Wahlperiode verlängern, | |
Gegner möchten das per Volksentscheid stoppen. Reicht es, wenn Bremen alle | |
fünf Jahre wählt? | |
Zulasten der Kinder: Raus aus unserer Inklusion | |
Bildungsbehörde und Assistenzgenossenschaft streiten um die Betreuung | |
behinderter SchülerInnen. Nun droht die Senatorin Bogedan (SPD) offen | |
Sparen und Geldausgeben: Senat schmeißt 'ne Runde Bildung | |
Mit Blick aufs Ende des Sanierungspfades greift Bremens Senat zu Reserven – | |
die er nach 2020 zurückzahlen will. Davon soll vor allem die Bildung | |
profitieren | |
Hochschulpakt in Deutschland: Der Osten will im Rennen bleiben | |
Wissenschaftsminister der neuen Länder fordern eine dauerhafte finanzielle | |
Beteiligung des Bundes. Zudem brauche es mehr Fördermittel. | |
Abschied vom Finanzausgleich: 16 gegen Schäuble | |
Jahrzehntelang war Bremen Haushaltsnotlage-Land, Bayern drohte gar mit | |
einer Länder-Neugliederung. Diese Epoche ist 2020 dank Ländersolidarität zu | |
Ende. | |
Bund-Länder-Finanzen: Einigung im Grundsatz | |
Bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen wird nach 14 Stunden | |
Verhandlung ein Durchbruch verkündet. Die Details sind allerdings noch | |
unklar. | |
Ausbau Erneuerbare Energien: Tempo wird erst Ende Mai entschieden | |
Bund und Länder streiten darum, wie schnell die erneuerbaren Energien | |
ausgebaut werden sollen. Die Entscheidungssitzung findet am 31. Mai statt. |