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# taz.de -- Pro und Contra Legislatur-Verlängerung: Vier oder fünf Jahre?
> Die Mehrheit der Bremer Abgeordneten will die Wahlperiode verlängern,
> Gegner möchten das per Volksentscheid stoppen. Reicht es, wenn Bremen
> alle fünf Jahre wählt?
Bild: Dieses Steckspiel heißt IQ5 – auch wenn es an „Vier gewinnt“ erinn…
JA
Zugegeben, allein mit den eingesparten Wahlkosten von 150.000 Euro pro Jahr
zu argumentieren, wäre antidemokratisch. Denn eine solche Reihe ließe sich
fortschreiben: Eine sechsjährige Legislatur würde nach dieser Logik sogar
200.000 Euro, eine zehnjährige 450.000 pro Jahr sparen, und das billigste
wären dann, logisch, gar keine Wahlen mehr.
Das Kostenargument sticht aber im Bundesvergleich: Wenn Bremens
Sonderstatus und seine besondere Verfassung als Zwei-Städte-Staat schon
dazu führt, dass es das mit Abstand teuerste Landesparlament hat, dann ist
hier eine Anpassung an die anderen Bundesländer eine solidarische
Bringschuld. Denn Bremen wird von denen mitfinanziert: Da sollte man schon
gut begründen können, was es bringt, dass man an dieser Stelle mehr ausgibt
als alle anderen.
Wo aber die demokratischen Standards der übrigen Bundesländer durch die
Umstellung von einer Vier- auf eine Fünfjährige Legislatur gelitten hätten,
hat noch keiner der Verteidiger des Status quo so recht deutlich gemacht.
Die Wahlbeteiligung als ein möglicher Indikator liegt in den meisten von
ihnen höher als in Bremen und längst sind die Landtagswahlen dort nicht so
sozial verzerrt wie hier. Landespolitik ist kein glamouröses Feld. Medial
vermittelt wird es vielleicht nicht weniger – es tut sich aber schwer, sich
gegen die große Menge anderer Politainment-Angebote durchzusetzen.
Ein Jahr mehr Zeit, um ein für die WählerInnen wahrnehmbares Profil zu
entwickeln, Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufzubauen, kann der Vermittlung
eher nützen als schaden. Ein dauerhaft ausgesendetes, spezifisches Signal
hat bessere Chancen, im Rauschen der digitalen Welt wahrgenommen zu werden.
Vor allem aber nutzt die Stabilisierung der Mandate, (und das eine hat mit
dem anderen zu tun) dem Selbstbewusstsein und der Unabhängigkeit der
Abgeordneten, das zeigt der Blick auf die USA: Wer, wie die Mitglieder des
Repräsentantenhauses, nach zwei Jahren schon wieder um sein Mandat kämpfen
muss, ist darauf angewiesen, dass die Regierung, die er unterstützen soll,
Erfolge vorweisen kann. Denn mit ihr werden sie identifiziert, zumal sie
sich mit eigenen Initiativen in der kurzen Zeit nicht hervortun können. Die
auf sechs Jahre gewählten Mitglieder des Senats hingegen trauen sich, einem
irrlichternden Präsidenten die Stirn zu bieten, auch wenn sie seiner Partei
angehören.
Bremen hat in den vergangenen Jahren vor allem direktdemokratische
Verfahren gestärkt; das neue Wahlrecht spezifiziert die Aussage der
einzelnen Voten, die Hürden für Volksentscheide sind geschliffen, neue
Instrumente der Beteiligung hat die Bürgerschaft in der Verfassung
verankert und die Kompetenzen erweitert: Sogar ins vermeintliche
„Königsrecht“ des Parlaments, die Verteilung der Mittel, können BremerInn…
direkt reingrätschen.
Wenn Bremen seine Mischform von repräsentativer und direkter Demokratie
bewahren und pflegen will, muss es daher jetzt darum gehen, das Parlament
zu stärken, sprich: die Abgeordneten. Fünf Jahre Sicherheit für die, das
ist nicht zu viel. Und sollte jemand ehrlich Angst haben, die Demokratie
damit kaputtzusparen, sollte halt dafür sorgen, dass die 150.000 Euro, die
frei werden, in den wissenschaftlichen Dienst des Parlaments fließen und
dessen Arbeitsfähigkeit erhöhen.
Das täte Bremen gut.
(Benno Schirrmeister)
NEIN
Bei jeder politischen Debatte muss gefragt werden, wer am Ende profitiert.
Das gilt besonders für die Frage, ob Bremens Bürger*innen alle vier oder
doch lieber alle fünf Jahre wählen sollen – auch vor dem Hintergrund, dass
nur 14 Prozent der Deutschen ihren Politiker*innen vertrauen.
Es hilft zu schauen, woher der Vorschlag kommt: Eine parteienübergreifenden
Initiative hat ihn eingereicht. Von einer längeren Legislaturperiode
profitieren vor allem Fraktionen und Parteifunktionäre, aber nicht
unbedingt die Politik.
So wird in dem beschlossenen Antrag zum Volksentscheid argumentiert, die
Bürgerschaft könne in längeren Perioden effektiver arbeiten. Aber aus dem
Bundestag ist bekannt, dass Projekte nicht an der Zeit scheitern, sondern
am fehlenden Willen. Die Bundesregierung hat es direkt vor der Sommerpause
geschafft, die Ehe für alle zu öffnen. Was in vier Jahren zuvor nicht
klappen wollte, ging dank Wahlkampf am Ende ganz fix.
Weiterhin wirft die Bremer CDU die Kostenfrage in den Raum. Für das arme
Bundesland ist die natürlich relevant. Aber darf man die politische
Beteiligung dem ökonomischen Zwang unterordnen? Ich finde nicht. Die
150.000 Euro jährlich könnten auch an anderer Stelle wieder eingeholt
werden. Bremen könnte endlich die gezahlten Unterhaltsvorschüsse
zurückfordern. Oder – oh Schreck – Steuern erhöhen.
Um die Volkssouveränität zu gewährleisten, müsse die Verlängerung auf fünf
Jahre mit mehr direkter Demokratie ausgeglichen werden. Das halte ich für
gefährlich, denn ich überlasse eine wichtige Entscheidung lieber
Abgeordneten, die sich „nur“ drei Jahre in das Thema einarbeiten konnten,
als Wähler*innen, die aus dem Bauch heraus entscheiden.
Stattdessen erschwert eine längere Periode den Bürger*innen, die Regierung
zu kontrollieren. Wie wichtig „Checks and Balances“ sind, zeigt gerade die
US-amerikanische Politik. Dort hinderte der Senat gestern Donald Trump
daran, Obamacare zu reduzieren.
Gerade junge Leute sind von einer längeren Legislaturperiode betroffen.
Klar, Politik geht über staatliche Institutionen weit hinaus. Aber in
Zeiten der parlamentarischen Politikverdrossenheit sollte die Zeit bis zur
nächsten Wahl nicht verlängert werden. Wer zum Stichtag einer Wahl 16 wird,
verpasst im Schnitt zwischen drei und vier Wahlen. Für einen jungen
Menschen ist das entmutigend.
Wenn Politik mehr will als nur verwalten, sind Wahlen nicht störend,
sondern konstitutiv. Demokratie lebt davon, Konflikte auszutragen. Und
Wahlkämpfe gehören zu den wenigen Momenten der Legislaturperiode, in denen
der Unterschied zwischen CDU und SPD größer ist als der zwischen Pepsi und
Cola. Die Bürgerschaftswahlen werden zwar nicht über die neoliberale
Hegemonie entscheiden, trotzdem muss diese überall angegriffen werden.
Ob Bremens Bürger*innen am 24. September für oder gegen die Verlängerung
der Legislaturperiode entscheiden, zeigt schließlich auch, was sie sich
selbst zutrauen. Möchten sie „die da oben“ machen lassen? Oder wollen sie
wie gewohnt alle vier Jahre die Möglichkeit haben, ihre Regierung
abzuwählen?
Ich hoffe Letzteres. Denn eine Wahl bedeutet auch immer, seine Stimme
abzugeben. Und die hätte ich lieber schon nach vier Jahren wieder zurück.
(Lukas Thöle)
28 Jul 2017
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Lukas Thöle
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Carsten Sieling
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